Sarah fing sich als Erste wieder und robbte so schnell sie konnte unterm Bett hervor. „Ben!“, rief sie und versuchte sich einen Überblick über seine Verletzungen zu verschaffen. Der Blick auf den Monitor verriet ihr, dass er zwar tachykard war, also sein Herz viel zu schnell schlug, aber als sie die Blutdruckmessung mechanisch auslöste, war der Druck zwar erniedrigt, aber nicht im bedrohlichen Bereich. Sie stellte sofort die Infusion schnell und währenddessen war Semir ein wenig unsicher ebenfalls an die Seite seines Freundes getreten, jederzeit bereit den Raum zu verlassen, wenn der sich wegen ihm aufregte. „ Es ist endlich vorbei- deine Peinigerin ist tot. Ben wie geht es dir, hast du große Schmerzen?“, fragte er leise und als Ben ihn ohne jede Abwehrreaktion zwar mit vor Schmerzen ganz dunklen und leicht zusammen gekniffenen Augen ansah, nahm er einfach dessen beide blutigen Hände und hielt sie fest, damit Sarah sich die Bauchwunde ansehen konnte. Ben versuchte nicht sich zu entwinden und Sarah schlug das Krankenhaushemd hoch, war dann mit zwei Schritten am Pflegewagen, holte sterile Kompressen heraus und legte die auf die kleine Einschusswunde auf Höhe des Bauchnabels, aus der das Blut quoll. Eine weitere Kompresse befestigte sie auf der Oberarmwunde und dann lief sie zur Schleusentür, riss die weit auf und die Tür zum Intensivflur ebenfalls und schrie. „Wir brauchen dringend einen Arzt, Schmerzmittel, weitere Infusionen und einen OP- mein Mann wurde angeschossen. Die Täterin ist tot- es besteht keine Gefahr mehr!“
Das war genau die richtige Aktion gewesen, denn wie sie schon fast erwartet hatte, war inzwischen der Sicherheitsdienst, von den Schüssen alarmiert, eingetroffen, ihre Kollegen und der Stationsarzt verbargen sich in sicherer Entfernung und einer der Sicherheitsleute sprach aufgeregt in sein Funkgerät. Die Kollegen zögerten nur kurz, aber dann glaubten sie Sarah. Die würde sie nicht in Gefahr bringen. Der andere Patient war inzwischen stabilisiert und so schob man den Notfallwagen schnell vor das Isolierzimmer, der Arzt warf sich eilig einen Kittel über, legte einen Mundschutz an und schlüpfte in Handschuhe und eine Kollegin brachte auch schon zwei angewärmte Infusionsflaschen und zog ein Opiat auf. Sarah war inzwischen wieder zu ihrem Mann geeilt, aber der lag nun ganz ruhig mit an den Leib gezogenen Beinen da, stöhnte ein wenig und wartete darauf, dass ihm geholfen wurde. Eine Riesenlast war ihm von der Seele gefallen, da wogen die körperlichen Schmerzen wenig dagegen und Semir war wie selbstverständlich an seiner Seite, als wäre zwischen ihnen nie etwas gewesen.
Der Arzt drückte nur kurz auf den Bauch, was Ben zu einem Aufschrei veranlasste, analysierte dann die Werte auf dem Monitor und spritzte dann sofort eine ausreichende Dosis Opiat gegen die Schmerzen. Ben hörte auf zu stöhnen und während um ihn herum eine geschäftige Maschinerie anlief, schloss er die Augen und fühlte sich zum ersten Mal seit Tagen wieder geborgen, trotz der schlimmen Situation.
Der Arzt war kurz in die Schleuse getreten, hatte die Handschuhe und den Mundschutz ausgezogen und sein Handy aus der Hosentasche geholt. Er rief den OP-Koordinator an und wenig später war ein Saal für Ben bereit, eine erfahrene Anästhesistin würde ihn betreuen und die Chirurgen wuschen sich sofort steril. Dies war ein Notfall, da musste man die Hygieneregeln einfach herunter fahren, den Verletzten in kein frisches Bett zum Transport umlagern und eben danach gründlich desinfizieren. So packte man Ben´s Bett mit dem inzwischen angebauten Transportmonitor und der Stationsarzt und eine verhüllte Pflegekraft brachten ihn in die Operationsabteilung.
Sarah, die am liebsten mit gegangen wäre, wurde nun von Semir in die Arme genommen und während die endlich eingetroffene Polizei den Tatort absperrte, hatte Sarah zu zittern begonnen und ließ sich nur zu gerne von ihrem Freund trösten und beruhigen. Semir hatte den Kollegen mit kurzen Worten geschildert was geschehen und wer die Tote war. Er übergab seine Waffe einem uniformierten Polizisten und wenig später traf auch die Chefin ein, die man aus ihrer Besprechung geholt hatte. Susanne hatte, als sie die Alarmierung aus der Klinik erfahren hatte, sofort richtig kombiniert und auch Hartmut hielt es jetzt nicht mehr in der KTU, auch er musste vor Ort ins Krankenhaus, auch wenn in diesem besonderen Fall Kollegen aus einer anderen Dienststelle die Spurensicherung vornahmen. So wartete wenig später in einem neuen, blitzschnell geräumten Isolierzimmer ein kleines besorgtes Grüppchen auf Nachrichten aus dem OP, während Maria´s Leiche vom Gerichtsmediziner begutachtet und dann zur Obduktion abtransportiert wurde.
Ben war durch das Opiat inzwischen in einem Zustand in dem ihm alles egal war, er konnte nicht mehr klar denken, aber ein tiefer Frieden hatte von ihm Besitz ergriffen und ohne es bewusst formulieren zu können, wusste er, es lag an seiner Versöhnung mit Semir. Die Worte hallten an ihm vorbei, wie schon so oft beugten sich grün vermummte Gestalten über ihn und sprachen freundlich zu ihm, während er über die Schleuse auf den OP-Tisch umgelagert wurde. Man fuhr ihn direkt in den Saal, wo schon alles für eine Notfallintubation unter besonderen Bedingungen vorbereitet war. Anders als normalerweise erhöhte man das Kopfteil, aber als dann das Narkosemittel in seinen Adern an flutete, schloss er einfach die Augen und glitt ohne Gegenwehr in eine tiefe Narkose.