Sarah, die schon sehnsüchtig auf das Läuten ihres Handy´s gewartet hatte, obwohl sie immer wieder in Fieberträume abtauchte, ging sofort ran. Ben zögerte einen Augenblick, sagte dann aber leise: „Hallo Schatz!“ und seine Frau am anderen Ende antwortete mit belegter Stimme: „Ben-es tut mir leid, dass ich mich nicht gemeldet habe-Semir hat mir schon erzählt, dass es dir nicht gut geht!“ und obwohl Semir ja versichert hat, dass er nicht ins Detail gegangen war, erschrak Ben momentan bis ins Mark. Was wusste Sarah? Als sie dann aber hinzu fügte: „Ich liebe dich und vermisse dich ganz schrecklich!“ wagte er wieder tief durch zu atmen. Selber schalt er sich einen Blödmann. Sarah hatte bisher alles von ihm gewusst, warum war das mit Estelle jetzt für ihn so schlimm? Aber vermutlich deswegen, weil er immer noch ein schlechtes Gewissen deswegen hatte. Wenn er sie bei ihrem ersten Zusammentreffen nicht so angestarrt hätte und dann im Lechtal auch noch mit ihr auf die Piste gegangen wäre, hätte sie sich vermutlich nie Hoffnungen gemacht und diese ganzen schrecklichen Dinge, die mehrere Menschen das Leben gekostet hatten, wären nie passiert.
„Wie geht es dir und den Kindern-und Lucky?“ fragte er dann und Sarah antwortete wahrheitsgemäß: „Den Kindern geht es schon besser, die hatten nen heftigen, hoch fieberhaften Infekt, wegen dem Schnee kam ich nicht durch zum Arzt und auch zu uns konnte keiner kommen. Mir haben zwei der afrikanischen Flüchtlinge geholfen und inzwischen sind Tim und Mia-Sophie über dem Berg. Tim fragt immer nach dir und Lucky geht es gut, allerdings vermisst er natürlich eure Spaziergänge. Und bei mir-nun ja, die Grippe hat eben zugeschlagen. Gerade fühle ich mich wie ausgekotzt und habe Kreislaufprobleme, aber eine der Afrikanerinnen ist hier bei mir, hilft mir und versorgt die Kinder. Wenn ich im Bett bleiben kann, wird das schon wieder, aber viel lieber wäre ich bei dir!“ erklärte sie und musste dann einen Schluck Tee nehmen, so kratzte ihr Hals und ein Hustenanfall erschütterte sie. „Ich wäre auch viel lieber zuhause und bei dir und würde diesen ganzen Alptraum vergessen-und Sarah, bist du mir noch böse?“ musste er jetzt einfach fragen und lauschte voller Bangen den Worten am anderen Ende.
„Ach Ben, wir sind doch keine kleinen Kinder mehr, ich bin dir natürlich nicht wirklich böse, aber was auch passiert ist, das dich dazu gebracht hat, mich aus deinem Leben auszuschließen-es hat mich verletzt, aber ich liebe dich doch, wir gehören zusammen und haben gemeinsam zwei wundervolle Kinder, das wirft man nicht so einfach weg. Ich dachte allerdings, du liebst mich nicht mehr und hast eine andere-anders konnte ich mir dein Verhalten nicht erklären und habe mich deshalb zurück gezogen, denn Liebe kann man nicht erzwingen, du weisst, ich habe das schon mal mitgemacht, bei meinem vorigen Partner, bevor wir beide uns kennen gelernt haben. Ach Mann Ben-wie gerne würde ich dich jetzt umarmen!“ schniefte sie ein wenig ins Telefon, aber so sehr sich Ben nach seiner Frau sehnte-schon alleine beim Gedanken daran, jemals wieder von einer Frau angefasst zu werden, überliefen ihn kalte Schauer.
„Sarah-es ist schon spät, wir müssen beide schlafen!“ sagte er, aber seine Stimme hatte sich verändert und nachdem sie sich beide noch ihrer Liebe versichert und aufgelegt hatten, starrte Sarah nachdenklich auf ihr Telefon. Was hatte sie denn nun schon wieder Verkehrtes gesagt, dass Ben sie so abgewürgt hatte? Sie hatte ihm noch Vieles erzählen wollen, ihn nach seinem Gesundheitszustand fragen, aber sein Tonfall hatte ihr unmissverständlich klar gemacht, dass er das Gespräch beenden wollte-aber warum? Sie ließ ihre Worte Revue passieren, aber sie konnte nichts daran finden. Dann bekam sie wieder Schüttelfrost und war die nächsten Stunden mit anderen Dingen beschäftigt, als das Gespräch zu analysieren.
Semir hatte-ob er wollte oder nicht- ja mitgekriegt, was Ben gesagt hatte, was ja nicht sehr viel gewesen war. Aber auch er hatte den plötzlichen Stimmungsumschwung bei seinem Freund bemerkt, als der den Worten seiner Frau gelauscht hatte. „Ben-was hat Sarah gesagt, dass du plötzlich so abweisend geworden bist?“ fragte Semir deswegen, als sein Freund das Telefon sinken ließ und unglücklich an die Decke starrte. „Semir-ich wollte das nicht, aber als Sarah gesagt hat, sie würde mich gerne umarmen, ist bei mir eine Mauer hoch gefahren und ich habe mich alleine bei der Vorstellung innerlich geschüttelt. Ach Semir-das ist doch keine Basis für eine Beziehung, wenn einem schlecht wird, wenn man an die Berührungen des Partners auch nur denkt, am besten ich gebe sie frei und ziehe mich komplett aus ihrem Leben zurück, vielleicht sollte ich ins Kloster gehen-kann man das überhaupt, wenn man verheiratet ist und Kinder hat?“ fragte er nachdenklich und Semir holte sich nun kopfschüttelnd sein Telefon zurück. „Also Ben-jetzt beginnst du aber komplett zu spinnen! Das mit dem Kloster weiss ich nicht, aber seien wir mal ganz ehrlich-so wahnsinnig christlich bist du ja nicht, du bist einfach durch Estelle schwer traumatisiert und ich hoffe, der Psychologe kann dir und damit auch deiner Familie helfen. Und das mit dem Kloster ist dir jetzt nur eingefallen, weil es da nur Männer gibt-wetten? Jetzt schlaf erst einmal-du hast ja gehört, den Kindern geht es besser und auch Sarah wird sich erholen-du siehst das ja an mir, ich bin auch ein paar Tage flach gelegen, aber jetzt geht es wieder, das ist eben eine Mistgrippe, die da umgeht. Wir werden jetzt und heute deine Probleme nicht lösen können, aber gemeinsam schaffen wir das mit der Zeit und du wirst wieder glücklich sein-ich versprechs dir!“ sagte er mit mehr Überzeugung, als er tatsächlich verspürte.
Frauen waren da empfindlich, auch Andrea hatte merkwürdig reagiert, als Ben vor ihr zurück gezuckt war und sie war ja nicht seine Frau-oh je, das würde noch was geben. Hoffentlich hatte der Psychologe da einen guten Plan und auch er selber war ja furchtbar unsicher, wie er sich den anderen gegenüber verhalten und was er sagen sollte, ohne Ben bloß zu stellen und sein Vertrauen zu gefährden. Allerdings das eine war klar-Ben war sein bester Freund und er war sehr froh, dass der wenigstens seine Nähe ertragen konnte und als sie jetzt nach dem Durchgang der Nachtschwester, die Gott sei Dank nur zur Türe herein gesehen und gefragt hatte, ob alles in Ordnung war, das Licht löschten, fand er sich wenig später auf Ben´s Bettrand sitzen und den trösten, denn der hatte im Schutze der Dunkelheit wieder verzweifelt zu schluchzen begonnen-oh je, wenn er ihm nur helfen könnte!