Im Patientenzimmer fackelte man nun nicht lange, Ben wurde aufgedeckt, man relaxierte ihn vorsichtshalber-das bedeutete, dass man ein Muskelrelaxans in seine Blutbahn spritzte, das alle Muskeln für einen gewissen Zeitraum erschlaffen ließ, damit er sich nicht wehren und unbewusst auf das teure Endoskop beißen konnte und dann verdunkelte man den Raum. Erst nahm der Internist eine normale Magenspiegelung vor, damit er eventuelle Auffälligkeiten in der Speiseröhre erkennen konnte und führte dann durch den Mund, am Tubus vorbei, die gedrungene Ultraschallsonde ein, mit der er sich das Herz aus nächster Nähe betrachten konnte. „Ich sehe eine Wandverdickung, aber keinen Anhalt für Thromben!“, berichtete er dann den gespannt lauschenden Zuhörern und Sarah´s Kollegin atmete auf. So schlimm eine Myokarditis, also eine Entzündung der Herzmuskelschicht auch war-bei einer Endokarditis, einer Herzinnenhautentzündung, kam es sehr häufig zu einer eitrigen Zerstörung der Herzklappen und wenn die Thromben sich los rissen, manchmal zu Schlaganfallsymptomen oder dem Absterben von Gliedmaßen. Es waren zwar beides schwerwiegende Erkrankungen, die zum plötzlichen Herztod führen konnten, aber wenn der junge Polizist das überleben sollte, war das sogenannte Outcome, also das Endergebnis besser als bei einer Endokarditis.
Rasch zog der Untersucher nun das Endoskop aus Ben´s Mund und schob blind durch die Nase eine relativ dünne Ernährungssonde mit Mandrin. Als man von der Länge her vermuten konnte, dass man sich im Magen befand, entfernte er den Mandrin. Man setzte eine Magensondenspritze, die 60 ml fasste, gefüllt mit Luft, auf den Ansatz und während die Pflegekraft die Luft kraftvoll in die Sonde blies, hörte der Arzt auf Ben´s Oberbauch, wo ein typisches Blubbern verriet, dass die Sonde richtig lag. Rasch verklebte man sie auf der Nase und hängte zunächst einen Ablaufbeutel daran, der den Magensaft nach außen abfließen lassen würde-ob man die Sonde befeuern, also Wasser oder Sondenkost in geringen Mengen über eine Sondenpumpe zuführen durfte, würden später die Chirurgen entscheiden-immerhin war Ben am Darm operiert worden.
In diesem Augenblick begann Ben erneut zu flimmern, aber nach einem sofortigen Stromstoß limitierte sich seine Herzfrequenz wieder und der Kardiologe seufzte auf. „Wir werden um einen implantierten Defi nicht herum kommen, ich rufe nachher den zuständigen Chirurgen an, die sollen schauen, was für Modelle wir im Lager haben und die OP planen, aber jetzt möchte ich erst noch den Piccokatheter legen, damit wir das Volumenmanagement optimieren können!“, teilte er den Anwesenden seine weiteren Planungen mit.
Der Eingriffswagen wurde näher gefahren, rasch rasierte man Ben´s Leisten, denn bei der vorangegangenen Not-OP hatte man aus Zeitgründen darauf verzichtet und dann zog sich der Internist einen Mundschutz, eine Haube und einen sterilen Kittel und Handschuhe an. Man hatte das Sterilset geöffnet, in dem sich außer dem Piccokatheter und der Desinfektionslösung alles befand, was man zu einem kleinen Eingriff brauchte. Der Kardiologe ließ sich noch einen speziellen Sterilbeutel mit Kontaktgel für die Ultraschallsonde geben, nahm den Inhalt des Piccosets an sich, zog noch sterile Kochsalzlösung auf und kurz darauf hatte er nach dem Abstreichen und Abdecken der Leiste mit dem Sonographiekopf die Femoralisarterie dargestellt und mit einer dicken Spezialnadel punktiert. Mit Seldingertechnik, also durch das Auffädeln des Arterienkatheters über einen Führungsdraht brachte er das Kunststoffschläuchlein in die Arterie ein, spülte es durch und nähte es fest. Alles Weitere, wie das Anschließen eines frischen Arteriensystems, den Aufbau der Messinstrumente und Thermistoren, den sterilen Verband und das Einmessen der Werte würde ein junger Assistenzarzt gemeinsam mit der Intensivschwester übernehmen und er zog sich jetzt rasch Kittel und Handschuhe aus, desinfizierte seine Hände und griff dann zum Telefon, um mit dem zuständigen Chirurgen und dem Zentrallager die Implantation eines Schrittmachers mit Defifunktion abzustimmen. Zweimal hatte man nämlich während der Vorbereitungen wieder ein gefährliches Kammerflimmern mit einem Stromstoß behandeln müssen, niemand konnte sagen, wie lange es dauern würde, bis sich das Herz erholte und ob nicht als Spätfolge Herzrhythmusstörungen bleiben würden, sofern der Patient das Ganze primär überlebte.
„Wenn ihr fertig seid, lasst nochmals kurz die Angehörigen herein und bereitet ihn vor, aber in etwa einer halben bis einen Stunde wird Herr Jäger in den OP abgerufen. Ich gehe mit und programmiere dann vor Ort gleich den Schrittmacher und den Defi, aber jetzt werde ich noch kurz die Dinge aufarbeiten, die in der letzten Stunde liegen geblieben sind-sagt mir Bescheid, wenn es los geht!“, bat der kardiologische Oberarzt nach den Telefonaten seine Truppe, sah sich noch die Ergebnisse der Piccomessung an, die aber aktuell zeigten, dass sie mit ihrer Therapie richtig lagen und so saßen wenig später Sarah und Semir wieder neben Ben´s Bett und warteten aufgeregt, bis er abgerufen wurde. „Bitte-ich will wenigstens bis zum OP mitkommen, ich weiss, dass ich nicht mit rein darf, das haben die Chirurgen nicht so gerne, aber wir möchten dann wieder vor der OP-Abteilung auf ihn warten, das hat heute schon einmal Glück gebracht!“, bat Sarah und mit einem Lächeln beschied ihr ihre Kollegin, dass da nichts dagegen sprechen würde.
Wieder hängte man Monitore, Messinstrumente und Perfusoren um, setzte Ben eine grüne Einmalhaube auf und auch wenn zweimal während der Wartezeit sein Herz wieder Kapriolen schlug und er geschockt werden musste, jedes Mal erholte er sich sofort wieder und Semir begann verwundert fest zu stellen, dass er sich allmählich an diese Situation zu gewöhnen begann-ach du lieber Himmel!
Inzwischen war es vierzehn Uhr geworden und langsam setzte sich nach dem Abruf zur OP der Intensivtransport in Bewegung. Die OP-Säle lagen in einem anderen Stockwerk und so hatten sie gerade den geräumigen Aufzug betreten und der hatte sich kaum in Bewegung gesetzt, als plötzlich ein Ruckeln durch die Kabine ging und das Licht verlöschte. „Verdammt noch mal-was ist denn jetzt los?“, fluchte der Kardiologe und hämmerte im gespenstischen Licht der Monitore und Perfusoren, die den kleinen Raum wenigstens ein bisschen erhellten, auf die Aufzugknöpfe und den Notruf, aber nichts rührte sich-sie steckten fest!