Der silberfarbene BMW fuhr dicht am Nordfriedhof vorbei. Der Fahrer suchte eine freie Parklücke und fand, nachdem er dreimal ums Eck gefahren war, endlich eine Möglichkeit das Fahrzeug abzustellen. Er stieg aus, griff das kleine Gesteck, welches er am Sarg niederlegen wollte und betrat das Gelände des Friedhofes. Links von ihm war die Trauerhalle, vor der sich schon eine Traube von Menschen befand. Er kannte sie nicht, aber er wusste, dass der Verstorbene sehr viele Freunde hatte. Mit gesenktem Kopf ging er in die Trauerhalle und wurde von leiser Musik, die die Stimmung, die hier herrschte untermalte, empfangen. Er spürte eine leichte Übelkeit auftreten und atmete tief durch. In der ersten Reihe saßen bereits ein paar Personen und er erkannte, dass es die Familienangehörigen waren. Mit etwas schweren Schritten ging er zum Sarg, der vor den Sitzreihen aufgestellt war. Rings um den Eichensarg standen Kerzen in großen Ständern, die mit Blumengirlanden geschmückt waren. Auf dem Sarg selbst lagen rote und weiße Nelken, die sich in einem schönen Farbwechsel zeigten. Er beugte sich runter und legte das Gesteck ab. Dann stellte er sich vor den Sarg und faltete seine Hände. „Mein Freund…“ sagte er leise. Irgendwie konnte er sich gar nicht vorstellen, dass hier sein Freund lag. Er passte doch gar nicht in dieses enge Gehäuse. Das ging doch gar nicht. Die Erinnerungen an diesen Mann, kamen in seinen Kopf. Er sah ihn lachend vor sich stehen. Er sah, wie die Augen des Mannes voller Lebenskraft strahlten. Sollte das alles vorbei sein? Sollte er seine Stimme nie wieder hören? Mit einem tiefen Atemzug seufzte er auf. „Ich werde dich nie vergessen, das verspreche ich dir. Du wirst mir sehr fehlen, das weiß ich. Ich hoffe nur, dass du jetzt deinen Frieden findest.“ Er wischte sich eine Träne weg und drehte sich um. Marvin Traber, der Sohn des Verstorbenen, den er schon von Kindesbeinen an kannte, saß auf dem Stuhl. Völlig in sich gesunken und er erkannte an den zuckenden Schultern, dass die Trauer sich hier auf der natürlichsten Weise zeigte. Er ging zu ihm und überlegte sich auf den kurzen Weg, was er zu diesem Mann sagen konnte. Wie konnte er ihn trösten? Dieser Verlust, den er soeben durchmachte, war nicht wegzureden. „Marvin, ich… Es tut mir leid. Wenn ich etwas für dich tun kann, dann…“ Der Angesprochene nickte und hob den Kopf. Die Augen waren stark gerötet. „Setz dich doch, Semir…“ Er folgte dem Wunsch und ließ sich auf den Stuhl neben Marvin nieder.
Ingo Herberg betrat die Trauerhalle. Er trug einen schwarzen, dem Anlass entsprechenden, Anzug und trat an das Rednerpult. Er räusperte sich und das Gerede in der Halle verstummte. Die Trauergäste setzten sich und sahen ihn erwartungsvoll an. Er holte tief Luft. „Wir sind unsagbar traurig. Er fehlt uns so sehr. Nichts mehr wird sein, wie früher, denn da wird immer eine Lücke bleiben, die er bisher ausgefüllt hatte. Mit Dr. Frank Traber sind wir wunderbare Wege gegangen. Wir haben gelacht, gefeiert, gehofft. Mit ihm sind wir auch durch dunkle Gassen gegangen, haben gebangt, geweint und doch wieder gehofft. Wir weinen um ihn und werden unsere Wege weitergehen. Er ist nicht mehr da und doch ist er ganz nah bei uns. Denn er wird ewig in unseren Gedanken, in unseren Erinnerungen und in unsere Herzen sein. Dort hat er nun einen Platz. Wir werden ihn nicht vergessen, denn wir sind für immer dankbar, dass wir ihn bei uns hatten.“ Er machte eine kurze Pause, denn ein tiefer Seufzer und Schluchzen aus der ersten Reihe, ließ ihn verstummen. Er sah die Ehefrau des Verstorbenen und bemerkte, dass sie schon fast hyperventilierte. Die Trauer war hier extrem und auch er musste sich zusammenreißen. Immerhin musste er noch einiges vortragen. „Da ist ein Land der Lebenden und da ist ein Land der Toten. Als Brücke dazwischen ist die Liebe, die wir Dr. Frank Traber entgegen gebracht haben und die auch nach dem Tod immer noch spürbar ist. Da ist ein Land der Lebenden. Wir haben dieses Land mit Frank erlebt. Manche von uns sind mit ihm einige Schritte gegangen, andere fast den gesamten Lebensweg. Über die Zeit im „Land der Lebenden“, gemeinsam mit ihm, haben wir viele Erinnerungen und können sehr viel erzählen. Gerade in den letzten Tagen, sind so viele dieser Erinnerungen wieder wach geworden. Uns, den Hinterbliebenen bleibt nur zu sagen. Danke! Danke für all die Liebe! Danke für alles, was du gegeben hast!“ Wieder legte er eine Pause ein. „Man sagt, dass Gott uns vor allem Unheil bewahrt und doch fragen wir uns gerade jetzt, warum er es zugelassen hat, dass Frank so leiden musste. Man kann sehr gut verstehen, dass gerade die engsten Verwandten nun am liebsten schreien würden, Gott, warum hast du ihm das zugemutet? Warum so viel unerträgliches Leid, Schmerz und Verlust? Es ist in diesem Schmerz sehr gut zu verstehen, wenn wir nun den Glauben an Gott verlieren. Man sagt, er sei für uns, wie ein Hirte für seine Schafe, doch dann muss er hören und sehen, wie verzweifelt wir sind, wie bedrückt, wie voller Trauer, Schmerz, Zweifel und Enttäuschung. Ihm und uns ist zu viel zugemutet worden. Wir können nicht mehr so einfach an den guten Gott glauben. Das Leid der letzten Tage, Wochen und Monate bedrückt uns noch. Doch nun, wo wir Abschied von Frank nehmen, sehen wir ihn nicht mehr als leidenden Mann, der er in seiner Krankheit war. So behalten wir ihn nicht in Erinnerung. Nun ist es an der Zeit, unseren Blick wieder zu öffnen und ihn so zu sehen, wie er die meiste Zeit seines Lebens war. Denn so wollen wir uns an ihn erinnern. Als Mann voller Lebenskraft, voller Liebe und Engagement. Wenn wir auf sein ganzes Leben blicken, dann sehen wir ihn auch als unbeschwertes Kind, als lebenslustigen Jugendlichen. Wir sehen die Hochzeit der Liebe, wir sehen ihn als glücklichen Vater, als Mann, der liebt und da ist, wenn man ihn braucht. Wir sehen seine Wünsche und Hoffnungen, von denen sich sehr viele erfüllten. Gemessen daran, war er nur für eine kurze Zeit ein kranker, leidender Mann, der seine Schmerzen selten zeigte. Wir durften ihn gern als einmaligen, glücklichen, starken Mann und Vater in Erinnerung behalten. Das war er. Darum sagen wir mitten in die Trauer hinein: DANKE! Danke an Gott, der ihm das Leben schenkte. Danke an Gott, der ihm begleitete, wie ein Hirte seine Schafe. Danke, dass wir ihn bei uns haben durften. Danke sagen wir ihm, dem wir nun nur noch hilflos nachblicken können. Danke, für alle Liebe! Danke, für alles, was er uns gegeben hat! Wir hätten gern mehr Zeit gehabt, ihm viel davon zurück zu geben. Wir geben ihm nun unsere Liebe ein Leben lang und sagen: Auf Wiedersehen! Lasst uns zum Abschluss das „Vater unser“ beten.“ Ingo faltete seine Hände und stellte sich vor die Trauergemeinde. Alle standen auf.