Endres klingelte an der Tür der Intensivstation. "Also irgendwie hab ich Zweifel daran, dass da schon einer der Kollegen vor Ort ist," äußerte sich Jenny. Nach kurzem Gespräch mit der Stationsleitung bestätigte sich der Verdacht. Die beiden informierten ihre Chefin, die sich sofort noch einmal mit der Staatsanwaltschaft und der Polizeidirektion in Verbindung setzte. Das konnte ja wohl nicht wahr sein! Zuvor wies sie noch ihre Leute an: "Dorn, Endres : Sie bleiben bitte bei Frau Ceylan bis Sie abgelöst werden!"
Jenny und Endres setzten sich nach Absprache mit der Stationsleitung an einen Platz im Flur der ITS von welchem aus sie das Zimmer sehen konnten, in dem Steffi lag, aber den Ablauf nicht störten. "Dürfte ich kurz mit Frau Ceylan sprechen," bat Jenny eine Schwester. Die schüttelte den Kopf. "Tut mir leid. Sie braucht absolute Ruhe." "Dürfen Sie mir wenigstens sagen, wie es ihr geht," fragte Jenny. "Ich habe sie gestern gefunden..." Die Schwester schüttelte den Kopf: "Sie wissen doch, dass ich nichts sagen darf. Und dass wir hier niemanden behandeln, der das nicht bräuchte, können Sie sich denken..." "Sicher. Eigentlich hat sich meine Kollegin mehr Sorgen gemacht, ob sich der Zustand durch den Besuch des Vaters verschlechtert hat..." mischte sich Endres ein. "und außerdem müssen wir für die Bewachung wissen, ob sie ggf. ansprechbar wäre." Die Schwester lächelte sanft: "Glauben Sie mir : Ich habe ausreichend Menschenkenntnis, dass ich so jemanden wie Herrn Schneider nicht zu einer Patientin lasse. Nur die Mutter hat kurz mit ihr gesprochen. Und ich denke, das konnten beide verkraften." Damit ließ sie die beiden Polizisten stehen und ging weiter ihrer Arbeit nach."Puh," seufzte Jenny: "Wenn sie mit ihrer Mutter sprechen konnte, dann ist sie immerhin ansprechbar." Endres wunderte sich : "Was wolltest du denn von ihr? Gestern hatte ich den Eindruck, du warst ganz schön genervt von ihr?" Jenny nickte. "Ja. Ich kann mit so, ähm.. sehr religiösen Menschen nicht viel anfangen. Aber nach der Begegnung mit ihren Eltern - also sie tut mir auf jeden Fall echt Leid. Und ich dachte, sie könnte sicher ein freundliches Gespräch brauchen..." Endres nickte. "Schau mal, wenn wir hier auf sie aufpassen und sie deshalb in Ruhe schlafen, sich erholen kann - da tun wir ihr doch auch was Gutes!"
Semir war wie erhofft noch gut eine halbe Stunde vor Unterrichtsbeginn in der Schule gewesen. Im Lehrerzimmer war er auf Frau Müller, Aydas Klassenlehrerin und Frau Terpentiel, die Ayda eigentlich nur von dem gestrigen Vorfall her kannte." Herr Gerkan, schön, dass Sie Zeit für uns gefunden haben, begrüßte ihn Frau Terpentiel."Natürlich! Meine Tochter ist in der zweiten Klasse. Wenn sie an dieser Schule belästigt, von mehreren älteren Schülern bedrängt und körperlich verletzt wird, dann muss ich ja wohl..." "Moment," griff da Frau Terpentiel ein :"Als ich dazu kam, hat Ihre Tochter gerade tüchtig ausgeteilt! Einer der Jungen hat ausgesagt, Ayda hätte sie grundlos geschlagen und sogar in den Genitalbereich getreten!" "Wie bitte-grundlos?" Semir wollte sich gerade Gehör verschaffen, da fuhr Frau Terpentiel fort :"Ich bin noch nicht fertig!Selbst wenn es ihren türkischen Erziehungsmethoden entsprechen sollte : Sie können einfach froh sein, wenn die Eltern der Jungen sie nicht... " "Die können froh sein, wenn ich..." "Herr Gerkan - vielleicht können sie das mit Ihrer Frau so machen, aber mich lassen Sie gefälligst ausreden, haben wir uns verstanden? Also:Sie können froh sein, wenn die Eltern Sie nicht anzeigen. Ayda hat ja hoffentlich aus den Schmerzen gelernt! Und ansonsten wird die Strafarbeit heute Nachmittag schon dafür sorgen !" Semir schwoll der Kamm."Meine Tochter wird hier fertig gemacht, verletzt und Sie... vernachlässigen Ihre Aufsichtspflicht! Sie schützen nicht die, die Ihre Hilfe brauchen! Nein! Sie schützen die, die andere, Schwächere fertig machen wollen! Meine Tochter wehrt sich und soll auch noch dafür bestraft werden.... " Nun schaltete sich Frau Müller mit Blick auf Frau Terpentiel ein."Sabrina, Ayda ist bis gestern tatsächlich noch nie auffällig gewesen. Ich denke, wir sollten die beteiligten Kinder erst einmal in Ruhe anhören..." Da kam ein kleiner Junge herein. Semir erkannte Sebastian, der in Aydas Klasse ging, sofort an den abstehenden Ohren. Sie waren knallrot. Er weinte."Ich will nach Hause!" Frau Müller unterbrach das Gespräch und holte den Jungen zu sich."Was ist denn los? So habe ich dich ja noch nie erlebt, Bastian! Der schluchzte :"Marc hat mich an den Ohren über den Hof gezogen. Victor hat gesagt, wenn ich ihm nicht mein Taschengeld gebe, dann bricht er mir den Arm. Genau wie Ayda!" Frau Terpentiel wurde erst rot im Gesicht, dann weiß. Sie nickte nur stumm, als Frau Müller sagte: "Keine Angst, Sebastian! Ich denke, die Jungs werden in nächster Zeit unter besonderer Beobachtung stehen..." "Ich hoffe, ich kann mich darauf verlassen,"sagte Semir laut."Ich bin Polizist und habe täglich mit Menschen zu tun die nicht rechtzeitig gelernt haben, dass man sich an Regeln halten muss... Bitte befragen Sie Ayda und Ihre Klassenkameraden. Wahrscheinlich ist sie nicht das erste Opfer dieser.... Jungs." Die Lehrerinnen nickten. Mit aufrechtem Gang verließ er das Lehrerzimmer. Auf dem Pausenhof sah er Ayda umringt von ein paar Kindern. Sie zeigte ihren Arm wie eine Trophäe vor und lachte.