Prolog
Kann man den eigenen Herzschlag verstummen hören? Bekommt man das noch mit? Gerade spürte er, wie das Herz fest gegen den Brustkorb schlug. Es hämmerte, als wolle es aus seinem knöchernden Schutzpanzer, den Rippen, ausbrechen. Es pumpte unaufhörlich Blut durch den Körper, doch je mehr es arbeitete, desto schlechter ging es dem Besitzer des zuckenden Muskels. Denn das Blut nahm nicht den normalen Weg durch seinen Körper, sondern trat schäumend aus zwei Schusswunden im Brustbereich aus ihm heraus. Es ging alles ganz schnell... ein Auto, Schüsse und ein stechender Schmerz. Er versuchte sich instinktiv sofort an das Auto zu erinnern, als hätte ihm ein Unbekannter gewunken, gegrüßt oder den Vogel gezeigt. Doch er hatte geschossen... und verdammt, er hatte getroffen.
Spürt man es, wenn man stirbt? Tut es mehr weh als der Schmerz, wenn man atmen möchte, aber jeder Atemzug sich anfühlt, als würde die betrogene Geliebte einem für jeden Seitensprung einmal ein Küchenmesser in die Rippen stoßen? Oder ist es wie eine Erlösung? Gerade konnte er sich nichts Schlimmeres vorstellen, als auf dem Asphalt an dieses Auto gelehnt zu sitzen und zu spüren, wie sein eigenes warmes Blut unter seinem Shirt an der Haut herunterlief. Nur die zarte Frauenhand, die ihn plötzlich ergriff, fand er schön. Unglaublich schön.
Schmeckte Blut schon immer so nach Eisen? Er konnte sich nicht erinnern. Schon oft hatte er sich geprügelt, aufgeplatzte Lippe, angerissenes Zahnfleisch oder eine blutende Nase, bei der ihm das Blut den Hals herab lief. Jetzt drückte es sich aus der Lunge nach oben, und als ihn die Männer um ihn flach auf den Asphalt lagen und irgendwann die rot leuchtenden Notfalluniformen über ihn beugten, war er schon zu müde, um es auch zurück zu halten. Einer der Männer hatte ihm irgendwas auf die Brust gedrückt, und er wollte der Frau neben sich sagen, dass sie doch aufhören solle zu weinen. Aber er konnte nicht, denn ihm fehlten Sprache und Worte, um sich zu kommunizieren. "Bleib wach... bleib um Gottes Willen wach.", konnte er in dem Gewusel an Stimmen verstehen.
Etwas bewegte sich, Türen knallten, das Gewusel wurde leiser und von einem Summen übertönt. Martinshörner... er war im Krankenwagen. Warum halfen sie ihm nicht? Warum taten sie immer noch nicht mehr als auf seine Brust zu drücken. Die Stimmen um ihn wurden lauter, hektischer, chaotischer. Jemand beugte sich über ihn, leuchtete ihm in die Augen und am liebsten hätte er den Mann einen Idioten genannt, er sollte aufhören mit der Scheisse. Das helle Licht brannte ihm in den Augen, und am liebsten hätte er sie fest zugedrückt. Dabei merkte er nicht, dass er sie selbst gar nicht mehr offen halten konnte.
Erst das grelle Licht im Krankenhausflur ließ ihn wieder einen stechenden Schmerz aus dem Kopf entlocken, der sich neben das konstante Stechen in der Brust gesellte. Sein leises, ruckartiges Atmen war nur mehr ein rasselndes Röcheln. Das Shirt längst in Streifen geschnitten, mehrere Meter Druckverband vollgeblutet... so kam er sich vor. Meine Güte, warum ließen sie ihn nicht einfach in Ruhe. Er war müde, er wolle schlafen und sie ließen ihn nicht. Er wollte sie anschreien, schütteln und jeden von der fahrbaren Trage wegstoßen, die ihn gerade in aller Eile über diesen wackelig, holprigen Flur schoben. Und eine Stimme konnte er jetzt deutlicher hören, und sie klang verheißungsvoll, wie ein Versprechen:
"Wir verlieren ihn! Verdammt, wir verlieren ihn..."