Die beiden Scheichs, die inzwischen ihre traditionelle Kleidung angelegt hatten, hatten mit Sarah und Corinna an der Raststätte angehalten. Gerade hatte das Midazolam wieder in der Wirkung ein wenig nachgelassen, so dass die beiden zwar noch benommen waren, aber doch selber gehen konnten. Sie durften nacheinander zur Toilette, allerdings blieb die jeweils andere als Geisel zurück und die Männer drohten: „Wenn eine von euch zu fliehen versucht, wird das die andere fürchterlich büßen!“ Sarah hatte das Gefühl, ihre Gedanken flössen zäh wie Honig, aber dann flüsterte sie plötzlich entsetzt: „Meine Kinder!“ aber die Scheichs lächelten böse: „Ein weiterer Grund, warum ich mich ruhig verhalten würde!“ sagte der eine und in Sarah war plötzlich eine furchtbare Angst, die sie lähmte-oh Gott, hoffentlich hatten die brutalen Typen denen nichts angetan und als sie fragte: „Was ist mit ihnen und wo sind sie?“ bekam sie keine Antwort, aber eines war für sie jetzt klar, sie würde sich wohl verhalten, damit sie die für sie wertvollsten Menschen auf der Welt-neben Ben natürlich-nicht in Gefahr brachte. Ihr brach es beinahe das Herz, wenn sie daran dachte, dass die vermutlich inzwischen aufgewacht waren und nun alleine in der fremden Wohnung waren, Angst hatten und nach der Mama weinten. Nur der Gedanke, dass Jenni ja noch vorbei kommen wollte, hielt sie davon ab, jetzt und sofort wahnsinnig zu werden-und den anderen Gedanken, der sich in ihren Kopf schob und das Bild von zwei ermordeten Kindern zeigte, konnte und wollte sie nicht zulassen, sonst würde sie auf der Stelle verrückt werden.
Corinna konnte zwar ebenfalls noch nicht richtig denken, aber ihr fiel das Handy ein, das sie immer noch in ihrer Hosentasche spüren konnte. Wenn sie in der Kabine war, würde sie es wagen und die Polizei verständigen! Als sie sich erleichtert hatte, kramte sie mit zitternden Fingern das Mobilteil hervor und versuchte es einzuschalten. Ihre Finger waren so ungeschickt und die brennenden Augen wollten ihr immer wieder zufallen, aber sie bemühte sich, ruhig zu bleiben und hatte gerade zu wählen begonnen, als plötzlich die Tür zu ihrer Kabine mit Wucht aufgebrochen wurde, der Scheich mit zornblitzenden Augen vor ihr stand, ihr das Handy aus der Hand riss, es zu Boden warf und mit dem Absatz zertrat. Der Toilettengang hatte eindeutig zu lange gedauert und er war misstrauisch geworden. Gerade war zufällig keine andere Frau in dem Waschraum gewesen, die sich beschweren könnte und so war er wie der Racheengel in Person herein gestürmt und zerrte nun-nachdem er das Handy in den Müll geworfen hatte- Corinna am Arm hinter sich her, die leichenblass geworden war. „Ich hoffe du hast jetzt gerade keinen Fehler gemacht-aber warte nur, bis wir zuhause sind, dann werde ich dir schon Manieren beibringen!“ zischte er zwischen zusammen gebissenen Zähnen hervor und Corinna lief es kalt den Rücken herunter, sie hatte plötzlich ziemliche Angst! Wenig später saßen die beiden Frauen wieder im Fond des Mietwagens, sie hatten sich noch kurz angesehen und beide festgestellt, wie verändert die jeweils andere durch die farbigen Kontaktlinsen aussah. Auch eine vorwitzige Haarsträhne die sich ihren Weg nach draußen gesucht hatte war plötzlich schwarzbraun gewesen-was war nur mit ihnen geschehen? Bevor sie allerdings noch wacher wurden, hatte sich erneut eine Nadel ihren Weg in ihren Oberschenkel gebahnt und die bleierne Müdigkeit und völlige Willenlosigkeit umfing sie wieder und sie merkten kaum, wie der Wagen am Frankfurter Flughafen einfach abgestellt wurde, die Rollkoffer ausgeladen wurden und sie zur Gepäckaufgabe und zum Check-in bugsiert wurden. Die Waffen hatten die Scheichs in dem Wagen zurück gelassen, mit denen würde schwer durch die Sicherheitskontrollen zu kommen sein, aber mit den hilflosen Frauen würden sie schon anderweitig fertig werden und die Drogen, die sie dabei hatten, waren ausreichend, um die bis in die Heimat gefügig zu machen. Wie in Trance liefen die beiden durch die Sicherheitsüberprüfung, nachlässig wurden die Papiere kontrolliert und die Frauen in ihren Burkas wurden auch nicht durchsucht. Danach dämmerten Sarah und Corinna erneut im Wartebereich vor sich hin, bis sie dann über Rolltreppen in die Maschine gelangten und in der ersten Klasse in bequeme Sitze gedrückt und angeschnallt wurden. Der Flugbegleiter hatte schon begonnen sein Sprüchlein aufzusagen, wie man sich im Notfall verhalten sollte und gerade rollte man Richtung Startbahn, als der Flieger plötzlich anhielt und sich Unruhe breit machte.
Der deutschtürkische Polizist hatte seinen Ausweis gezückt und war zu dem Mitarbeiter des Sicherheitsdienstes gestürzt, der sich breitbeinig im Terminal aufgebaut hatte, damit niemand durch das Drehkreuz zu den Start-und Landebahnen gelangen konnte. „Gerkhan, Kripo Autobahn-es besteht der dringende Verdacht, dass sich an Bord der Maschine nach Riad Terroristen befinden, eventuell auch mit einer Bombe-mein Kollege und ich müssen sofort die Passagiere einer Sichtprüfung unterziehen!“ schrie er und Hartmut, der gerade hinter Semir, der gerannt war wie der Teufel, aufschloss, konnte wegen diesem klugen Schachzug nur bewundernd den Kopf schütteln. Diese beiden Schlagworte: „Terroristen und Bombe“ setzten Mechanismen und Reaktionen in Gang, die kein Flughafenbetreiber und kein Securitymitarbeiter ignorieren konnte. Dabei war es ja nach wie vor nur Vermutung ihrerseits, dass Sarah und Corinna sich an Bord befanden, Hartmut wagte gar nicht daran zu denken, was passieren würde, wenn sie mit ihrem Verdacht falsch lagen! Semir und er, sie würden degradiert werden, er würde in Zukunft die Toiletten in der KTU putzen und Semir würde wieder auf Streife gehen, aber das war dem kleinen Deutschtürken, dem das Adrenalin durch die Adern schoss, gerade völlig egal. Der Mitarbeiter der Flughafensicherheit war blass geworden-verdammt, wie sollte er sich verhalten, aber auch Hartmut hatte nun seinen Ausweis hervor gezogen, der war echt. Der Mitarbeiter wägte ab, aber was letztendlich den Ausschlag gab, war die Aufforderung: „Kommen sie mit und bringen sie gerne auch Kollegen mit und verständigen sie ihre Vorgesetzten, aber wir müssen uns erst einmal unauffällig verhalten, um die Verdächtigen nicht aufzuscheuchen, vielleicht gelingt uns eine einfache Festnahme!“ und so saßen Sekunden später Hartmut und Semir gemeinsam mit dem Sicherheitsdienstler auf einem Elektrowagen und Semir hatte wie selbstverständlich das Steuer übernommen und raste zur Maschine, während soeben alle Starts und Landungen gecancelt wurden. Mit seiner Aussage hatte Semir gerade einen der Welt größten Flughäfen lahm gelegt, aber bei der aktuellen politischen Lage wagte kein Airport eine solche Warnung nicht ernst zu nehmen!
Semir fuhr, was das Wägelchen her gab und als er die Maschine erspäht hatte, wurde gerade schon eine fahrbare Gangway für sie heran gerollt. Der saudische Flugkapitän war über Funk verständigt worden und war blass geworden-sowas war sozusagen der Supergau für alle, die im Flugverkehr arbeiteten und auch er hatte Familie und war für die Sicherheit seiner Passagiere verantwortlich. So kam es, dass wenig später Semir und Hartmut in den Flieger gelangten und der Kapitän sich auf Englisch für die Verzögerung entschuldigte, man müsse noch zwei verspätete Passagiere an Bord nehmen. Nur die potentiellen Terroristen keinen Verdacht schöpfen lassen, damit die keine Kurzschlusshandlung begingen!
Hartmut und Semir hatten begonnen, durch die Reihen der Passagiere zunächst in der Economy Class zu gehen. Aufmerksam musterten sie die Gesichter der Menschen, aber es kam ihnen keines bekannt vor, obwohl so einige Frauen in Burkas darin saßen. Unruhe machte sich im Flugzeug breit und Semir befürchtete schon, dass ihn sein Riecher verlassen hatte, da betrat er die Erste Klasse. In diesem Moment sprang einer der Scheichs auf, den gerade die Nerven verließen-das konnte doch nicht wahr sein-so kurz vor dem Ziel aufgehalten zu werden ging einfach nicht-er würde sich Zutritt zum Cockpit verschaffen und die Maschine kapern, aber da hatte er nicht mit Semir gerechnet. Wie ein angriffslustiger Terrier sprang er auf ihn zu und hatte im selben Moment auch Sarah und Corinna in den Burkas erkannt, obwohl die durch die farbigen Kontaktlinsen sehr verändert aussahen! Der Scheich hatte Sarah jetzt abgeschnallt und hoch gerissen: „Wenn sie nicht sofort verschwinden, bringe ich sie um!“ schrie er und legte seinen Arm von hinten um ihren Hals, als wolle er ihr das Genick brechen, aber da war Semir schon bei ihm. Mit einem Tritt in die Kniekehle brachte er den Scheich dazu, Sarah los zu lassen, die benommen zur Seite taumelte. In bester Bodyfightmanier landete Semir auf engstem Raum einige Körpertreffer mit denen der Scheich nicht gerechnet hatte. Außerdem legte der normalerweise nie selber Hand an und hatte sich nicht einmal in seiner Kindheit geprügelt-wer mit dem goldenen Löffel im Mund geboren wurde hatte das in seiner Heimat nicht nötig! So schaffte es Semir ohne große Gegenwehr den dunkelhaarigen Mann kampfunfähig zu machen, zu Boden zu werfen und ihm Handschellen anzulegen. Der andere hatte sich komplett ruhig verhalten und nicht erkennen lassen, dass er dazu gehörte, aber Hartmut hatte mit geübtem Blick die Nervosität in den Augen des Mannes gesehen und auch, wie er Corinna am Arm festhielt. „Keine falsche Bewegung!“ sagte er nun warnend und tat so, als würde er eine Waffe ziehen, dabei hatte er weder die noch Handschellen dabei, aber Semir drückte ihm nun den gefesselten Scheich in die Hand, setzte dem anderen seine Waffe an die Schläfe und sagte: „Tu was mein Kollege gesagt hat, sonst puste ich dir dein Gehirn weg!“ und nun ergab sich auch der zweite Scheich.
„Sarah-Corinna, geht es euch gut?“ fragte Semir nun, während hinter ihnen nun das Flugzeug plötzlich vor Menschen nur so wimmelte. Die Flughafenpolizei war hinzu geeilt und wenig später wurden die beiden Männer, bei deren Durchsuchung man noch zwei verdächtige USB-Sticks und mehrere Spritzen und Ampullen fand, mit einem Polizeifahrzeug mit verdunkelten Scheiben zum Verhör weggebracht und zwei Krankenwagen und ein Notarzt kümmerten sich um Sarah und Corinna, die immer noch nicht wussten, was mit ihnen gerade geschah. „Wie siehts aus?“ fragte Semir besorgt den Notarzt, der den beiden Frauen eine Infusion gelegt hatte. „Soweit ich das beurteilen kann, nicht all zu schlecht. Denen wurde mehrfach ein Sedierungsmittel gespritzt, ich denke das war Midazolam, wie ja die Ampullen, die sie bei den Entführern gefunden haben, beweisen. Da gibt es ein Antidot dafür, das spritze ich ihnen jetzt!“ sagte er und tatsächlich-wenig später konnten Sarah und Corinna sich wieder orientieren. „Was ist mit Tim und Mia-Sophie?“ fragte Sarah sofort angstvoll, aber Semir konnte sie beruhigen: „Die sind bei eurer guten Seele Hildegard, es geht ihnen soweit gut!“ sagte er und nun atmete Sarah erleichtert auf. „Gott sei Dank!“ sagte sie schwach, aber dann schloss sie ein wenig die Augen, sie war plötzlich nur noch eines-hundemüde!