Es dauerte nicht mehr lange und Ben wurde in seinem Bett zu seinem Vater ins Zimmer gebracht. „Hallo Papa!“ sagte er und mit einem breiten Lächeln drückte Konrad, als sie aneinander vorbei gefahren wurden, die Hand seines Sohnes. „Wie geht’s dir denn Junge?“ erkundigte er sich und sein Sohn hielt als Antwort einfach den Daumen nach oben. Nachdem das Bett arretiert war und auch das Nachtkästchen an seinem Platz stand, gingen die Pflegekräfte, die Ben gebracht hatten, zur Übergabe nach draußen und endlich hatten die beiden Zeit sich zu unterhalten.
„Das war ja ein ganz schöner Schreck, als der Attentäter auf dich geschossen hat!“ erinnerte sich Konrad an ihre letzte Begegnung. „Ich hatte so Angst, dass er dich tödlich getroffen hätte, dass ich erst mal überhaupt nicht mitgekriegt habe, dass ich mich bei unserem Sturz ebenfalls verletzt hatte. Wenn du nicht so schnell reagiert hättest, wären wir vermutlich alle beide nicht mehr am Leben und natürlich Semir-wenn der nicht so ein Gespür gehabt hätte und zurück gekommen wäre, würden wir jetzt ebenfalls nicht hier liegen, denn dieser Winkler hätte uns alle beide kaltblütig umgebracht und wer weiss, wen noch!“ erinnerte sich Konrad mit Schaudern und Ben nickte. Ja da hatten sie alle beide großes Glück gehabt, wie schon so oft in ihrem Leben, er besonders, der schon mehrfach dem Tod gerade mal so von der Schippe gesprungen war.
„Aber noch viel schlimmer wäre es gewesen, wenn Sarah und meine Kinder bei dem Bombenattentat ums Leben gekommen wären!“ erwiderte nun Ben. „Kinder sind das Wertvollste im Leben und ich hätte selber nicht mehr leben wollen, wenn ich die und meine Frau verloren hätte!“ und nun schwieg Konrad eine Weile still und sagte dann leise und nachdenklich: „Ja Ben-auch wenn ich es euch vermutlich viel zu selten sage oder zeige-auch Julia und du seid die wichtigsten Menschen in meinem Leben. Ich bin nur nicht so der emotionale Typ und kann das manchmal nicht so richtig zeigen, aber glaub mir, es ist so!“ bekräftigte er dann noch und jetzt sah Ben seinen Vater gerührt an. Er konnte sich nicht erinnern, dass Konrad, der knallharte Geschäftsmann, der immer so wirkte, als wenn die Firma über alles ginge, schon einmal so emotional gewesen war und so offen mit ihm gesprochen hatte. Jetzt war er sich sicher, dass es doch eine gute Idee gewesen war, zu ihm ins Zimmer zu kommen, woran er erst einmal Zweifel gehabt hatte.
Nun wurde auch gleich das Mittagessen serviert und Ben saß heute schon frei am Bettrand, dass er sich danach selber zurück legen konnte, denn sehr lange hielt er es aufrecht noch nicht aus und Konrad thronte sogar im Stuhl am Tisch. Ben musste man das Essen herrichten, weil er ja mit der Hand das Fleisch nicht schneiden konnte und als Konrad das sah, wie die Schwester das erledigte, sagte er: „Ach Mensch, das hätte doch ich für meinen Sohn machen können!“ und nun war Ben fast ein wenig erschüttert, was war denn in seinen Vater gefahren? So kannte er ihn ja gar nicht, allerdings hatte er da schon einen kleinen Verdacht, wer ihm da ins Gewissen geredet und ihn aufgefordert hatte, doch auch einmal über seine Gefühle zu sprechen-Hildegard, die gute Seele und langjährige Freundin der Jäger´s! Nach dem Essen schwiegen die beiden und schlossen die Augen für einen kleinen Mittagsschlaf, denn sie waren doch noch ziemlich erholungsbedürftig, aber Ben musste sagen-er fühlte sich wohl hier im Zimmer mit seinem Vater und das war ein gutes Gefühl!
Estelle hatte derweil nicht geruht. Sie hatte einen Raum der Wohnung, in dem ein großes Bett stand, bereits gewissenhaft vorbereitet. Handschellen und Knebel lagen bereit, eine Peitsche, Gleitgel und anderes Spielzeug aus dem Sado-Maso-Bereich. Sie hatte mit dem Leiter des Etablissements gesprochen und der hatte ihr gegen eine großzügige Barzahlung wissend lächelnd ein paar Ampullen, Injektionsnadeln und Einmalspritzen gegeben. Um die Mädels einzureiten, die oft aus dem Osten kamen und zunächst dachten, sie hätten einen Job als Bedienung in einem Stripclub, griff man manchmal zu solchen Methoden, die die Frauen gefügig machten. Wenn sie dann eine Weile im Geschäft waren, war das meistens nicht mehr nötig, aber am Anfang erleichterte es Vieles. Man konnte das Medikament sowohl spritzen, als auch Getränken oder Nahrungsmitteln untermischen, es hatte keinen großen Eigengeschmack, aber die Wirkung war umso fataler. Die Opfer wehrten sich nicht, sondern wurden sozusagen zu willenlosen Marionetten, die sich unterordneten und ansonsten die meiste Zeit schliefen. Estelle rief dann noch mit verstellter Stimme im Krankenhaus an. Solange Ben auf der Intensivstation lag, würde sie sich gedulden, denn es war ausgesprochen schwierig, wenn auch nicht unmöglich jemanden von dort zu entführen, aber vielleicht wäre er ja bald auf der Normalstation und tatsächlich-das Glück war ihr hold. Nachdem sie die Station und die Zimmernummer erfahren hatte, wies sie die beiden Wrestler an, sich mit weißen Hosen und Poloshirts mit roten Westen darüber als Angehörige eines Ambulanzdienstes auszugeben. Sie sagte ihnen genau, wie viel sie Ben spritzen sollten und dann lehnte sie sich erwartungsvoll zurück-bald würde er ihr gehören und sie leckte sich voller Vorfreude die Lippen.
Gleich nach dem Mittagsschlaf kam Sarah kurz mit einer kleinen Reisetasche vorbei. Darin hatte sie kurze und lange Sporthosen, Shirts, Waschzeug, Deo und viele andere Kleinigkeiten, die den Aufenthalt im Krankenhaus erträglich machten. Sie half Ben in eine Unterhose, Jogginghose und oben in ein Shirt-wozu sie den Gilchristverband kurz weg machte und dann erneut anzog, was Ben allerdings durchaus noch die Zähne zusammen beissen und aufstöhnen ließ. Der Bauch schmerzte kaum mehr und auch das Bein fühlte sich schon wieder ziemlich gut an, die Schulter allerdings machte trotz Schmerztabletten schon noch ordentlich Beschwerden und Sarah sagte: „Ich werde mal mit dem Stationsarzt sprechen-da muss man ziemlich schnell mit Krankengymnastik und gezielter Bewegung anfangen, damit das auch gut heilt und beweglich bleibt, nicht dass da Informationen verloren gehen!“ bestimmte sie und Ben dachte bei sich, dass das seinetwegen nicht sehr eilen würde-ihm war wohler, wenn man da nichts dran machte. „Ben-ich erledige das jetzt und fahre dann nochmals in unser Haus. Ich habe dort ne Maschine Wäsche angestellt und die Blumen gegossen. Die Wäsche werfe ich jetzt noch in den Trockner und wische derweil ein wenig Staub und lüfte durch. Die Kinder sind mit Hildegard spazieren und genießen die gute Winterluft, denen geht’s gut, ich bin so froh und Tim zeigt allen Leuten ganz stolz seinen Castverband!“ sagte sie, denn inzwischen waren sogar in Köln ein paar vereinzelte Flocken gefallen. „Ich komme später nochmals vorbei, brauchst du was von zuhause?“ fragte sie und Ben nickte und sie schrieb sich die Sachen-überwiegend Musik, Hörspiele und kleine Gymnastikgeräte, die man auch im Bett benutzen konnte-auf. „Ich muss doch schauen, dass ich bald wieder fit bin und zu euch nach Hause komme, ich vermisse euch doch jetzt schon und bin nur froh, dass ihr den Anschlag überlebt habt, sonst wäre ich meines Lebens nie mehr froh geworden!“ sagte Ben gerührt und verabschiedete sich fürs Erste mit einem innigen Kuss von seiner Frau und auch Konrad schüttelte Sarah die Hand zum Abschied.
Dann wurde Konrad von einem Krankengymnasten abgeholt-er würde schon heute Gehschule in der physikalischen Abteilung an zwei Gymnastikstangen bekommen. „Herr Jäger-wir möchten doch, dass sie bald wieder fit sind und dann nächste Woche auf Reha können!“ erklärte der Physiotherapeut, aber Konrad schüttelte zweifelnd den Kopf: „Und was ist, wenn ich da gar nicht hin will-auf so ne Reha meine ich?“ fragte er, aber dazu zuckte der Physio nur mit den Schultern-ihm persönlich war das sowieso egal, er machte hier in der Klinik seine Arbeit und was die Patienten nachher anfingen war deren Problem. Ben nutzte die Gelegenheit alleine zu sein, um zum ersten Mal seit dem Katheterzug in diese blöde Flasche zu pinkeln und hätte beinahe laut gejodelt-also angenehm war etwas anderes und er bedauerte sich gerade beinahe ein wenig selber! Kaum war er fertig, öffnete sich die Tür und zwei Kästen von Männern fuhren mit einem speziellen Rollstuhl herein. Ben bemerkte den Blick, den sie sich zuwarfen, als sie ihn gemustert hatten und er hätte schwören können, dass sich der eine der beiden über die Lippen geleckt hatte und da schrillten plötzlich alle Alarmglocken bei ihm. Moment-diese Typen waren nicht sauber, die sahen nicht aus wie Pfleger oder Physiotherapeuten, aber bevor er noch nach der Glocke greifen oder laut um Hilfe rufen konnte, hatte sich der eine der beiden schon auf ihn gestürzt und hielt ihn wie einen Schraubstock fest. Er beugte sich auch so über ihn, dass sein Rufen gurgelnd erstarb und er für den Augenblick gar keine Luft bekam, wegen der Masse, die ihn schier erdrückte. Der andere packte, ohne dass er es sehen konnte seinen Arm mit dem Zugang und schon bemerkte Ben, wie etwas in das Schläuchlein gespritzt wurde und heiss seinen Arm hinauf lief, woraufhin ihm die Sinne schwanden. Die beiden Männer warteten, bis er erschlaffte, packten ihn dann und setzten ihn in den Spezialrollstuhl und schnallten ihn dort fest. Sogar der Kopf wurde von einem Riemen nach hinten gehalten, damit er nicht nach vorne kippte. Sie schlossen den Sitzsack, so dass von Ben kaum mehr was zu sehen war und fuhren dann in Windeseile zum Haupteingang hinaus. Niemand sah sie auf der Station und als sie den Rollstuhl mittels der automatischen Rampe in den ganz vorne bei den Behindertenparkplätzen geparkten Bus luden, lächelten sie Passanten sogar an-es war doch schön, wenn man auch körperbehinderte Mitmenschen überall mit hin nahm, oder vielleicht war der Mann auch zur Behandlung hier gewesen.
Ben war immer noch im Land der Träume und sah die Welt gerade pink, als der Bus wenig später in den Hinterhof des Bordells einbog, wo sich Estelle nun voller Vorfreude aus ihrem Sessel schälte. Er war da-ihr Traummann gehörte ihr jetzt!