In Eile
September in Köln. Die Sommerferien waren vorbei und auf den Straßen im Revier der Autobahnpolizei der Alltag eingekehrt. Mit ihm kam auch der dichte nachmittägliche Berufsverkehr zurück, freitags noch verstärkt durch die Wochenendpendler, die es eilig hatten, zu ihren Familien nach Hause zu gelangen. Die Folge war stockender Verkehr, auf welche Hauptstraße rund um die Rheinmetropole man auch blickte. Als sich mehrere Auffahrunfälle, allesamt zum Glück nur mit Blechschäden, ereigneten, war für die Beamten der PAST an einen pünktlichen Feierabend nicht mehr zu denken. Ben Jäger und Alex Brandt unterstützten ihre Kollegen Jenny Dorn und Dieter Bonrath bei der Aufnahme der Unfälle, andere Streifenbeamten leiteten den Verkehr über eine freie Spur an den Unglücksstellen vorbei. Sie stellten sich allesamt auf einen langen Arbeitstag ein. Nur einen trieb es beizeiten zurück zur Dienststelle:
Semir Gerkan stellte seinen BMW auf den Parkplatz vor der PAST ab und betrat kurz darauf schnellen Schrittes das Gebäude. Er war in Eile. Denn er hatte heute noch etwas Besonderes vor. Susanne, die Sekretärin der Autobahnpolizei und das Herz der Dienststelle, begrüßte ihn mit den Worten: „Mensch Semir, wo bleibst du denn? Andrea hat schon zweimal angerufen, ist dein Handy ausgeschaltet?“ Semir kramte sein Mobiltelefon aus seiner Jackentasche und verzog sein Gesicht zu einer Grimasse. „Akku leer, Mist. Ich weiß, ich bin spät dran. Wo sind …“ Er schaute sich um. „In der Küche“, half ihm Susanne auf die Sprünge, „und jetzt mach, dass du loskommst!“
Semir war schon in der Küche der Dienststelle verschwunden, auf deren Arbeitsplatte eine Vase mit einem großen Blumenstrauß stand. Er nahm den Strauß an sich, ließ ihn einige Sekunden über der Spüle abtropfen, griff sich dann kurzerhand ein herumliegendes Geschirrtuch, mit dem er die Blumenstiele umwickelte und ging in Richtung Ausgang. „Dir einen schönen Feierabend! Ach, und Susanne, ruf doch Andrea an und sag ihr, ich sei unterwegs.“ – „Mach ich, und euch einen schönen Abend. Und ein schönes Wochenende!“
Semirs Vorfreude auf den Abend war geteilter Natur. Klassik zählte nicht gerade zu seinen bevorzugten Musikrichtungen. Zwar kannte er die Namen der Komponisten, die heute Abend auf dem Programm standen, und wollte Andreas Worten, er würde gewiss nahezu jedes der gespielten Stücke kennen, wenn er es erst einmal hörte, gerne Glauben schenken, sah aber trotzdem dem etwa zweieinhalbstündigen Konzert mit gemischten Gefühlen entgegen.
Aber es war ihr Hochzeitstag und er war erleichtert, diesen überhaupt heute mit Andrea feiern zu können, denn ihre gerade überwundene Trennung hätte beinahe zur Scheidung geführt. Andrea hatte sich dieses Konzert zur Feier des Tages gewünscht, und er hatte sich gefügt und die Karten besorgt. Der zweite Teil des Abends versprach dann schon eher nach seinem Geschmack zu verlaufen. Er hatte einen Tisch bei einem guten Italiener reserviert und am nächsten Tag dienstfrei.
Zuhause wurde Semir stürmisch von Ben, dem neuesten, vierbeinigen Familienmitglied, begrüßt. Trotz der Eile ging er kurz in die Hocke und herzte den noch jungen Hund, so viel Zeit musste sein.