Als Sarah und Semir voller Bangen die Intensivstation betreten hatten, sahen sie sofort die zwei uniformierten Polizisten, die wachsam vor dem Zimmer saßen-nun war klar, wo Ben lag. Semir begrüßte die Kollegen und folgte dann Sarah, die sofort in die Einzelbox gestürzt war. Nun beugte sie sich gerade über Ben, der käsebleich, sediert, beatmet und sichtlich schwer angeschlagen in den Kissen lag und bedeckte sein Gesicht mit zarten Küssen, fasste ihn an und streichelte ihn. „Mein armer Schatz!“ flüsterte sie mit Tränen in den Augen und als Semir nun hinzu trat, war er auch erschrocken, was für ein Unterschied zwischen der Verfassung seines Freundes heute Morgen und jetzt bestand. Sarah´s Freundin, die ihn immer noch betreute kam herein und nahm Sarah erst einmal ganz fest in ihre Arme: „Eine schreckliche Geschichte-wer hätte denn erwartet, dass jemand deinem Mann nach dem Leben trachtet?“ bedauerte sie und schickte sich danach an, den diensthabenden Doktor zu holen. Nun trat auch schon der Stationsarzt ins Zimmer und auch er drückte Sarah erst einmal an sich. Semir war irgendwie froh, dass Ben hier von herzlichen Menschen betreut wurde, die auch noch Gefühle zeigen konnten. Dass die dennoch gute Arbeit leisteten stand außer Frage, aber in so einem Team zu arbeiten war sicher angenehmer, als umgeben von lauter miesepetrigen Drachen, aber genau das war wahrscheinlich auch der Grund bei ihnen in der PASt, dass sie so eine gute Aufklärungsrate hatten-sie verstanden sich und zogen alle an einem Strang, man ging gerne zur Arbeit und gerade Ben und er waren ein Dreamteam und sich noch nie auf die Nerven gegangen-ansonsten würden sie sicher nicht so viel Freizeit miteinander verbringen.
„Also Sarah, bei der Messerstichattacke wurde der linke Ast der Bauchaorta, kurz nach der Bifurkation verletzt. Der Gefäßchirurg konnte das patchen und Gott sei Dank scheint es bisher dicht zu sein. Bis morgen Abend bleibt er aber auf jeden Fall nachbeatmet, damit wir den Blutdruck gut einstellen können!“ sagte der Intensivarzt und Sarah wusste, was er meinte. Jeder hatte nach Gefäßoperationen schon erlebt, wie durch eine Hochdruckkrise und starkes Pressen eine frische Gefäßprothese wieder undicht wurde und der Patient einem unter den Händen verblutete. Das dauerte einfach bei allen Nahttechniken, bis das Material mit dem körpereigenen Gewebe verklebte und unwillkürlich fasste Sarah an ihren eigenen Bauch-in ihrer ersten Schwangerschaft war ihr nämlich dasselbe passiert und sie hatte nur knapp überlebt. An die ersten Tage nach der Messerattacke hatte sie aber keinerlei Erinnerung mehr, sogar nach der Extubation hatte man sie noch medikamentös so runter gefahren, dass ihr einfach ein paar Tage fehlten, obwohl sie sich da nachweislich sogar mit ihren Eltern und den Kollegen unterhalten hatte. Dasselbe würde man jetzt bei Ben machen und es war gut und sinnvoll.
„Die zweite Baustelle ist der Dickdarm-auch er wurde durch das lange und sehr scharfe Messer verletzt, aber auch hier konnte man ohne Resektion auskommen, der Viszeralchirurg hat die Verletzung übernäht, den Bauch gespült und jetzt hoffen wir, dass es zu keiner Infektion kommt. Er war ja vorher schon antibiotisch abgedeckt-jetzt hoffen wir, dass diese Behandlung ausreichend ist, wir beobachten die Entzündungswerte und sehen, ob er Fieber bekommt, denn was natürlich schlecht ist-das Messer hat ja zunächst den Darm und dann erst die Arterie verletzt, also war das kontaminiert. Immerhin hat er aber in der Akutphase keine Darmbakterien in den Kreislauf eingeschwemmt, sonst hätten wir ihn nicht so schnell relativ stabil gekriegt, jetzt heisst es hoffen und beten!“ erklärte er und Sarah nickte. Wie oft hatte sie das schon gehört, Ben zog seitdem sie zusammen waren-nein eigentlich auch schon vorher- die Verletzungen magisch an, hatte bisher aber immer alles ohne Folgeschäden überlebt, hoffentlich würde das diesmal auch wieder so sein.
Semir hatte inzwischen auf einem Stuhl, den die Freundin Sarah´s ihm hingestellt hatte, Platz genommen und Ben´s rechte Hand ergriffen, die unfixiert auf einem kleinen Kissen lag. So gut kannte Semir sich inzwischen aus-das bedeutete, dass sein Freund so viele Medikamente bekam, dass er aktuell keinen Zucker machen würde, ansonsten hätten sie ihn fest gebunden, damit er sich nicht selber schadete, indem er den Tubus oder etwas anderes heraus zog. Auch Sarah bekam nun einen Stuhl hergestellt und bevor sie den Raum verließ, sagte Sarah´s Freundin noch: „Ich gehe davon aus, dass einer von euch heute Nacht hier bleiben wird? Ich habe schon ein Bett hergerichtet, sobald wir ihn nachher noch gebettet haben, fahre ich es herein und dann kommt erst mal alle miteinander zur Ruhe!“ ordnete sie regelrecht an und Sarah lächelte daraufhin und versicherte, dass sie natürlich da bleiben würde. Keine zehn Pferde würden sie heute Nacht von der Seite ihres Mannes bringen!
So saßen sie eine Weile da und dann kam die junge Schwester vor der Übergabe an den Nachtdienst nochmals herein, nahm zunächst Blut ab, saugte Ben dann endotracheal ab, was aber durch die tiefe Sedierung ebenfalls keine Reaktion hervor rief und dann half Sarah ihr mit geübten Griffen noch, Ben auf die Seite zu drehen. Mit Schaudern musterte Semir, der mitsamt Stuhl ein wenig zur Seite gegangen war, mit wie vielen Verbänden und Drainagen sein Freund versorgt war, der hatte sicher überall Löcher wie ein Nadelkissen, denn natürlich hatte man zum Lagern die Decke beiseite genommen. Mit vielen Kissen und Rollen unterpolsterte man Ben´s willenlosen Körper rieb seinen Rücken mit Creme ein und befeuchtete auch seinen Mund. Eine Magensonde ragte aus seiner Nase und Semir wusste schon wieder, dass Ben die als erstes dringend loswerden wollte, wenn er wieder wach wurde und das konnte er nur zu gut verstehen!
Nun merkte er allerdings auf, denn gerade hatte Sarah´s Freundin erzählt, dass Ben auf dem Weg in den OP anscheinend schon ein wenig verwirrt gewesen war, denn er hatte irgendetwas von einem Bergführer gefaselt. Momentan maß Semir dem auch keine Beachtung bei-gerade war auch bei ihm selber die Luft raus und den Täter konnte man morgen suchen-wichtig war, dass Ben nichts mehr passierte und dafür sorgten die gewissenhaften Kollegen draußen, aber als er nach der Verabschiedung dann zuhause im Bett lag, kam ihm das dann wieder in den Sinn-was wäre, wenn der Attentäter der Bergführer gewesen wäre und was hatte der für einen persönlichen Groll gegen Ben? Aber dann schlief er doch vor Erschöpfung in Andrea´s Armen ein-zu viel war am vergangenen Tag geschehen.