Die Bankräuber waren uns entkommen,
wir hatten keinerlei Chancen.
Mitten auf der Autobahn war hinter uns eine Massenkarambolage ausgebrochen, die eine Menge Aufruhr mit sich zog.
Verstärkung war bereits per Funk von Semir geordert worden.
Danach schien er sich um einige Opfer gekümmert zu haben.
Und ich? Wo hatte es mich hingetrieben?
Unweigerlich lief ich zurück.
Ich wollte Leben retten, für Gerechtigkeit sorgen…..
Rasch durchsuchte ich in den herumliegenden Autowracks nach verbleibenden verletzten Personen,
zertrat unter meinen Fußsohlen die Glasscherben, hinterließ ein beträchtliches Knirschen, als diese in noch kleinere Splitterzerschmetterten.
Mein Blick fiel geradeaus in die Frontscheibe eines Transporters, in dem ein Mann eingeklemmt schien.
Zum Glück konnte sich der Mann zwischenzeitlich selbst befreien.
Während er ausstieg, schrie er etwas von einer möglichen Explosion und ich sollte mich schnell in Sicherheit bringen.
Dabei huschte er schnell über die Leitplanke, war im Grünen verschwunden
Mein Tempo verlangsamte sich bis zum völligen Stillstand.
Ich stutzte, sondierte mit geschulten Augen die Umgebung, dann den Transporter.
Erkannte erschreckender Weise das Symbol eines Totenkopfes.
In meinem Kopf ratterte es nur so.
OH MEIN GOTT.
Der Schreck stand mir ins Gesicht geschrieben.
Ich musste so schnell wie möglich weg von hier.
Leider zögerte ich zu lange mit meinem Handeln,
noch immer war ich handlungsunfähig.
Noch ahnte ich nicht, welche Konsequenzen dies für mich hatte.
Zu spät erkannte ich die Gefahr.
'Jetzt sieh zu, dass du schleunigst hier verschwindest.
SCHNELL, RENN´.
WEG VON HIER.'
Ich drehte mich um, begann zu laufen.
Rannte um mein Leben.
Ein furchteinflößender Knall gellte laut auf, ließ mich erschrocken zusammenzucken.
Einige Tonnen giftiger Chemikalien waren hinter mir explodiert, in die Luft geschmettert worden….
Wohin?
Ich kannte den Weg nicht mehr.
Dennoch stürmte ich drauf los, ließ mich vom Innern treiben.
„BEN,“ drang mein Name aus Semirs Kehle geschrien etwas verzerrt an meine Ohren.
Blindlings drehte ich sofort meinen Kopf in die Richtung, aus der seine Stimme kam, gewissenhaft ihr folgend.
Um mich herum stieg dunkelgrauer Rauch in die Luft….
Blieb abrupt stehen, stand angewurzelt und unbeholfen inmitten der Zerrüttung.
Ich war umzingelt vom dickbeschichteten, trüben Nebel.
Überall, wo ich hinsah, nichts als Nebel.
Der feuchte Dunst benetzte meine Kleidung,
gelang unentrinnbar in meine blinzelten Augen.
Ein unbeschreibliches schmerzliches Brennen und Beißen durchzog meine Augen…..
Sie schienen verätzt.
Ich getraute mich nicht, mit meinen Händen dem Gesicht näher zu kommen.
Zu groß war die Angst, alles schlimmer zu machen.
Ich wusste nicht, was ich tun sollte.
Unter Schmerzen erzwang ich mich, die Augenlider nach oben anzuheben,
Dies war zum Scheitern verurteilt, funktionierte nur mangelhaft.
Was war das auf einmal?
Plötzlich war alles rabenschwarz….
Warum war alles Schwarz?
Das war…. ein purer Alptraum….
Hilflos fuchtelte ich mit meinen Armen um mich herum….
Hielt die Handinnenflächen doch vor meinen Augen, sie beizten unheimlich,
musste irgendetwas dagegen tun.
Kräftig kniff ich sie auf und zu.
Immer und immer wieder,
doch es blieb alles schwarz.
Verschluckt vom unendlichen Bodenlose.
Versunken in der Tiefe der Ewigkeit.
Nein. NEIN.
Mein Augenlicht wurde mir geraubt, dagegen war ich machtlos.
Verzweifelt sank ich auf die Knie nieder.
„SEMIR, WO BIST DU?
WO BIST DU?
ICH SEH NICHTS MEHR,“
kreischte ich alarmierend und verwirrt hinaus.
Ich… ich war…. blind…..
***
Wieder in der Gegenwart zurückgekehrt, liege ich desolat, fast depressivin einem Krankenbett.
Ich fühle den weichen Stoff einer Binde, die mir von fremden aber zarten Händen um meine Augen gelegt wurde.
Zwar hatte ichdie Stöpsel meines MP3-Players mit Musik im Ohr, konnte ihr aber keine Aufmerksamkeit schenken.
Unzählige Fragen durchströmten mein Gehirn, für etwas anderes gab es keinen Platz.
Semir ist ebenfalls da, befindet sich womöglich im Büro des Arztes und bespricht mit ihm, wenige Zimmer entfernt, die notwendigen Vorkehrungen der OP.
Die Infusion tröpfelt stetigmit dem Schlauch in meine Vene, rinnt so erfolgreich und zielstrebigin meinen Körperhinein.
Leider tat sie ihren Dienst nur zur Hälfte, denn beruhigen konnte die mich bislang noch nicht.
Erfolglosmache ich die Augen auf und zu,
es bleibt unverändert.
Schmerzlich wird mir bewusst, dass dieser Zustand nicht an der Binde lag.
Schwarz war es vor meinen Augen, hinter meinen Augen, einfach ALLES.
Weiterhin blieb mir das Licht der Welt verwehrt.
Mein Körper wollte schon dagegen rebellieren,
ich wollte es nicht wahrhaben!
War ich blind für nur einen Moment?
Blind - für immer?
Blind,
was ist Blindheit?
Wie ist es, blind zu sein?
Wie ist es, wenn manunerwartet von der einen auf die andere Sekunde kein Augenlicht mehr besitzt?
Plötzlichnichts mehr sehen kann?
Wie ist das?
Einfach die Augen schließen und nie wieder mehr öffnen?
Wer weiß das?
Ich weiß das.
Leider.
Im ersten Moment ein Schockzustand.
… verleitet von zäher Angst und aufsteigender Panik.
… arretiert in dertrostlosen ewigen Finsternis …
… gefangen in sich selbst….
….hilflos…
….einsam…..
….schutzlos ausgeliefert…
….ausgelöscht….
…. ohnmächtig….
Bin ich tot?
Oder lebe ich?
Wie könnte ich, wenn mich doch ein schwarzer Vorhang vom Leben trennte?
Meine Muskelnzittern vor Angst vor sich hin,
unwissentlich füllen sich meine geschlossenen Augen mit Tränen, die sofort von dem geschmeidigen Stoff der Binde aufgesogen werden.
Gibt es eine Möglichkeit, aus dieser unheimlichenSchwärze zu entfliehen????
Wahrscheinlich nicht….
50 zu 50 steht es….
Wie immer….
War das Schicksal?
Sollte meine Zukunft aussichtslos werden?
War es hoffnungslos?
50 % wurde mir zugesichert,
50 % lautete die Prognose….
50 % dass ich nach der OP wieder das Licht der Welt erblickte.
Ernüchternd, ich weiß.
Was sind schon 50 %?
Wo ist die Sicherheit?
Doch was ist, wenn ich tatsächlich nie wieder mehr sehen kann????
Ich müsste es akzeptieren… damit leben lernen….
KANN ICH DAS?
Ich weiß es nicht,
momentan bin ich feige.
Doch ein Ben Jäger ist nicht feige!
Ein Ben Jäger gibt sich nicht so einfach geschlagen!
… einiges an Zeit müsste vergehen…..
Aber ich würde es schaffen!
Meine Sinne würden intensiver werden….
Meine Ohren würden zu denen eines Luchses werden…..
Nichts könnte mich mehr so leicht täuschen…..
Meine Wahrnehmung würde genauer werden….
… aber von meinen Mitmenschen würde ich anders behandelt werden,
ständig umsorgt, bemitleidet…
…..behindert wäre ich für sie…..
…. das will ich nicht……
.….NEIN…..
Die Musik wird sanft aus meinen Ohren entnommen,
höre das klappernde Geräusch vom Ablegen des Players auf den daneben stehenden Nachttisch.
Dumpfe Schritte einer weiteren Person höre ich näher an mein Bett treten,
ziehen mich komplett aus den Gedanken heraus.
Einer der Körpergerüche verrät mir, dass Semir mitunter ist.
Den erkenne ich unter Tausenden.
Kurz darauf werden die Stopper an meinem Bett von der Schwester gelöst.
Jetzt ist es also soweit…
Ich bin auf dem Weg in den OP.
Semir läuft, den schnellen Schritten der Schwestermithaltend, nebenmir am Bett entlang,
hält dabei,mir kräftegebend,meine Hand in seine.
Auch auf diesem schweren Weg begleitet mich mein bester Freund.
„Es wird schon schief gehen,“sagt er leise mit sorgenvoller Stimme zu mir.
Ein täuschendes Lächeln breitet sich im quälendenen Gesicht quer über meine Lippen aus.
Die Worte hallen in meinem Kopf umher….
Irgendwie nehme ich keine richtige Notiz mehr wahr,
lasse seine Worte einfach unbeachtet weiterziehen….
Ein misstrauisches und flaues Gefühl breitet sich in meiner Magengegend aus.
Die tonnenschwere Last auf meinem Herzen wird schwerer.
Die Angst dominiert zusehends und kriecht unaufhaltsamin jede einzelne Zelle meines Körpers.
Wie wird es ausgehen?
Bleibe ich blind?
´Es wird schon schief gehen´