Auf der Intensiv angekommen, hatten inzwischen die beiden Pflegekräfte, die zurück geblieben waren und derweil die restlichen Patienten versorgt hatten, einen verwunderten Patienten aus der Einzelbox auf den Flur geschoben, wo er darauf wartete, dass die Schwester der Normalstation ihn abholte. „Frechheit-mitten in der Nacht verlegt zu werden!“ beschwerte sich der frisch operierte, aber stabile Patient, aber da bekam er von der Intensivpflegekraft ordentlich Bescheid gestoßen. „Seien sie froh, dass es ihnen so gut geht, dass man sie auf die Normalstation verlegen kann, andere haben nicht das Glück“, sagte sie, desinfizierte den Bettplatz und rüstete ihn auf, als auch schon Ben um die Ecke gefahren wurde und den mosernden Patienten verstummen ließ, als er im Vorbeifahren einen Blick auf den Neuzugang werfen konnte. Ach du liebe Güte, der sah ja wirklich schlimm aus, alles war voller Blut, sogar der Arzt hatte Spritzer im Gesicht und auf seiner Kleidung. Aus dem Hals des jungen dunkelhaarigen Mannes ragte ein Schlauch, den der Arzt fest hielt, das Gesicht war immer noch bläulich verfärbt und die angeschwollene Zunge hatte gar keinen Platz im halb geöffneten Mund. Nun schwieg der Verlegungskandidat still, dagegen ging es ihm wirklich gut, er hatte zwar eine große Bauchoperation hinter sich, war aber abends sogar schon kurz vor dem Bett gestanden, aber ob der neue Patient das überleben würde, wagte er zu bezweifeln, so wie der aussah!
Das stationäre Beatmungsgerät war schon im Zimmer und der Notfallwagen wurde bereit gestellt. Mehrere Trachealkanülen in unterschiedlichen Größen lagen zur Auswahl und gerade zog eine Schwester noch die Sedierungsperfusoren und das Noradrenalin auf, damit man Ben auch richtig tief schlafen legen konnte. Außerdem hatte man mehrere Coolpacks aus dem Gefrierschrank geholt und legte die-versehen mit einem Überzug- bereits auf Ben´s Leisten und nahm die dünne Zudecke weg, die nur zum Rüberfahren als Sichtschutz gedient hatte, um ihn jetzt zu kühlen und damit den Sauerstoffbedarf seines Gehirns herunter zu fahren.
„Die Ehefrau hat ihn gefunden,“ teilte der Pfleger seinen Kolleginnen mit und weil die anderen ja Sarah bereits kennen gelernt hatten, äußerten sie Worte des Mitleids. „Welch ein Alptraum, aber hättet ihr gedacht, dass er ein Selbstmordkandidat ist?“ fragte die eine Schwester und übereinstimmend schüttelten alle den Kopf. „Dann hat er aber entweder gut geschauspielert oder es war eine Kurzschlussreaktion!“ kamen sie zum Schluss, aber letztendlich würde das nur Herr Jäger selber beantworten können, wenn er das überleben sollte und danach wieder fähig war zu sprechen.
Der Arzt hatte inzwischen das andere Beatmungsgerät einstellen lassen, man hatte in Windeseile Ben vom Defimonitoring an den normalen Intensivmonitor umgehängt und nun würde man den langen Endotrachealtubus gegen eine kurze, dicke Trachealkanüle austauschen. „Ein weiterer Grund, warum ich froh bin, dass jetzt keine Angehörigen hier rumschwirren!“ bemerkte der Intensivarzt und griff schon zum derben, sterilen Spreizer-jetzt hatte er aber einen Mundschutz, einen sterilen Kittel und sterile Handschuhe angelegt.
Der Tubus hatte nur einen Innendurchmesser von 6,5mm, das war zur Notfallbeatmung schon einmal kurzfristig Recht, aber angesichts von Ben´s Größe und damit auch der Weite seiner Luftröhre waren sechseinhalb Millimeter definitiv zu klein. Dadurch hatte er einen erhöhten Atemwiderstand und so entschied sich der Arzt für eine Trachealkanüle mit einem Innendurchmesser von 11mm. Diese Kanüle war wesentlich kürzer als der Tubus, da sie ja von Anfang an nicht dafür vorgesehen war, die Strecke vom Mund oder der Nase bis unter den Kehlkopf zu überwinden, sondern direkt vom Hautniveau in die Luftröhre führte, dort mit einem Bindeband um den Hals sicher befestigt werden konnte und durch eine innenliegende Metallspirale im Latexkörper auch sehr viel gewebefreundlicher und flexibler war. Allerdings war es ein relativ brutales Unterfangen das Loch im Hals des Patienten so zu vergrößern, dass die dicke Kanüle dort hinein passte.
Man hatte derweil die Sedierungsperfusoren eingeschaltet, so dass Ben in einer tiefen Narkose lag, er bekam ein Muskelrelaxans, damit er nicht dagegen spannen konnte und wie schon erwartet, reagierte er damit, dass sein Kreislauf einbrach. Man stabilisierte diesen mit Noradrenalin und Volumengabe, also einer schnell gestellten Infusion, beatmete ihn weiter mit 100% Sauerstoff, saugte ihn ab, machte eine Blutgasanalyse aus dem ZVK, um zu wissen wo man stand, verabreichte ihm Bicarbonat gegen den niedrigen ph und als sich die Situation halbwegs eingependelt hatte, führte die Schwester, die jetzt den Tubus übernommen hatte, in diesen einen mit sterilem Gleitgel versehenen Führungsstab ein, der ein wenig länger war wie der Endotrachealtubus. Auf ein Nicken des Arztes entblockte sie dann den Tubus und zog ihn rasch über den Führungsstab, der als Schiene in der Luftröhre verblieb, heraus. Jetzt ging es um jede Sekunde, denn solange die Trachealkanüle nicht lag, war Ben komplett ohne Sauerstoffversorgung und so führte der Arzt jetzt den Spreizer neben dem Führungsstab in die Halswunde ein, drehte sein Instrument und dehnte und erweiterte in einer brutal wirkenden Aktion das Loch in Ben´s Hals, was auch ein hässliches Geräusch gab, als die Membran unterhalb des Kehlkopfs weiter einriss. Freilich hätte man rein theoretisch auch mit dem Skalpell den Schnitt sauber vergrößern können, aber man dachte im Moment einer Intubation immer schon an die Extubation und ein so entstandenes Loch wuchs wesentlich schneller zu als ein sauberer Schnitt. Eine weitere Schwester saugte das austretende Blut mit einem Sauger ab und rasch hatte die Pflegekraft die neue Trachealkanüle über den Führungsstab gefädelt und der Arzt übernahm sie nun und schob sie relativ gewaltsam in Ben. Sobald der Cuff, also der kleine Silikonballon am unteren Ende der Trachealkanüle, unter dem Hautniveau verschwunden war, blockte die Schwester ihn, der Arzt hielt den Beatmungsschlauch trotzdem noch eisern fest und zog nun den Führungsstab heraus, man schloss erneut den Ambubeutel an, beatmete Ben damit ein paar Mal und der Doktor hörte nun den Brustkorb ab, ob die Lunge seitengleich belüftet war.
„Alles klar, ich lege jetzt gleich noch eine Arterie und dann gehe ich kurz duschen und mich umziehen!“ bemerkte der Arzt, auf dessen Brille ebenfalls kleine Blutspritzer zu entdecken waren. „Tun sie sich keinen Zwang an-ausnahmsweise kostet es auch keinen Kuchen, wenn sie beim Arterielegen ein wenig herum sauen!“ bemerkte die Schwester, während sie jetzt das voreingestellte Beatmungsgerät mit aufgestecktem geschlossenen Absaugsystem routiniert an die Trachealkanüle anschloss, noch einen speziellen mit Metall beschichteten Verband auf die frische Wunde legte und ein Haltebändchen um Ben´s Hals zog und in der passenden Weite mit Klett einstellte-jetzt war die Kanüle fest und sicher fixiert und konnte so leicht nicht mehr heraus rutschen.
„Wir machen ihn nachher kurz sauber und möchten ihn dann in ein frisches Bett umlagern, sonst werden wir hier mit dem Putzen überhaupt nicht mehr fertig!“ erklärte sie, während sie schon die benötigten Dinge zum Legen eines arteriellen Zugangs aus dem Eingriffswagen holte. Der Arzt hatte den einen Kittel inzwischen ausgezogen, desinfizierte nun erneut seine Hände und schlüpfte dann in einen frischen sterilen Kittel und Handschuhe. Flugs legte er nach ausreichender Desinfektion eine Arterie in Ben´s Unterarm und da ging natürlich-wie sollte es auch anders sein-kein Tröpfchen daneben. „Habe ich jetzt einen Kuchen gut?“ fragte der Arzt schmunzelnd, aber die Pflegekraft, die derweil in Windeseile das Arteriensystem vorbereitet hatte und jetzt ein arterielles Blutgas vom Arzt in die Hand gedrückt bekam, das sie zur Analyse weiter gab, während sie schnell das Kunststoffschläuchlein verklebte und mit dem kalibrierten und genullten Arteriensystem mit Druckdom verband. Sie spülte alles durch und begann dann auch schon, ihren Patienten zu waschen, damit das frische Bett, das die Kollegen derweil schon aus der Schleuse geholt hatten, nicht beschmutzt wurde. „Nein lieber Doktor-du hast keinen Kuchen gut, ich habe doch gesagt-jetzt wäre es egal gewesen, ist nicht mein Problem!“ befand die Schwester und diese kleinen verbalen Kabbeleien und Rituale halfen allen, die auf einer Intensivstation arbeiteten, die oft psychisch sehr belastenden Situationen besser zu verarbeiten.
Ein ehernes Gesetz besagte-wenn ein Arzt und sei es der Chefarzt persönlich- ein frisches Bett außerhalb einer Notfallsituation mit Blut versaute, musste er den Schwestern einen Kuchen spendieren, bevorzugt selbst gemacht, aber man gab sich auch mit Gefrierware zufrieden. So wusch die Schwester jetzt, während der Arzt sein Tun auf mehreren Zetteln, Reaprotokollen und im PC dokumentierte, Ben soweit nötig herunter, ihr Kollege, der derweil wie die anderen auch seine eigenen Patienten und die der Kollegin, die Ben betreute, versorgt hatte, half ihr den jungen Polizisten zu drehen und auch seine Rückseite und die dunklen Haare, die ebenfalls voller inzwischen bereits gerinnendem Blut waren, soweit möglich zu säubern und eine frische Einmalunterlage unter zu schieben. Als das geschehen war, hielt der Arzt noch die Trachealkanüle und den ZVK fest und übernahm den Kopf, während man Ben nun mit einem Rollbrett in das frische Bett zog und als man nun die Beatmungsparameter der Maschine anhand den Ergebnissen des Blutgases angepasst hatte, schloss man noch die Temperaturmessung an das Kabel des bereits seit der ersten OP am Rücken liegenden Dauerkatheters an und legte ein kühles Thermacairgebläse mit einer Einmaldecke über Ben, damit man die Zieltemperatur von 32-34°C erreichte.
„So-jetzt können wir nur abwarten und hoffen, dass die Zeit der Mangelversorgung des Gehirns nicht zu lange war,“ bemerkte die Schwester und der Arzt verabschiedete sich, nachdem er kurz nach den anderen elf Patienten gesehen hatte, unter die Dusche in seinem Bereitschaftszimmer, das unmittelbar neben der Intensivstation lag. „Und gell Doktor-es gilt-wenn jetzt ne Rea kommt, möchten wir deinen Luxuskörper sofort und möglichst unbekleidet zu Gesicht bekommen!“ rief die Schwester ihm nach und der Arzt stöhnte mit einem gespielt genervten Gesichtsausdruck auf. „Wetten, dann könnt ihr euch nicht mehr auf eure Arbeit konzentrieren!“ rief er über die Schulter zurück und das Lachen des Pflegepersonals verfolgte ihn noch, bis er aus der Tür war.