Nachtclub Innenstadt - 19:00 Uhr
Aus dem Inneren des Nachtclubs drang ruhige, der Location angepasste Musik, als Kevin seinen Wagen auf dem Parkplatz neben dem Club abstellte. Erik Peters Club war eine der besseren Adressen im Kölner Nachtleben, entsprechend waren die Fahrzeugmarken auf dem Parkplatz sortiert. Reiche Männer, die nach Feierabend Entspannung bei einem Gläschen Bier, Sekt oder Schnaps wollten, dabei hübsche Frauen begaffen und vielleicht zu späterer Stunde mit aufs Zimmer nehmen. Kevin hatte niemals Sympathie für den Job seines Vaters, auch wenn er in jungen Jahren kein Kind von Traurigkeit war... natürlich waren er und seine Clique in solchen Clubs unterwegs, wenn auch eine Preiskategorie tiefer. Der junge Punk hatte sich aber zumindest bei der käuflichen Liebe immer ausgenommen. Durch sein hippes und damals offenes Wesen und der Tatsache, dass er mit 16 schon älter aussah, als er war, schaffte er es manchmal mancher jungen "Angestellten" den Kopf zu verdrehen, ohne dass es auf ein Geschäft hinauslief. Geld bezahlt dafür, hatte er nie.
Die Verachtung für den Job seines Vaters, bevor er diesen Nachtclub aufgemacht hat, war ungleich größer. Erik Peters war davor ein Zuhälter, hatte nach alter Tradition seine Mitarbeiterinnen knapp gehalten und mehr mit Peitsche als Zuckerbrot im Griff. Was er an seiner Gewaltbereitschaft mal nicht an seinen Mädchen ausließ, steckte dafür Kevin als Junge ein, bevor er von zu Hause ausgerissen ist.
Seit Janines Tod hatten Kevins Vater und er selbst nicht mehr viele Worte gewechselt, nachdem Erik Peters seinem Sohn vorgeworfen hatte, schuld am Tod seiner Schwester zu sein. Sie suchten sich nicht, Kevin mied den Kontakt und es kam nur zu zufälligen Begegnungen, die nicht selten in lauten, beinahe gewalttätigen Auseinandersetzungen endeten. Der junge Polizist würde sich nie wieder von seinem Vater schlagen lassen, er würde sich wehren, das schwor er sich. Doch Erik schien das selbst auch zu wissen, und wenn der Streit an der Kippe stand, war meistens Kalle da um zu schlichten, wobei das Schlichten eher darin gipfelte, dass sie die beiden Streithähne sinngemäß mit den Köpfen gegeneinanderschlug.
Es war also das erste Mal seit über 14 Jahren, dass Kevin seinen Vater aus eigenem Antrieb aufsuchte. Wobei dieser Antrieb nun rein beruflicher Natur war... und natürlich dem Verlangen, Anis den Wind aus den Segeln zu nehmen falls er was mit der Sache zu tun hatte. Ausserdem würde er seinen Vater darauf ansprechen, warum ausgerechnet sein Name auf den Bestelllisten im Ragnarök auftauchte... der Name, der auf dem Blatt Papier stand das Kevin mitnehmen wollte und beim Sturz ins Hafenbecken verloren hatte.
Als er zur Bar kam, begrüßte ihn eine junge Schönheit dahinter mit einem bezaubernden Lächeln, das wohl jeden Mann auf der Suche sofort in seinen Bann zog. "Hi! Möchtest du was trinken?", fragte sie mit Augenaufschlag und schneeweißen Zähnen. "Nein danke. Ich wollte eigentlich...", begann er um nach dem Geschäftsführer, seinem Vater, zu fragen als eine weitere Frauenstimme, die sich von der Seite näherte, ihn unterbrach. "Kevin. Das gibts ja nicht, das ist ja ewig her." Er drehte den Kopf und sah eine knapp bekleidete Frau auf sich zukommen. Brandy nannte sie sich, hieß in Wirklichkeit Birgit, doch der bürgerliche Name versprühte nicht so sehr den erotischen Esprit weshalb sie sich vor 20 Jahren diesen Künstlernamen für diese Arbeit gab. Sie war ehemals eine "Angestellte" von Erik, teilweise seine Liebschaft. Mittlerweile war sie bestimmt Mitte 40, was man ihr aber nicht ansah. Sie kümmerte sich hier als gute Seele um die Tänzerinnen und die Bar. Die Frau umarmte den jungen Polizisten, gab ihm ein Küsschen auf die Wange und sah ihn an. "Gut siehst du aus. Bist ja ein richtiger Kerl geworden.", grinste sie und griff dem Polizisten an den Unterbauch, um ihre Aussage quasi zu kontrollieren, was Kevin kurz zum Grinsen brachte. Dann fuhr Brandy ihm noch durch die Haare: "Und zum Glück sind diese bunten Haare weg. Du willst doch nicht etwa zu deinem alten Herrn?" Sie wusste von dem äusserst schwierigen Verhältnis zwischen Vater und Sohn, wenn auch in erster Linie aus dem Mund Eriks. Doch Brandy kannte Erik und konnte sich ausmalen, dass dieser die Wahrheit schönte, deshalb hatte sie keine Vorbehalte gegen Kevin. Der zog die Augenbrauen hoch und meinte ernüchternd: "Leider doch..."
Brandy brachte Kevin zu Erik ins Büro, und hinter der Tür sah jeder Club gleich aus. Schummriges Licht, altes Haus, weil es in der Innenstadt von Köln stand und ein Büro der vor allem ausgestattet war mit Bildern, einem Tischchen mit Whiskey und einer dunklen Ledergarnitur. Erik Peters Arbeitsplatz erfüllte so jedes Klischee, ausser dass der Hausherr keine Zigarre im Mund hatte, sondern eine filterlose Zigarette, die er jetzt im Aschenbecher ausdrückte, als Brandy mit Kevin in der Tür erschien. "Schau mal, wen ich draussen verhaftet habe.", sagte die Frau scherzhaft bezogen auf Kevins Beruf. Dessen Laune ging, als er seinen Vater hinterm Schreibtisch sah, zusehends wieder in den Keller, was er durch seine Miene auch ausdrückte.
Erik schien überrascht vom Auftauchen seines Sohnes, hatte er doch nicht damit gerechnet. "Kevin... schön dass du da bist. Setz dich." Doch bereits diesen Gefallen tat Kevin ihm nicht, als Brandy den Raum verlassen hatte. "Was willst du?", fragte er ohne Begrüßung und hatte sich vorher entschloßen, erst einmal nach zu hören warum sein alter Herr überhaupt um einen Besuch bat. Vielleicht kam man dann schon auf das Thema, weshalb Kevin sich auf den Weg zum Nachtclub gemacht hatte.
Als Kevins Vater regestrierte dass sein Sohn lieber hinter dem Stuhl, der dem Schreibtisch gegenüberstand, stehen blieb als sich zu setzen, seufzte er. "Ich stecke in Schwierigkeiten." Die beiden Männer sahen sich an, beide mit den unverwechselbaren blauen Augen gesegnet. Ansonsten hatten sie äusserlich, bis auf die Größe, nicht mehr viel gemein. Erik Peters trug sein, immer noch dunkelbraunes Haar etwas länger im Nacken, seine Haut war gebräunt aber faltig und "verbraucht" von seinem ausgeprägten Zigarettenkonsum. "Was geht mich das an?", fragte sein Sohn kaltherzig. "Du kennst doch Anis Edhem Bourgiba, oder?" Aha, dachte Kevin... wir kommen der Sache sofort näher. Er schwieg, so dass Erik fortfahren musste. "Das... das war nicht gut, dass du ihm die... naja, die Zusammenarbeit gekündigt hast."
Nun wechselte der abwartende, abweisende Blick in Kevins Augen zu einem verwirrten, verständnislosen Blick. "Was soll das heißen?" Sein Vater seufzte, er musste ihm die Wahrheit sagen. "Das heißt, dass Anis Schutzgeld erpresst von verschiedenen Clubs in der Stadt. Und mich hat er quasi... verschont, weil du mein Sohn bist. Weil du Polizist bist und weil du ihm scheinbar früher auch den ein oder anderen Gefallen getan hast. Nur hab ich dich nie darauf angesprochen, weil ich dachte dass du... naja, dass du Anis sagst, dass du das nicht willst. Wegen unserm schwierigen Verhältnis." Und verdammt, damit hast du völlig recht, dachte Kevin in diesem Moment, als er nicht wusste ob er nun mit rasender Wut, Fassungslosigkeit oder anderen emotionalen Ausbrüchen reagieren sollte. Er starrte seinen Vater für einen Moment wortlos, bevor er die Sprache wiederfand. "Das ist jetzt nicht dein Ernst..."
"Kevin, versteh doch. Ich hatte keine Wahl. Zu dieser Zeit lief es im Laden nicht besonders gut und wenn ich dann an diesen Clan noch Schutzgeld hätte bezahlen müssen, wäre der Club vor die Hunde gegangen.", rechtfertigte sich Erik und zündete sich eine weitere Zigarette an. Kevin machte einen Schritt nach vorne Richtung Schreibtisch und zischte: "Das ist mir scheissegal! Um mich für so etwas auszunutzen bin ich gut genug, was?" Sein Herz pochte laut in seiner Brust und sein Gehirn versuchte, sachlich nachzudenken. Wollte Anis nun wirklich Schutzgeld erpressen... oder war es mehr ein Versuch, Kevin unter Druck zu setzen, nach dem Motto: "Wir quetschen deinen Vater aus wie eine Zitrone, wenn du uns nicht hilfst, Benny aus dem Knast zu bekommen." Anis Idee hatte nur einen Schönheitsfehler... sie funktionierte nicht, weil es dem jungen Polizisten am Allerwertesten vorbeiging, ob sein Vater zahlen musste oder nicht.
Erik Peters leckte sich über die Lippen. Nicht dass er ein schlechtes Gewissen hatte... sowas kannte er nicht, auch wenn er ganz selten das Verhältnis zu seinem Sohn bedauerte. Nein, er sah sich in der Zwickmühle. Für einen Moment hatte er Hoffnung, weil Kevin aufgetaucht ist, um zu helfen. Doch diese Hoffnung schwand mit dessen Reaktion. Dass der junge Polizist aufgrund anderer Hinweise da war, wusste der Nachtclubbesitzer nicht... und ohne diese Hinweise hätte Kevin die Anrufe seines Vaters weiterhin abgeblockt. "Ich weiß nicht, was Anis von dir verlangt. Aber... aber ich... ich wäre dir wirklich dankbar, wenn du mir helfen könntest." Beinahe ungläubig schüttelte Kevin den Kopf, und sagte einen Satz mit einer Eiseskälte in der Stimme: "Und wenn dein Leben davon abhängen würde... vergiss es."