Robin Hood, Robin Hood
Riding through the glen.
Robin Hood, Robin Hood
With his band of men.
Feared by the bad, loved by the good.
Robin Hood, Robin Hood, Robin Hood
—The Adventures of Robin Hood (ITV series, 1955-60).
1
Eine dicke schwarze Fliege flog wieder und wieder gegen die Fensterscheibe, suchte verzweifelt den Weg nach draußen. Dr. Maria Gioioli beobachte Jenny Dorn, wie sie das Insekt mit ihrem grünen Augen verfolgte. Auch sie schien sich hier gefangen zu fühlen und sehnte sich nach der Freiheit.
„Jenny, ich habe Sie etwas gefragt.“
Die junge Polizistin spielte nervös mit ihrem mintfarbenen Pullover und löste nur langsam ihren Blick von der Fliege. „Entschuldigung“, sagte sie mit belegter Stimme. „Ich habe nicht zugehört. Wie war die Frage?“
Dr. Maria Gioioli lächelte. „Ich wollte wissen, ob Sie immer noch Albträume haben.“
„Ja.“
„Aber Ihnen ist inzwischen bewusst, dass sie nichts für den Tod ihres Kollegen Dieter Bonrath können?“
Wieder kam ein leises Ja als Antwort.
Sie musterte ihre Patientin. Jenny saß angespannt auf dem Sofa, die Beine überschlagen und die Arme inzwischen vor ihrer Burst verschränkt. Eine eindeutige Defensivposition und ein Anzeichen dafür, dass noch viel Arbeit auf sie warten würde.
„Und dennoch haben Sie sich anfangs dagegen gesträubt, einem anderen Kommissar zugewiesen zu werden. Sie kennen aber doch die Regeln der Polizei, oder?“
„Ja, sicher.“
„Herr Gerkhan ist Ihnen lange ein guter Freund und Kollege gewesen, was war der Grund dafür, dass sie bei Ihrer Chefin vorgesprochen haben.“
„Was wollen Sie von mir hören?“, fragte Jenny.
„Nun ja, wollen Sie sich nicht vielleicht dazu äußern, weshalb Sie hier sind.“
„Ein guter Freund hat mir dazu geraten, er hat ähnliches durchgemacht“, antwortete die junge Frau und rutschte dabei nervös hin und her.
„Dann wird er aber auch erwähnt haben, dass Sie mit mir sprechen müssen.“
Jenny stöhnte und raufte durch ihre Haare. Sie schluckte schwer und Dr. Maria Gioioli sah, wie die Hände ihrer Patientin zu zittern begannen.
„Wenn ich alleine bin, dann stirbt niemand, weil er ich beschützen will“, presste die braunhaarige Polizistin heraus und sah auf die große Uhr, auf der die Minuten langsam heruntertickten.
„Sie werden diese Prüfung bestehen müssen, Frau Dorn.“
„Ich weiß … natürlich“, kam es leise von dem Sofa. „Sie sind eine starke junge Frau, lassen Sie sich nicht von der Angst beherrschen.“
„Was hast du für mich?“
Semir duckte sich unter dem rot-weißen Absperrband durch und ging in Richtung eines Audi A4, dessen Vordertüren weit geöffnet waren. Er war vor 20 Minuten angerufen worden, dass man eine Leiche gefunden hatte, Genaueres hatte man ihm allerdings noch nicht mitgeteilt.
„Ich würde sagen, er ist gestern Nacht gestorben. Massives Kopftrauma“, erklärte ihm der Gerichtsmediziner. Ein blonder großgewachsener Kerl, dessen Namen sich der Kommissar nie merken konnte. Semir nickte, während er dem Polizeifotografen bei der Arbeit zu sah. „Ist es hier passiert? In dem Wagen oder wurde er hierher gefahren?“ Der erfahrene Polizist sah sich um und machte sich ein Bild von dem Rastplatz. Keine Überwachungskameras – das wäre auch zu schön gewesen!
„Er ist ganz sicher nicht im Wagen gestorben“, wurde seine Frage beantwortet.
Der Fotograf machte noch ein paar Bilder, dann überließ er Semir das Feld und der Kommissar der Autobahnpolizei machte einige Schritte auf den Wagen zu und lugte hinein. Ein Mann saß auf dem Beifahrersitz, die Rückenlehne war zwar blutig, aber nicht so blutig, als das man das Auto als Tatort in Betracht ziehen könnte, da hatte der Mediziner schon Recht gehabt. Er beugte sich in das Auto herein, um auch das Gesicht des Opfers sehen zu können.
„Heilige!“ Er preschte wieder aus dem Wagen und schnappte Luft. Das konnte doch nicht sein! Das war vollkommen unmöglich.
„Du kanntest ihn?“, fragte der Mann von der Rechtsmedizin.
„Maximilian Alexandsky. Wir sind schon seit einigen Monaten hinter ihm her. Er schmuggelt Drogen und Waffen … oder hat es zumindest.“
„Oh.“
Semir beugte sich jetzt wieder hinein und begutachtete den Toten, der immerhin jetzt einen Namen hatte und den Fall weitaus weniger spektakulär machte. Vermutlich handelte es sich ganz einfach um Streitigkeiten im Banden-Milieu. Nicht mehr und nicht weniger, so hart es auch klang.
„Wo treibt sich eigentlich Brandt rum? Ich sollte ihm eigentlich einen netten Gruß von Nele ausrichten.“
Er beugte sich wieder aus dem Auto heraus. „Alex ist in Afrika, kommt nicht wieder zurück.“
„Wie?“
„Was musst du denn da nachfragen?“, hakte er kurz angebunden nach. Diese Fragereien anderer Kollegen trieben ihn in den Wahnsinn und das ließ er sie inzwischen auch spüren, nachdem er ähnliche Fragen schon hundert Mal beantwortet hatte.
„Und jetzt? Musst du alleine ermitteln?“ Der Rechtsmediziner hatte seine Neugier noch nicht aufgegeben.
„Nein. Frau Dorn wird so lange an meiner Seite sein, bis die Stelle von Alex neu besetzt wurde.“
Ehe der Mediziner neue Fragen stellen konnte, hatte Semir das Weite gesucht. „Ruf mich an, wenn du die erste Untersuchung beendet hast“, rief er noch und stieg dann hastig in seinen Wagen ein. Er lehnte sich in seinem Sitz zurück und atmete tief durch. Die Wut über den nächsten neuen Partner hatte sich inzwischen gelegt, aber es hieß nicht, dass er Alex nicht vermissen würde. Sie hatten sich gerade erst aneinander gewöhnt und waren doch in den letzten Monaten ein eingespieltes Team geworden. Langsam kam es ihm vor, als würde er seine Kollegen öfters wechseln als seine Autos. Er seufzte. „Und jetzt noch so ein Mordfall. Na toll!“
Semir wollte gerade den Motor starten, um in Richtung Dienststelle zu fahren, da klopfte es an der Scheibe. Der Rechtsmediziner stand neben seinen Wagen. Er ließ die Fensterscheibe herunter. „Was denn noch?“, schimpfte er.
„Es gibt da etwas, dass solltest du dir ansehen.“
Der Deutschtürke schaltete den Motor wieder, stieg aus und ging dann zurück in Richtung des Audi.
„Also? Was war so dringend?“, fragte er angespannt.
Der Rechtsmediziner hielt ihm eine Beweistüte hin, in der ein Zettel eingetütet war. „Das haben wir in seinem Mund gefunden.“
Semir zog die Augenbraue hoch. „In seinem Mund?“
„Ja.“
Semir nickte und begutachtete den Zettel, den man ihm gereicht hatte. Schuldig. Gezeichnet Robin Hood, stand darauf. „Wer ist Robin Hood?“, murmelte er.
„Zentrale Held mehrerer spätmittelalterlicher bis frühneuzeitlicher englischer Balladenzyklen. Du weißt schon den Reichen neh…“
„Jaja, das meine ich doch nicht“, fuhr Semir dazwischen. „Ich meine, wer ist unserer Robin Hood. Doch wohl kaum einer von Alexandsky Konkurrenten. Niemand würde sich Robin Hood nennen.“
„Nun, das herauszufinden ist deine Aufgabe.“ Der Rechtsmediziner lächelte breit und verabschiedete sich dann von ihm.
Semir studierte den Zettel wieder. „Immerhin hat der Mörder eine Visitenkarte hinterlassen, ist doch auch nett.“