Auch Sarah wurde heute vom Gynäkologen untersucht, aber der Heilungsverlauf war eigentlich ganz zufriedenstellend. „Warum bin ich denn immer noch so schwach und mein Kreislauf macht nicht immer mit?“ fragte sie ganz verzagt, aber der Doktor beruhigte sie: „Frau Jäger, sie hatten einen massiven Blutverlust. Ihr Körper arbeitet zwar auf Hochtouren, aber er wird einfach noch eine Weile brauchen, bis er das Defizit aufgeholt hat und durch das Stillen dauert es vielleicht nochmals ein wenig länger, aber das ist egal-sie tun für ihr Kind dadurch einfach das Beste. Früher hätten sie eine Bluttransfusion bekommen, aber heute versucht man das zu vermeiden, um das Immunsystem nicht zu verwirren. Wir werden ihnen weiter Eisen geben und bitte viel trinken, ruhen und gut essen, damit sie wieder zu Kräften kommen und das Knochenmark die Blutbildung vorantreibt. Heute kontrollieren wir nochmals die Blutwerte, aber ich gehe eigentlich davon aus, dass die sich schon verbessert haben!“ sagte er sachlich und trotzdem brach Sarah jetzt in Tränen aus. Sie wusste überhaupt nicht wie ihr geschah, aber eine tiefe Traurigkeit hatte von ihr Besitz ergriffen. Der Gynäkologe reichte ihr wortlos ein Taschentuch und sagte: „Das sind jetzt auch ein wenig die Hormone-im Wochenbett ist die Gemütslage einfach sehr wechselhaft!“ versuchte er sie zu beruhigen, aber Sarah schluchzte nur noch lauter. „Meinem Mann geht es sehr schlecht, der musste heute Nacht nochmals notoperiert werden!“ presste sie unter Tränen heraus und der Arzt, der davon noch nichts gewusst hatte, sagte betroffen: „Das tut mir leid, aber er ist bei uns doch bei meinen Kollegen in den besten Händen, sie wissen doch welch hohen medizinischen Standard wir hier im Haus haben!“ versuchte er sie zu beruhigen, aber Sarah weinte nun: „Da bin ich mir gar nicht mehr so sicher!“
In diesem Moment klopfte die Hebamme kurz an der Tür, trat dann ein und bat den Gynäkologen in den Kreißsaal zu einer Neuaufnahme. Sie selber nahm Sarah danach wortlos in die Arme, strich ihr, die jetzt bitterlich weinte, tröstend über die Haare und brachte sie in ihr Zimmer zurück. „Du wirst sehen-es wird alles gut werden und deine Kleine ist ein richtiger Wonneproppen und wird mal bildhübsch, wie die Mama!“ versuchte sie sie aufzumuntern, aber Sarah verkroch sich jetzt unter ihrer Decke und heulte weiter. „Ach immer dieser Babyblues!“ murmelte die Frau, während sie ihrer weiteren Arbeit nachging und Sarah versuchte, sich wieder zu fassen, damit sie zu Ben konnte, aber gerade war ihr alles zu viel.
Semir fühlte sich wieder ein wenig besser. Man hatte ihm eine Glukoselösung angehängt, denn er durfte immer noch nichts essen und nur schluckweise Wasser trinken und so waren zwar durch das CPAP die Blutgase besser geworden, aber dafür der Zuckerspiegel abgesunken. Tatsächlich fühlte er sich bald ein wenig kräftiger und nachdem die betreuende Schwester ihm gesagt hatte, dass er ruhig sitzen sollte, denn die Lunge wurde da besser belüftet als im Liegen, bat er darum, seine Kabel so anzubringen, dass sie bis zum Nachbarbett reichten und saß dann wenig später auf einem bequemen Stuhl bei seinem Freund, dem es richtig dreckig ging. Trotz fiebersenkender Medikamente, Katecholaminen und Infusionen fühlte sich Ben massiv schlecht. Er bekam immer wieder etwas gegen die Schmerzen, das half auch und machte ihn benommen, aber sein Organismus kämpfte-unterstützt von den Antibiotika, die man alle sechs Stunden anhängte- vehement gegen die Sepsis. Einen Augenblick war ihm warm, um im nächsten wieder zu frieren. Seine Hände fühlten sich dick und unförmig an, denn da staute sich das Wasser, während es im Kreislaufsystem in den Gefäßen fehlte. Allerdings konnte man einfach nichts tun, außer Flüssigkeit zu geben, um die Organversorgung zu gewährleisten. Mittags kam der Chefarzt nochmals zu seinem Sorgenpatienten-jetzt würden alle aufpassen, dass ihnen nicht nochmals ein Fehler unterlief und sie etwas übersahen, aber die Problematik war immer noch dieselbe und so entschied der Doktor, dass Ben anstatt der Arterie im Arm nun doch einen Piccokatheter in der Leiste bekommen sollte, wo man durch raffinierte Computerberechnungen dann feststellen konnte, wann der Flüssigkeitsbedarf ausgeglichen war, was man ansonsten nur mit dem Versuch-Irrtum herausfinden konnte und wenn das Wasser zu viel wurde, drohte eine Atemproblematik, wenn die Lunge voller Wasser lief.
Der Stationsarzt und die Schwester mit dem Eingriffswagen kamen dann auch gleich und weil man sah, wie gut die Anwesenheit seines Freundes dem Patienten tat, ließ man ihn einfach am Bett sitzen. Semirs Werte waren jetzt ganz ok und der hielt Ben´s Hand, während man dessen Leiste erst betastete, dann rasierte und schließlich abstrich und steril abdeckte. Der grün vermummte Arzt erklärte: „Herr Jäger, das wird jetzt ein wenig pieken. Ich punktiere nun ihre Femoralisarterie und schiebe dann ein Schläuchlein vor und nähe es fest!“ und kaum hatte er es angekündigt, stach es auch schon. Ben, der schon Mühe hatte, weil man für diesen Eingriff das Bett so flach gestellt hatte und er jetzt schlechter Luft bekam, sagte zwar keinen Pieps, aber Semir merkte, wie er sich an seiner Hand festklammerte, denn das war mehr als unangenehm, als der Arzt mehrmals unter Tasten die Stichrichtung änderte, bis er endlich die Arterie getroffen hatte und das Blut pulsierend durch die Punktionsnadel herausschoss. Schnell schob man einen sogenannten Seldingerdraht durch die Nadel in das große Blutgefäß, entfernte die Punktionskanüle, fädelte den Piccokatheter über den Draht auf und nähte ihn fest, was Ben dazu brachte, nochmals die Stirn zu runzeln und seinen Griff um Semir´s Hand zu verstärken. „Ich hätte ihnen jetzt auch eine Lokalanästhesie spritzen können, aber das wären auch mindestens drei Stiche gewesen!“ erklärte der Arzt entschuldigend, aber Ben wusste jetzt auch nicht was besser war-allerdings war er schon sehr froh, als endlich ein Pflaster auf der Einstichstelle klebte und das Messsystem aufgebaut war. Nachdem der Arzt verschiedenste Daten in den PC eingegeben hatte, spritze er mehrfach 20ml eiskalte Kochsalzlösung in den ZVK, wo man ebenfalls einen Temperatursensor angebracht hatte und aus der Verteilungskurve, wann die minimale Temperatursenkung in der Leistenarterie ankam, errechnete der Computer allerlei Werte und nachdem der Arzt die anhand einer Tabelle interpretiert hatte, kam man zu dem Schluss, dass Ben noch mehr Flüssigkeit brauchte, die man auch gleich anhängte. Die Arterie am Unterarm wurde dann wenigstens gezogen und Semir bekam die Aufgabe, da eine Weile einige Kompressen fest auf die Einstichstelle zu drücken, damit das nicht nachblutete. Voller Sorge betrachtete er seinen Freund, der nun zwar wieder mit leicht erhöhtem Oberkörper, aber dennoch schwer atmend in seinen Kissen lag. Hoffentlich riss der das Ruder bald herum, denn Semir hatte die Blicke des Arztes und der Schwester sehr wohl bemerkt und die sahen nicht zufrieden aus.