Als Ben zwei uniformierte Kollegen und Semir vor dem Zimmer sah, verabschiedete er sich von Mikael und ging vor die Tür. „Haben wir schon was von Westhof?“, fragte er nervös. Sein Partner schüttelte den Kopf. „Wir haben das Auto gefunden, aber es war verlassen. Er muss mit einem anderen fahrbaren Untersatz weiter sein oder vielleicht sogar zu Fuß.“
„Verdammt!“ Ben raufte sich durch die Haare. „Wieso habe ich auch nicht früher hochgesehen oder schneller geschaltet! Ich war vollkommen überrumpelt ihn da an der Scheibe zu sehen.“
„Du kannst dir nichts vorwerfen Ben, du hast alles versucht.“
„Wie kommt er überhaupt hierher? Woher wusste er, dass Mikael hier ist? Woher hatte er Mikaels Namen? Ich meine … ich bin mir sicher, dass ich ihn nicht benutzt habe, als wir da waren.“
„Ich weiß es nicht, aber wir werden es sicher herausfinden.“ Semir sah an Ben vorbei in das Zimmer. „Wie geht es ihm?“
„Er ist soweit stabil, aber noch ist sein Zustand kritisch.“
Der Ältere nickte. „Er wird es schon schaffen, du musst nur Geduld haben.“
„Und dann? Selbst wenn er aufwacht, Semir … hast du dich mal im Internet informiert? Ich meine, was da alles steht!“
Semir verschränkte die Arme vor der Brust. „Du hast dich wirklich im Internet informiert? Du weißt doch, dass man so etwas bei medizinischen Dingen lassen sollte.“
„Ich wollte wissen, was uns erwartet“, wehrte sich Ben, wurde dann aber leiser. „Und das alles, es macht mir Angst.“
„Er ist ein sturer Bock, wie du. Es wird ihn nicht interessieren, was in deinem Internet steht.“
Das entlockte Ben ein kleines Lächeln. Er atmete tief durch und warf einen letzten Blick in das Zimmer. „Du hast Recht.“
Die beiden Kommissar bedankten sich bei den uniformierten Kollegen und verließen nun die Intensivstation und das Krankenhaus.
„Du sagtest am Telefon, dass er etwas gesagt hat. Weißt du was?“
Der junge Kommissar blieb einige Zeit still und versuchte sich an die Situation zu erinnern. „Ich weiß nicht, es war zu leise, um etwas bewusst hören zu können. Er hat irgendwelche Worte mit seinen Lippen geformt.“ Er wurde wieder still. „So absurd es klingen mag, vielleicht war es sogar ‚es tut mir leid‘ … ja es könnte wirklich stimmen.“
Semir nickte. „Hmm, vielleicht wollte er das alles nicht. Aber wir werden den Polizeischutz dennoch vor der Tür behalten. Sicher ist sicher.“
Der Ältere beobachte seinen Partner aufmerksam und kam nicht umher das leichte Humpeln zu übersehen. „Hat er dich bei der Flucht verletzt?“
„Wie?“
„Du humpelst.“
Ben lächelte. „Achso. Ich bin auf der Treppe einige Stufen gesegelt. Es ist nichts wildes, wird sicherlich nur ein dicker blauer Fleck.“
„Du hast es also ansehen lassen?“, fragte Semir ohne das er seinen leichten sarkastischen Unterton verstecken konnte.
„Sofort!“, bestätigte Ben und grinste breit. „Komm lass uns die Gegend abfahren und schauen, ob wir vielleicht eine Spur von Westhof finden.“
„Du weißt aber, dass die Wahrscheinlichkeit recht gering ist?“, gab ihm der Ältere zu bedenken.
„Ich möchte es dennoch nicht unversucht lassen.“
„Gut, aber danach fahren wir dann zu mir. Es wäre ein Schande, wenn Andrea extra für dich gekocht hat und du es nicht anrührst.“
*
Marko Westhof fuhr nach seiner Flucht aus dem Krankenhaus einige Straßen kreuz und quer, ehe er schließlich seinen Ford irgendwo abstellte und zu Fuß weiterging. Er hatte eine Käppi auf und diese tief in sein Gesicht gezogen. Er war sich sicher, dass ihn so kaum ein Mensch auf der Straße erkennen würde. Sein Auto hingegen dürfte zu auffällig sein. Er ärgerte sich über sich selbst. Warum war er auch so naiv gewesen und hatte zu diesem Bullen gemusst? Er hatte sehen wollen, was er getan hatte und sich entschuldigen wollen. Warum, war ihm ein Rätsel. Immerhin war der kleine Bulle ja auch in gewisser Weise selbst Schuld. Er hätte ihn nicht so bedrängen sollen im Garten. Er hatte doch nichts verkehrt gemacht. Es war doch Svantjes Schuld, dass sie so wunderhübsch war und ihm den Kopf verdrehte. Er sah um die Ecke, als er das Ende der Straße erreicht hatte und ging dann weiter, als er keine Polizisten erkennen konnte. Er musste schnell zu seinem Bekannten. Er brauchte seine neue Identität und das nun dringender denn je. Er musste diese Stadt verlassen und sich irgendwo ein neues Leben aufbauen. Die Polizei rückte ihm zu nahe und das mochte er überhaupt nicht. Er war davon ausgegangen, dass alles wunderbar geklappt hatte. Er hatte doch darauf geachtet, dass er keine Spuren hinterließ. Wie also hatten Sie ihn gefunden? Westhof schüttelte den Kopf. Das alles spielte keine Rolle mehr. Er musste weg und das schnell, denn eins wusste er, er wollte sicherlich nicht hinter Gitter.
Westhof bog die nächste Straße links ab, folgte ihr knapp 500 Meter, ehe er wieder rechts und sofort danach noch einmal rechts ging. Dann kam er vor einem kleinen Reihenhaus an. Genau hierhin hatte er gewollt. Er ging auf die weiße Haustür zu und betätigte den Klingelknopf. Kurz darauf vernahm er Schritte von drinnen und wenig später öffnete ihm sein Freund.
„Was ist mit meiner neuen Identität? Ich brauche sie dringend!“, sagte er nervös.
Richter sah an ihm vorbei. „Wo ist das Auto, was ich dir besorgt habe?“
Er quetsche sich an seinem Freund vorbei in den Hausflur. „Ich musste es irgendwo abstellen. Scheiße, die Bullen waren überall! Die machen Jagd auf mich, verstehst du!?“
„Haben die dich etwa gesehen? Ich kann keinen Ärger gebrauchen Marko. Ist dir klar, dass die hier in meiner Bude waren? Du kannst von Glück reden, dass du da schon wieder weg warst!“
Westhof stöhnte. „Ich war im Krankenhaus, bei diesem Bullen. Verdammt, ich wollte doch nur sehen, wie es aussieht. Er sollte ja nicht sterben.“
Stefan Richter schüttelte amüsiert den Kopf. „Du bist selten dämlich, nech?! Was denkst du, passiert, wenn du ihn diesen Abgang herunter schubst? Und wie hast du ihn da überhaupt gefunden? Nirgends stand, wie dein Bulle heißt.“
„Ich bin ihnen dorthin gefolgt, an dem Tag, wo es passiert war. Es war nicht besonders schwer, sie haben mich überhaupt nicht bemerkt“, verteidigte sich der gesuchte Mann „Aber sein scheiß Kollege war bei ihm. Der, der dabei war als es passiert ist. Er hat mich gejagt, wie ein Tier!“
„Sicher, du hast seinen Kollegen ins Koma gebracht. Da würde ich dich auch jagen!“
„Er hat mich bedrängt dieser Bulle! Er hätte mich nicht in die Enge treiben sollen!“, schimpfte Westhof sofort und zappelte nervös mit seinem Fuß. „Also hast du meine Papiere?“
„Warte hier!“ Stefan Richter verschwand für einen Augenblick und kam dann mit einem Pass und anderen wichtigen Karten zurück. „Ab heute heißt du Olaf Schulz“, verkündete sein Gegenüber mit einem Grinsen.