Die Tür öffnete sich mit einem Quietschen und Ben sah, wie Enni hereinkam. Sie trat neben die geöffnete Tür und drückte sich an die Wand, als hätte sie Angst, ihnen nur ein Stück zu nahe zu kommen. „Wieso?“, fragte sie.
„Wieso was?“
„Wieso musstest du dazwischen gehen? Wieso hast du mich, nein uns alle, so verraten!“
Ben sah auf den Körper von Veikko. Die Atmung war noch immer hektisch und er hatte seit diesem Ritual nicht die Augen geöffnet. „Er ist dein Bruder! Siehst du denn nicht, dass das alles falsch ist?!“
„Du weißt überhaupt nichts!“, schrie sie hysterisch. „Du hast keine Ahnung Ben! Wir wollen ihm helfen. Wir wollen, dass er den Teufel loswird, aber wie kannst du das verstehen!?“
Sie sah auf die Erde. „Ich habe dich geliebt“, flüsterte sie leise. „Ich habe dir vertraut.“
„Ihr solltet Veikko und mich gehen lassen“, versuchte Ben.
„Euch gehen lassen! Ich werde euch nicht gehen lassen. Du wirst mir meinen Bruder nicht nehmen, du nicht!“
„Enni … das ist falsch. Bitte, du musst doch verstehen, dass Veikko Schmerzen hat. Er möchte das hier nicht.“
„Lass … es“ Ben verstummte, als er eine dünne Männerstimme vernahm und sah zur Seite. Veikko hatte die Augen einen Spalt geöffnet. „Du-du wirst auf taube Ohren stoßen … sie sieht nichts mehr.“
„Was soll das heißen!?“ Enni löste sich von der Wand und sah ihren Bruder an. „Sag!“
„Dein Gehirn ist vollkommen … vernebelt vor Angst“, presste Veikko heraus.
„Das stimmt nicht! Wir wollen dir helfen, du gehörst zu uns! Aber du bist derjenige, der das nicht sieht! Du bist Teil dieser Gemeinschaft, du bist Teil dieser Familie!“
„Das hier ist nicht meine … Familie. Die ist in Helsinki …!“
Eine Träne kullerte über ihre Wange, kurz darauf folgten weitere. „Wie kannst du so etwas nur sagen! Ich liebe dich, aber du … du scheinst den Teufel nicht loslassen zu wollen! Ich will dich doch nur zurück!“
„Glaub mir Enni, dein Bruder trägt nicht den Teufel in sich. Er ist ein wundervoller, liebevoller Mensch, der sich für andere aufopfert!“, mischte sich nun wieder Ben ein.
Sie sah ihn an und all die Liebe, die Ben in den letzten Wochen darin gesehen hatte, war verschwunden. Nun begegneten ihm diese Augen nur noch mit Hass. „Was weißt du denn schon! Du glaubst nicht an unsere Lehre. Du bist nur hier, um uns auszuhorchen!“
„Lass … Ben gehen … er hat nichts mit dem Teufel … zu tun.“ Veikko versuchte die Augen offen zu halten, doch es fiel ihm immer schwerer. Zu groß war der Schaden, den die letzte Spritze angerichtet hatte.
„Niemand wird gehen!“, schrie Enni. „NIEMAND!“ Sie griff nach dem Wassereimer, der in der Ecke stand und trat an Veikko heran, um ihn das Blut und den Schweiß vom Körper zu wischen. Er redete weiter auf sie ein – diesmal auf Finnisch – fand aber keinen Adressaten mehr. Enni war weg in ihrer eigenen Welt. Sie lächelte ihn an. „Bald wirst du es geschafft haben. Ich spüre das. Bald bist du wieder bei uns Bruderherz!“ Sie strich eine Strähne aus seinem Gesicht und legte ihre Hand auf seine Wange. „Ich werde niemals zurückkehren!“, flüsterte er leise. Sie zog ihre Hand zurück. „Wie kannst du so etwas nur behaupten“, flüsterte sie und begann erneut an zu weinen. Ihr Körper bebte und zitterte von Tränen geschüttelt. „Wieso? Wieso musstest du nur gehen“, schluchzte sie heraus. „Der Meister hat Recht, die Welt da draußen ist voll von Versuchungen. Von dem Bösen!“
„Es … ist besser … als dieses Gefängnis!“
Sie sprang auf. „Ich werde erst wieder mit dir reden, wenn du bei Verstand bist!“, schrie sie und wenig später knallte die dicke Tür ins Schloss. Sie war gegangen.
„Wie geht es dir?“, fragte Ben und sah in Veikkos erschöpften Augen.
„Super“, murmelte der Schwarzhaarige leise. „Es ging mir noch nie besser.“
„Wie lange hältst du noch durch?“, stellte der deutsche Kommissar nun die Fragen aller Fragen. „Ich weiß nicht. Ich fühle mich jetzt schon, als hätte mich ein LKW überfahren“ Ben schluckte. Er hatte so etwas bereits vermutet. Sie brauchten wohl mehr als Glück, um hier herauszukommen. „Und es kann wirklich nur jemand wie Mikael deinen Hinweis knacken?“, hakte er nach.
„Ich … hoffe nicht“, nuschelte Veikko. „Denn dann hätte … wir keine Chance. Antti würde ihn niemals hier hereinziehen. Er wird ihn beschützen wollen und Außen vorlassen.“ Der Finne sah ihn an. „Du hättest mir nicht … helfen sollen.“
„Und dann? Was dann?“
Veikko lachte leise auf. „Ich … ich hatte einen Plan. Ich hätte ihn dir erzählt … nach dem Ritual …“
Ben stöhnte. „Und das hätte ich woher wissen sollen?! Es ist egal. Ich war sowieso nie wirklich unentdeckt.“
„Es ist auch nicht reichlich intelligent, dass man sich mit seinem richtigen Namen hier vorstellt“, erwiderte der Schwarzhaarige.
„Likpi meinte, dass es hier viele Polizisten gäbe, dass es überhaupt kein Problem sei.“
„Likpi ist ein Idiot. Die haben dich durchleuchtet und sind auf etwas gestoßen, was dich mehr als gefährlich macht.“
Ben zog die Augenbrauen zusammen. „Und das wäre?“
„Mikael.“
„Mikael? Wieso Mikael?“
Es herrschte einige Minuten Stille, ehe Veikko ihm antwortete. „Sie haben mich beobachtet, ehe sie mich … entführt haben. Sie haben mich bei Mikael gesehen und wenn sein Name dort auftaucht, dann ist es doch klar, dass du auch mich kennen musst.“
Ben lehnte sich an die Wand und schloss die Augen. Natürlich hatte Veikko mit jedem Wort Recht. Er war diesen Einsatz wohl viel zu leichtsinnig angegangen.