Jenny Dorn saß der Psychologin Dr. Isabel Frings in ihrem Sprechzimmer gegenüber und spielte nervös mit ihren Fingern. „Ich weiß gar nicht, warum ich hier bin. Mir geht es gut. Aber das interessiert scheinbar gar keinen. Ich will einfach nur arbeiten.“ Unter ihren Augen hatten sich dunkle Ringe gebildet und sie sah müde und erschöpft aus. „Frau Dorn…Jenny… Ich will Ihnen doch nur helfen. Wir alle wollen Ihnen helfen. Sie haben Schreckliches erlebt und flüchten sich in die Arbeit. Sie denken, dass es keiner ermessen kann, was Sie erlebt haben und damit haben Sie auch Recht. Keiner kann es ermessen. Selbst ich nicht. Aber Sie müssen sich auch immer wieder sagen, dass Sie nichts für den Tod von Herrn Bonrath können. Sie haben keine Schuld!“ Isabel zeigte sich sehr verständlich und bemühte sich auf die junge Polizistin einzureden. Jenny hob den Kopf und lächelte leicht verzerrt. „Das weiß ich im Grunde genommen doch auch, aber…Dieter starb, weil er mich beschützen wollte. Er war immer für mich da… wie ein Vater… es war so grausam zu sehen, wie er… wie…“ Sie fing an zu weinen und der Körper bebte. Zu tief saß der Schmerz über den grausamen Verlust ihres Partners. „Ich wollte das doch gar nicht. Ich wollte nicht, dass das Kind stirbt. Ich wollte nur meinen Job erledigen und Hofer schützen. Ich wollte doch nur….“ Sie weinte hemmungslos und Isabel ging um den Tisch herum. Sie setzte sich neben Jenny und nahm sie einfach nur in den Arm. „Ich wollte das doch nicht!“ schluchzte sie immer wieder. Endlich! Nach so vielen Sitzungen öffnete sich die junge Polizistin und fasste Vertrauen zu ihr. „Ich wollte das nicht….“ Isabel strich ihr sanft über den Kopf. „Es ist gut so. Lassen Sie alles raus. Sie müssen sich die Zeit für die Trauer nehmen. Wenn Sie sich lösen, dann wird es leichter werden. „Glauben Sie, dass ich es irgendwann vergessen kann?“ Jenny sah Isabel mit verweinten Augen an. Sie wischte sich die Tränen mit einer fahrigen Bewegung weg. „Ich denke vergessen ist nicht das richtige Wort. Aber es wird mit der Zeit erträglich werden. Ich werde versuchen, Ihnen so gut es geht dabei helfen. Aber jetzt ist es wichtig, dass Sie für mindestens drei Wochen abschalten. Richtig abschalten. Nur so können Sie neue Kraft tanken. Sie müssen wieder zu sich selbst finden. Eine Kur wäre genau das Richtige für Sie. Glauben Sie mir. Es wird Ihnen wirklich gut tun.“
Jenny hob den Kopf. „Ich werde ihn nie vergessen können. Dieter wird immer da sein. In meinen Gedanken, in meinem Herzen. Ich kann ihn nicht vergessen.“ „Sie sollen ihn doch nicht vergessen. Dieter Bonrath war ein Teil von Ihrem Leben, aber Ihr Leben geht weiter.“ Ein tiefer Atemzug ging durch Jennys Körper und sie nickte. „Vielleicht haben Sie Recht. Eine Kur tut bestimmt gut.“ „Okay, dann werde ich Sie in der Klinik ankündigen. Sie werden morgen fahren!“ Isabel war zufrieden. Die junge Polizistin sah sie erstaunt an. „Morgen? Ist es denn nicht üblich, dass man warten muss? Ich hab doch gar kein Antrag gestellt.“ Isabel lächelte leicht. „Normalerweise ist es üblich, dass man Wartezeit hat, aber das hier ist nicht normal. Sie sind ein Dringlichkeitsfall der Stufe 1 und da geht es von heute auf morgen. Besonders wenn man die richtigen Kontakte hat. Sie werden dort sehr gut aufgehoben sein und sich bestimmt wohl fühlen.“ Jenny senkte den Kopf. Jetzt fing sie an ihre Haare um ihre Finger zu wickeln. „Klingt richtig danach, als sei ich wichtig.“ Sofort sprang Isabel auf diesen Einwurf an. „Halten Sie sich denn nicht für wichtig? Jeder Mensch ist wichtig und jeder hat seine Rolle.“ „Ja, das ist mir schon klar. Ich weiß ehrlich gesagt nicht wie ich es ausdrücken soll. Irgendwie ist es erdrückend aber auch schön zugleich, wenn sich alle um einen sorgen. Wenn alle plötzlich da sind und versuchen einen zu trösten…“ Jenny suchte nach den richtigen Worten, doch Isabel verstand was sie meinte.
Während Jenny ihre Sitzung bei Isabel Frings beendete, fuhren Alex und Semir nach Köln in die Uniklinik. Hier mussten sie ihre jährliche Dienstfähigkeitsuntersuchung über sich ergehen lassen. Auch wenn Semir diesen Termin gern verschlafen hätte, so wusste er, dass diese Untersuchung ein notwendiges Übel war. Wenn er es jetzt nicht tat, dann müsste er in vier Wochen hin. „Ich hasse diese Termine!“ Seit einigen Tagen war er nur noch schlecht gelaunt und ließ seine Umwelt darüber auch nicht im Unklaren. „Fahr doch!!“ Semir drückte wütend auf die Hupe. Alex sah ihn erstaunt an. So hatte er seinen Partner noch nie gesehen. „Nun komm doch mal runter! Du platzt ja gleich!“ Semir warf ihm einen kurzen Blick zu. „Wenn ich daran denke, dass die mich gleich wieder auseinander nehmen und Sachen in mich stecken, die nichts in mir zu suchen haben, dann kann ich doch nur sauer werden.“ Alex lachte auf. Er lehnte sich zurück und verschränkte die Arme im Nacken. „Also ich habe keine Probleme. Im Knast hab ich andere Dinge erlebt. Sieh es doch mal positiv. Die machen sich Sorgen um uns.“ Nur kurz gingen seine Gedanken in die Zeit zurück, in der er im Gefängnis saß. „Pah! Das denkst du! Aber in Wirklichkeit ist es einfach nur ein Subventionsprogramm für die Klinik. Die verdienen sich eine goldene Nase an uns, sag ich dir! Reicht es denn nicht, dass einer von uns ab und an mal im Krankenhaus liegt?“ Alex lachte erneut auf. „Also seit ich mit dir im Dienst bin, bin ich froh, wenn ich nicht im Krankenhaus lande und den Tag normal beenden kann. Ich mache dann immer drei Kreuze im Kalender.“