Wanke, der inzwischen keinerlei Symptome mehr hatte und sich völlig gesund fühlte, hatte mit gekriegt, dass etwas schief gelaufen war. War Natascha jetzt tot oder nicht? Er wusste es nicht, aber als er auf einem der Monitore neben seinem Bett ihre Vitalzeichen mit ihrem Namen darüber erschienen, konnte er sogar als medizinischer Laie erkennen, dass sie zumindest aktuell noch am Leben war und als seine Bewacher nach den Hilferufen der Schwester dann plötzlich los rannten, um den Attentäter zu überwältigen, wusste er, dass er verloren hatte. Wenn Natascha eine Aussage machen konnte, wäre er dran-da konnten tausend Staranwälte um seine Freiheit kämpfen, zumindest die nächsten Jahre würde er in Ossendorf einsitzen und da hatte er überhaupt keine Lust darauf! Außerdem vertraute er auch dem Bekannten aus der Unterwelt nicht-wenn man den genügend unter Druck setzte, würde der vermutlich singen wie ein Vöglein und ihn ebenfalls ans Messer liefern. Er hatte vielleicht nur noch diese eine Gelegenheit, sich aus dem Staub zu machen und so schaltete er seinen Monitor auf Standby, wie er es beim Pflegepersonal beobachtet hatte, als er vorhin in Begleitung zur Toilette gedurft hatte, schnappte sich in Windeseile die Plastiktüte mit seinen Klamotten, die am Fußende des Bettes lag, zog den Zugang aus seinem Arm, machte die Überwachungskabel ab und nutzte den allgemeinen Aufruhr, um aus dem Zimmer zu verschwinden.
Er spazierte frech ins Arztzimmer, wo er sich anzog und gleich noch einen weißen Arztkittel und ein Stethoskop ergatterte, die über einen Stuhlrücken hingen. Der Stationsarzt kümmerte sich gerade um Natascha und als Wanke wenig später durch einen Nebeneingang der Intensiv in aller Ruhe aufrechten Schrittes langsam hinaus spazierte und dabei noch huldvoll einer vorbei eilenden Schwester zunickte, war die der Meinung, er wäre zumindest Oberarzt oder Professor-in so einem großen Haus konnte man auch nicht jedes Gesicht kennen. Der Designeranzug und die edlen Schuhe, die dezente Krawatte und das farblich abgestimmte Hemd unter dem Arztkittel ließen auf eine höhere Position schließen.
Langsam ging er übers Mitarbeitertreppenhaus nach unten, marschierte wieder freundlich grüßend, aber doch Respekt einflößend, zum Haupteingang hinaus, wo er in ein bereit stehendes Taxi stieg und dem Fahrer sein Ziel nannte. Der war überrascht und erfreut-oh das war eine gute Fuhre-da war wenigstens was verdient! Außerdem wirkte der Arzt im Fond sehr souverän und vertrauenerweckend-er gab der Zentrale sein Ziel durch und fuhr dann zügig los. Gerade als sie das Klinikgelände verließen, bogen mehrere Polizeifahrzeuge mit Blaulicht auf dasselbe ein und Wanke wunderte sich laut: „Um Himmels Willen-was ist denn da schon wieder los?“, fragte er und philosophierte dann gemeinsam mit dem Fahrer darüber, wie unsicher es doch auf dieser Welt geworden sei.
Als Semir auf der Intensiv ankam-er hatte zwei Stufen auf einmal genommen- stand einer der beiden Bewacher wie ein begossener Pudel vor dem leeren Zimmer, alle anderen Räume der Station hatte er bereits durchsucht, während der andere immer noch den Attentäter im Auge behielt, bis die Kollegen eintrafen. „Wir haben schon den Sicherheitsdienst verständigt, die klappern die Klinik ab-weit kommt er nicht in seinem Krankenhaushemd!“, sagte er, aber als Semir nach Wanke´s Kleidung fragte, kam der Polizist erst auf die Idee danach zu sehen und stieß dann einen Fluch aus-die Tüte war verschwunden!
Nun hielt Semir es nicht mehr aus-er musste erst nach Natascha sehen, bvor er Wanke verfolgte, aber gerade wurde ein leichenblasser Sanitäter aus dem Zimmer geschoben. „Sie wird versorgt-dieses Schwein hat sie vergiftet, ich weiss nicht, ob sie das überlebt!“, erklärte der tonlos und wies auf den Attentäter, der mit auf den Rücken gefesselten Händen auf einem Stuhl saß und schwieg wie ein Grab. Kurz erschien eine Schwester in der Tür und rief aufgeregt: „Fragt ihn, was in der Spritze ist und wie viel sie davon injiziert bekommen hat!“, aber auch als Semir ihn an den Haaren packte, seinen Kopf in den Nacken bog, ihn mit flammenden Augen ansah und ihn anblaffte, sagte der Verbrecher momentan nichts-er musste gerade überlegen, wie er aus dieser Nummer am besten wieder raus kam! Allerdings hatte er ebenfalls mitbekommen, dass sein Auftraggeber sich aus dem Staub gemacht hatte-der würde ihn vermutlich nicht mehr schützen können und er wäre wegen Mordversuchs dran. Vielleicht sollte er doch kooperieren und dadurch eine so kurze Haftstrafe wie möglich raus schlagen-einfahren würde er sowieso und nachdem Ossendorf für ihn sowas wie eine zweite Heimat war, wusste er, was nun alles auf ihn zukam. Allerdings war wiederum zu bedenken, dass Wanke´s Arm vermutlich bis in den Knast reichte und wenn heraus kam, dass er ihn verpfiffen hätte, würde er seinen Aufenthalt dort nicht überleben. Der Klügste war der Attentäter auch nicht und so dachte er erst einmal angestrengt nach, wobei ihm der kleine türkische Polizist durchaus Angst einjagte-der war ein gefährlicher Gegner.
Semir rief in Natascha´s Zimmer hinein, denn sehen konnte er nichts, die medizinischen Maßnahmen fanden hinter dem zugezogenen Vorhang statt: „Geben sie mir die Spritze, ich bringe sie in die KTU, dort kann mein Kollege sicher den Inhalt analysieren!“, bot er an, aber in diesem Augenblick machte der Attentäter den Mund auf: „Es ist säurehaltiger Toilettenreiniger und in der Spritze waren 20ml“, verriet er und sagte auch noch den Markennamen dazu-das würde sich sicher strafmildernd auswirken.
Inzwischen war ein zweiter Arzt hinzu geeilt, der sofort sein Telefon zückte und in der Giftnotrufzentrale anrief. Dort erfolgte eine fachliche Beratung und als der Arzt die Fachinformationen dem Kollegen und dem Pflegepersonal mitteilte, wurden zusätzlich zu den allgemeinen Notfallmaßnahmen gleich eine Blutgasanalyse und mehrere Serumröhrchen aus dem noch liegenden arteriellen Gefäßzugang entnommen und dann Natriumbikarbonat als Pufferlösung an den ZVK angehängt. Man hatte Natascha´s Bett sofort flach gestellt und ihr eine Sauerstoffmaske aufs Gesicht gedrückt. Ihre Eigenatmung funktionierte noch und sie stöhnte auch leise auf, denn es brannte jetzt wie Feuer in ihrer Brust. Allerdings machte dann ihr Kreislauf schlapp, der Blutdruck rauschte ab, sie verdrehte die Augen und so brachte man nicht nur das Bett in Kopftieflage, sondern stellte auch die Infusion sehr schnell. Sie bekam Adrenalin in Verdünnung gespritzt und als ihr Körper wieder einen Druck aufbaute, schlug sie auch sofort wieder die Augen auf. „Es tut so weh!“, stöhnte sie und nun injizierte man ihr noch ein wenig Morphin, damit sie erstens besser mit den Schmerzen zu Recht kam und zweitens wirkte das auch beruhigend.
„Die im Giftnotruf sagen, es kann, muss aber nicht zu Herzrhythmusstörungen kommen, die Gefäßwände können beschädigt worden sein, daher vermutlich die Schmerzen in der Brust und es besteht die Gefahr einer allergischen Reaktion und des Kreislaufversagens. Wir sollen sie gut überwachen, ihr heute noch mindestens fünf Liter Infusion geben, damit die Nieren gespült werden und prinzipiell kann auch die Leber geschädigt werden, da diese Organe miteinander ja das Gift abbauen müssen. Sie denken in Bonn allerdings, bei der relativ geringen Menge von fünf Millilitern, hat sie reelle Chancen das Ganze zu überleben-hätte sie alles gespritzt gekriegt, hätten wir keine Möglichkeit mehr gehabt, sie zu retten.“, gab der Arzt weiter, was die Toxikologen in der Giftnotrufzentrale des Landes NRW in Bonn ihm gesagt hatten und als Natascha´s Werte sich jetzt langsam normalisierten, keine Symptome einer Allergie zu beobachten waren und man das Bett auch wieder in Normallage bringen konnte, atmeten alle Helfer auf. „Ich denke, wir sollten jetzt ihren Freund und Retter neben ihr Bett setzen, damit er sie noch ein bisschen beruhigt, wir machen engmaschige Laborkontrollen und stellen die Alarmgrenzen im Monitor sehr scharf, damit wir sofort symptomatisch reagieren können, wenn noch etwas nachkommen sollte“, gab der Stationsarzt die Behandlungsstrategie weiter und als wenig später der Notfallwagen heraus gefahren wurde und das ganze Personal den Raum verließ, erblasste der junge Mann zunächst und musste von Semir gestützt werden. Oh Gott-war es vorbei und Natascha war tot? Aber als man ihn dann freundlich herein bat, ihm einen Stuhl neben das Bett seiner Angebeteten stellte und ihm versicherte, dass er ihr das Leben gerettet hatte, flossen die Tränen des Glücks aus seinen Augen. Gewissenhaft wie er war, bat er noch um ein Telefon und gab in der Rettungsleitstelle Bescheid, dass er aus persönlichen Gründen leider nicht für den erkrankten Kollegen einspringen könne und als er dann neben Natascha´s Bett Platz nahm und ihre immer noch eiskalte Hand ergriff , dabei erst den Monitor und dann seine Freundin musterte, lächelte sie ihn müde an-inzwischen hatte man auch die Sauerstoffmaske gegen eine Brille ausgetauscht: „Danke mein Held!“, flüsterte sie und jetzt konnte Stefan nicht anders, sondern beugte sich über sie und ihre Lippen verschmolzen zu einem nicht enden wollenden Kuss.