Jenny und Endres trafen bald an der Adresse in Köln Kalk ein. Sie sahen sich um. Schon nach kurzer Zeit hatten sie den beschriebenen Honda gefunden. Während Endres aufpasste, tat Jenny so, als ob sie ihren Schuh binden würde. Dabei brachte sie den Peilsender am Accord an.
Sie gingen zur Wohnung von Bayram Kader. Auf ihr Klingeln öffnete niemand, jedoch sah Jenny wie sich die Gardine hinter dem Fenster der Wohnung in der Bayram Kader wohnte, leicht bewegte.
"Lass uns warten," schlug sie ihrem Kollegen vor. Sie gingen wieder zum Auto und warteten. Es dauerte nicht lange, bis ein bärtiger Mann, auf den die Beschreibung zutraf, aus dem Hauseingang kam. Vorsichtig sah er sich um. Er hatte mehrere große Taschen dabei. Es sah aus, als wolle er verreisen. Er stieg aber nicht in den Honda, sondern in einen dunklen BMW. Erstaunt flüsterte Jenny:
"Und jetzt?"
"Los, hinterher! Wenn es nicht Kader ist, sei's drum. Gibt ja noch den Sender. Aber wenn er es ist..." Endres startete den Motor. Sie folgten ihm. Zunächst fuhr er in südliche Richtung und dann auf die die Autobahn auf Richtung Bonn.
"Zentrale für Cobra 9,"
"Zentrale hört."
"Wir verfolgen einen Verdächtigen, mutmaßlich Bayram Kader, in einem dunklen BMW Kölner Kennzeichen auf der A Richtung Bonn."
Bis zur Autobahnauffahrt war alles gemächlich verlaufen. Nun aber gab der Verfolgte ordentlich Gas und änderte sein Fahrverhalten. Er fuhr deutlich risikobereiter und versuchte, sie abzuhängen. Endres volle Fahrkünste waren gefragt. Ein paar Mal musste er rechts überholen, um die Verfolgung nicht abbrechen zu müssen. Jenny steckte das mobile Blaulicht auf. Der BMW war gut motorisiert und so hatten Jenny und Endres wirklich alle Mühe ihm zu folgen. . Auf der rechten Fahrspur rasten sie hinter dem BMW Richtung Bundesstadt.
Gefangene der Dunkelheit
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- Fertig gestellt
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Krypto -
26. Oktober 2017 um 18:25
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Claus-Jürgen Torgau war mit seiner Frau Anneliese auf dem Rückweg von der Früh-Fastenwanderung des Siegerländer Wanderclubs. Es war eine ziemlich matschige Angelegenheit gewesen. Sein Leben lang - oder zumindest so lange seine Erinnerung reichte - war der pensionierte Stadtbaumeister großer Freund von Tradition, Recht und vor allem Ordnung gewesen. Dass es ausreichend Menschen gibt, die diese Liebe nicht teilten, war ihm durchaus bewusst. Und irgendwann wäre er sicher auch in einem so seligen Zustand, dass ihn das nicht mehr stören würde. Aber noch war er nicht bereit, sämtliche Gesetzesverstöße, Ordnungswidrigkeiten und Fehler kampflos hinzunehmen. Zwar hatte ihm sein Enkel eine Dashcam eingebaut - deren Sinn und Zweck er auch verstand und im Übrigen absolut befürwortete- aber Anneliese schien ihm mit der Bedienung heillos überfordert und seine Hände gehörten nun mal während der Fahrt ans Lenkrad. Auch vorhin hatte sie das Ding wieder nicht zum Laufen bekommen, was schon für gewissen Unfrieden im Auto geführt hatte. Nach dem Claus-Jürgen Torgau auf dem Mittelstreifen bereits für eine angemessen niedrige Durchschnittsgeschwindigkeit (und natürlich mehr Sicherheit) gesorgt hatte, sah er in den Rückspiegel. Sofort färbte sich sein Gesicht rot
:"Da! Schon wieder! Immer diese rücksichtslosen Raser! Früher hätte es das nicht gegeben! Aber wir haben ja zu wenig Polizei und auch die... naja, lass stecken!"
"Ach, Claus! Lass sie doch! Denk an deinen Blutdruck," sagte seine Frau ängstlich.
"Nein, denen werde ich jetzt zeigen! Mir reicht's," sprach der 80 jährige Herr und zog direkt hinter dem vorbei rauschenden dunklen BMW in die Lücke
"Claus-Jürgen! Blaulicht," rief seine Frau, doch da touchierte der nachfolgende Wagen schon ihr Heck.
"Scheiße," fluchte der sonst so ruhige Endres, als er sah, dass der alte Mercedes in den engen Abstand zwischen ihnen und dem Verfolgten einscherte. Sofort trat er mit vollem Gewicht auf die Bremse. Jenny riss die Arme nach oben vor ihr Gesicht und duckte sich so gut es ging, bevor es krachte. -
Andrea kam von der Toilette zurück und trat auf den Flur vor der ITS. Vor ihr stand ein ziemlich bleicher Mann mit verknitterten Kleidern und Gipsverband an Unterarm und Hand. "Alex?"
"Ich wollte zu Semir," sagte er erklärend. Andrea umarmte ihn, ja, sie klammerte sich geradezu an ihn, obwohl er ihr noch längst nicht so vertraut war, wie es Ben gewesen war. „Was ist los,“ wollte Alex wissen und kämpfte dabei selbst gegen Schmerzen, Schwindel und Übelkeit.
„Die Kugeln haben Lunge, Milz, Darm und Oberschenkel verletzt. Durch den Sturz hat er eine inoperable Hirnblutung – das ist viel, Alex!" Sie sah ihn mit flehenden Augen an:
"Was ist, wenn es zu viel für Semir ist?“ Alex nahm Andrea vorsichtig in den Arm. Er blieb stumm und hielt sie nur fest, bis sie sich löste. Dann musste er sich selbst setzen.
"Alex, was ist?"
"Oh, nichts... Ich sollte nur... zurück ins Bett," keuchte er.
"Komm, ich bring dich hin," bot Andrea an. Alex' offensichtliche Schwäche verlangte ihre Stärke. Und so kam sie kurz darauf mit einem Transportstuhl, half dem inzwischen kaltschweißigen Alex hinein und beeilte sich, ihn zurück auf seine Station zu bringen. Dort war gerade ein Pfleger mit seinem Bettnachbarn, Ismael Güner, beschäftigt und sah Alex vorwurfsvoll an.
"Wo kommen Sie denn her? Was verstehen Sie denn unter strenger Bettruhe?" Alex antwortete nicht - alles um ihn herum drehte sich. Der Pfleger griff ihm schnell unter die Arme und half ihm zurück ins Bett.
"Danke," murmelte Alex und dann sah er Andrea, die noch immer an dem Stuhl stand, an:
"Entschuldigung. Andrea? Semir hat es richtig schlimm erwischt, hm?" Sie nickte.
"Aber du..."
"Ach," Alex winkte ab "halb so schlimm... Morgen..."
"Liegen Sie hoffentlich auch noch brav im Bett. Falls Sie die Ärztin vorher nicht richtig verstanden haben: Sie haben eine heftige Gehirnerschütterung. Und: Durch zu viel Anstrengung könnten Sie schwere innere Blutungen an den Nieren hervorrufen. Ist das angekommen?" Alex nickte vorsichtig und schloss die Augen.
"Mann, Alex! Halt dich bitte an das, was dir geraten wird! So kannst du Semir doch auch nicht helfen! Gute Besserung," wünschte Andrea und verließ mit den Pfleger das Zimmer. -
"So ein..." Jenny trat wütend gegen den Reifen ihres verbeulten Wagens. Die ganze Zeit der Unfallaufnahme hatte sie gewartet, sich zusammengerissen. Aber jetzt war sie einfach zu frustriert. Glücklicherweise war niemand verletzt worden und ihr BMW noch fahrtauglich. Aber der Verfolgte war entkommen!
"Komm, Jenny," sagte Endres. "Ich weiß, was dich wieder runter bringt. Steig ein! "20 Minuten später standen sie bei Alex im Zimmer. Er war allein. Ismael war bei seiner Abschlussuntersuchung. Alex freute sich sehr, denn die verordnete Ruhe wollte sich einfach nicht einstellen. Einerseits hatte er Schmerzen in Kopf, Handgelenk und den Flanken. Viel schlimmer aber war, dass er sich Vorwürfe machte, ja, Angst um seinen Partner hatte! Mit einer Mischung aus Neugier und Sorge hatte ihn Ismael nach dem Befinden seines Lebensretters gefragt. Alex hatte ihm knapp die Sachlage erklärt und sich dann schlafend gestellt. Aber immer wieder spielte sich der Moment, in dem auf Semir geschossen worden war, vor seinem inneren Auge ab. Immer wieder ging er jeden Sekundenbruchteil durch und suchte nach einer Antwort : Was hätte er wie besser machen können? Hätte er Semir nicht auffangen können? Aber dann hätte er nicht schießen können und das Ganze hätte einen völlig anderen Verlauf genommen... Da kam ihm Jenny gerade recht und auch Endres ruhige Ausstrahlung hatte entspannende Wirkung auf ihn. Sie erzählten ihm vom aktuellen Stand der Ermittlungen. Als sie gerade schilderten, dass Bayram Kader ihnen Richtung Bonn entkommen war, kam Ismael wieder herein und begann seine Sachen zu packen. "Ich warte noch auf den Abschlussbericht und dann darf ich nach Hause," freute er sich.
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Er sah in die verstummen Gesichter der drei Polizisten. "Habe ich gerade richtig verstanden? Ihr sucht Bayram Kader? Den Typ, der Stress in unserem Laden in Köln gemacht hat, weil meine Mutter da arbeitet?" Alex nickte. "Wenn ihr den nicht in Köln findet, dann vielleicht in Bonn-Tannenbusch." Jenny und Endres horchten auf :
"Wie kommst du darauf?" "Als Bayram so Stress gemacht hat, war meine Mutter danach ziemlich fertig. Ich glaube, sie hatte Angst und wollte das Haluk aber nicht zeigen. Er sollte nicht das Gefühl bekommen, er könne sie nicht beschützen. Ich bin ja meistens in dem Geschäft in Bonn. Nach dem Vorfall wollte meine Mutter ein paar Tage dort arbeiten. Was soll ich sagen? Wir waren gerade am Ausladen, da kam der Typ auf ein Mal zu uns in den Laden. Meine Mutter ist schnell in den Hinterraum, sie wollte nicht gesehen werden. Er war aber nicht allein. Bei ihm war eine stark verschleierte Frau." Ismael hielt sich die Hand vors Gesicht und blickte zwischen Zeige-und Mittelfinger hindurch." Ja, und? Er ist doch verheiratet, " bemerkte Jenny, die begann, ihn gedanklich als Wichtigtuer abzustempeln."Ja.Aber das war die Cousine eines Stammkunden, Ahmet Toprak. Sie war früher schon mal mit Mehmet bei uns im Laden gewesen. Damals waren mir ihre wassergrünen Augen aufgefallen, die gleichen, wie Mehmet hat. Und vor allem: Er hatte mal beiläufig erzählt, dass es Streit gab. Weil seine Cousine einen Heiratsantrag von einem Salafisten aus Köln bekommen hat." " Dann kann es aber nicht Bayram Kader sein. Der ist doch noch verheiratet. "
"Ein muslimischer Mann kann rein religionsrechtlich zwei Frauen haben, sogar bis zu vier, wenn er sie und alle Kinder versorgen und gleich behandeln kann." "Na, Moment mal," wehrte sich Jenny. "Wir sind hier doch in Deutschland! Hier herrscht rechtlich Gleichberechtigung! Da kann der doch nicht legal zwei Frauen haben! Und überhaupt..." "Wer will das schon, zwei Frauen! Das macht doch nur Stress..." feixte Alex, dem der Besuch richtig gut tat. "Na, dir scheint es ja schon wieder besser zu gehen," befand Endres und der strafende Blick von Jenny sprach Bände. "Hm, eigentlich war das mal als Versorgungsgarantie für die Frauen gedacht. Wenn viele Männer im Krieg starben, Kinder und Frauen zurück ließen, dann sollten diese Frauen nicht ungeschützt von den überlebenden Männern ausgenutzt werden können, sondern alle Rechte einer Ehefrau bekommen. Später wurde das bestimmt nicht immer so gesehen und praktiziert. In den meisten muslimischen Ländern ist die Einehe heute auch vorgeschrieben. Aber das ist nicht immer vorteilhaft für die Frauen. Und so wird es wohl auch bei Ahmets Cousine sein." Die Polizisten sahen ratlos zu Ibrahim.
"Das musst du uns jetzt mal erklären," forderte Alex, dem jeder ernsthafte Gedanke Konzentration abverlangte, die er nicht aufbringen konnte.
"Genaueres müsstet ihr ihn selbst fragen. Aber ich denke, dass sie nur eine "Imam-Ehe" haben. Für Muslime ist die Ehe kein Sakrament. Sie ist ein Vertrag zwischen Mann und Frau, der von ein paar Mitgliedern der Gemeinde bezeugt werden muss. Für eine Eheschließung nach der Scharia braucht man also nicht viel... "
" Aber die ist doch nicht gültig," warf Jenny ein. "Nein, vor einem Gericht nicht. Wenn die Frau da mitmacht, warum auch immer, gilt sie in der muslimischen Gemeinde als verheiratet. Aber sie kann juristisch keine Ansprüche, die sie als Ehefrau hätte, gegen den Mann durchsetzen. Keine Versorgung, keinen Unterhalt. Versteht ihr das Problem? "
" Nicht ganz," gab Jenny zu. Alex hatte sich ohnehin schon müde zurück gelehnt und die Augen geschlossen.
"Für uns heißt das vor allem, dass Bayram Kader noch einen sicheren Unterschlupf hat, von dem aus er alles Weitere vorbereiten kann. Voraussetzung ist, dass das alles stimmt..." fasste Endres zusammen "Wallah, ich habe euch nur gesagt, was ich weiß. Alles andere müsst ihr Ahmet fragen..." verteidigte sich Ismael.
"Schon gut. Wo finden wir den denn?"
"Tut mir leid, das weiß ich nicht genau. Aber weit weg von unserem Geschäft im Krauterweg kann er nicht wohnen, dafür sind seine Tüten oft zu schwer..."
"Schon okay," lächelte Jenny. Sie legte Alex die Hand auf den Arm und wollte wissen:
" Weißt du was von Semir?" Sie bekam nur ein leises Schnarchen als Antwort. Ismael sagte leise :
"Alex meinte vorhin:" Semir ist schwer verletzt und liegt im Koma." Er wollte ihn vorhin besuchen, hat es aber nicht geschafft. Eine Frau, die er Andrea genannt hat, hat ihn zurück gebracht. Sie sah sehr, sehr traurig aus." Jenny und Endres sahen sich betroffen an. Dann erhoben und bedankten sie sich bei Ismael für die Hilfe.
" Gute Besserung - und herzliche Grüße an Ihren Vater," sagte Endres noch, als sie zur Tür gingen. -
Auf dem Weg zur PAST machten sie einen kleinen Umweg zum städtischen Bauhof, wo sie Herrn Silvretta gerade noch rechtzeitig vor seinem Feierabend antrafen. Jenny gab ihm eine Tüte mit den Arbeitskleidern und einer kleinen Aufmerksamkeit. "Tut mir leid, ich habe sie noch nicht gewaschen," erklärte sie. "Pff, die kommen eh in die Wäscherei. Wichtig ist, dass sie wieder hier sind. Und es Ihrem Kollegen gut geht." Jenny sah betreten zu Boden. "Nein! Er ist doch nicht etwa....?" Endres beeilte sich zu antworten: "Nein, nein. Er lebt. Aber er wird nicht gleich morgen wieder mit uns auf Streife fahren. Vielen Dank nochmal für Ihre Hilfe!"
Zurück in der PAST mussten Jenny und Endres erst einmal den Spott ihrer Kollegen vom LKA über sich ergehen lassen.
"Von der Autobahnpolizei, ja, ja! Erst bringt ihr den Sender am falschen Auto an, dann entkommt er euch..." lästerte der junge Wichtigtuer.
"Ja, von der Autobahnpolizei! Und im Gegensatz zu euch, kann ich nen BMW von einem Honda unterscheiden," brach es aus Jenny heraus.
"Der Accord ist auf Bayram Kader zugelassen," seufzte die Chefin.
"Auf jeden Fall," plusterte sich der junge Mann im Anzug auf :"Ist es ihr Verschulden, wenn es heute Abend zu einem Anschlag kommt - Wir haben jetzt keine Spur von ihm..." Endres, der sich kurz mit Susanne unterhalten hatte, kam nun auch in den Besprechungsraum.
"Das stimmt nicht : Wir haben Hinweise darauf bekommen, dass Bayram Kader in Bonn eine Imam-Ehe führen soll. Die Cousine eines Ahmet Toprak, der im Bonner Norden wohnt, soll diese Verbindung mit ihm eingegangen sein..."
"Sehr gut, Endres," lobte die Chefin.
"Die weiteren Ermittlungen in dieser Sache übernehmen wir," preschte der junge LKA-Mann nach kurzer Schockstarre vor. Immerhin hatten die beiden Polizisten einen Ermittlubgserfolg vorzuweisen, der ihnen über die ganzen Monate hinweg nicht geglückt war! Kim Krüger lächelte milde.
." Wie Sie wollen. Dann gehen meine Leute jetzt mal in den Feierabend." Sie nickte Jenny und Endres zu. Als beide an ihr vorbei gingen, fragte sie :"Was Neues von Gerkan und Brandt?" "Susanne erkundigt sich gerade bei Andrea und informiert Sie dann. Alex ist etwas ramponiert aber schon wieder zu Scherzen aufgelegt." -
Gegen Abend kam Dana zu Semir. Zunächst näherte sie sich ihm vorsichtig, nahm seine Hand. Dabei sah sie auf ihre Hände und hätte sich selbst ohrfeigen wollen, weil sie sich vorhin über den abgebrochenen Nagel so aufgeregt hatte. Zögerlich beugte sie sich vor, küsste ihren Vater auf die Wange neben die Magensonde. Seine Haut war warm, leichte Bartstoppeln kratzten an ihren Lippen. Sie sah, wie sich sein Brustkorb hob und senkte. Aber seine Hand war schlapp und ohne jede Spannung. Dana wollte von Andrea wissen, welche Verletzungen ihr Vater genau hatte und wozu die vielen Schläuche und Kabel dienten. Mit jeder weiteren Erläuterung verzog sich ihre Miene weiter ins Ängstliche. Als Andrea dann meinte:
"Wir müssen Geduld haben. Die Blutung im Gehirn muss sich von selbst zurückbilden - wir können nur hoffen, dass nichts mehr passiert." wurde ihr klar, dass ihr Vater um sein Leben kämpfte. Und plötzlich konnte sie, die normalerweise so viel Wert auf ihre Coolness legte, nicht anders als weinend schreien: „Papa! Lass mich nicht auch noch du allein!“ Nun war es Andrea, die Kraft gab, die Dana umarmte, sie festhielt. Sie sagte ihr, was sie sich selbst tausende Male seit der Nachricht gesagt hatte: „Dana, das ist nicht das erste Mal, dass er so daliegt...“. „Ich...ich kann ihn einfach nicht so sehen. Nicht auch noch er...“ „Ist schon okay....vielleicht kommst du erst wieder, wenn er aufwachen darf?“ „Und du wärst mir nicht böse?“ „Nein.“
Dana verließ mit Tränen in den Augen die Intensivstation und klopfte bei Alex an. Der war zwar recht müde, aber dennoch froh, dass Dana ihre Sorgen mit ihm teilte. Schließlich hatte er die gleichen, wenn auch aus einer anderen Blickrichtung. Und sein neuer Bettnachbar war noch so fertig, dass er nur schlief. -
Am nächsten Vormittag: Nela Stegmann hatte sich mit den Insassen des Tiguan beschäftigt. Es waren eine Frau und ein bärtiger Mann - er etwas älter als sie. Die Frau hatte sie erst aus mehreren dunklen Stoffschichten schneiden müssen. Soweit Nela Stegmann feststellen konnte, war die Frau nicht angeschnallt gewesen : Sie hatte massive Kopf- und Brustkorb Verletzungen. In ihrem Unterbauch fand sie zahlreiche Verwachsungen an den Eierstöcken und um die Gebärmutter herum. Zum Zeitpunkt des Sturzes in den Rhein hatte sie nicht mehr geatmet. An den Händen der Frau fand sie Schmauchspuren: Sie hatte auf Aylin und ihre Freundin geschossen. Auch am Körper des Mannes entdeckte sie diverse Verletzungen durch den Unfall. Aber anders als seine Beifahrerin hatte er noch das Rheinwasser in seine Lungen geatmet und war daran verstorben. Nela Stegmann fotografierte die Toten und schickte die Fotos an Susanne. Vielleicht konnte sie ihr bei der Identifikation helfen. Dann begann sie mit der Obduktion von Deniz Ceylan.
Bevor Jenny und Endres richtig in den Arbeitstag auf der Autobahn starten konnten, fing Hartmut sie ab.
"Hey, ihr zwei! Ich glaube, ich habe ziemlich Mist gebaut..." gestand der KTU-Chef den Kollegen.
"Warum? Gibt es etwa keine dritte Bombe?" Hartmut sah Endres verwundert an.
"Doch, ähm, mit hoher Wahrscheinlichkeit schon, also, äh, nach meinen Erkenntnissen jedenfalls...nein, es ist was anderes. Kommt mal mit..." Sie folgten Hartmut in sein Reich, wo neben diversen Proben von den Tatorten ein Laptop aufgeschlagen war.
"Ich habe doch den Keylogger bei Deniz installiert und noch so ein paar Kleinigkeiten mehr. Jedenfalls kann ich mich jetzt als Deniz ausgeben. Oder als Abdel Waarit. Weil Deniz ja tot ist und das bestimmt durchsickert, habe ich mal den Account von Abdel Waarit genommen. Außerdem hat der ja bestimmt absichtlich nur die Attrappe genommen und nicht die echte Bombe."
"Das ist doch super," lobte Jenny ihn. "Na ja. Ich kann weder Türkisch noch Arabisch. Und Moslem bin ich auch nicht... Ach, Mann... Semir fehlt..."
"Na, Arabisch kann der auch nicht. Aber wo ist jetzt das Problem," wollte Endres wissen. "Hier!" Hartmut entsperrte den Rechner und ein Forum kam zum Vorschein. Offensichtlich hatte Abdel Waarit eine Private Nachricht erhalten.
"Was soll ich denn jetzt darauf antworten? Wenn ich das falsch mache, ist alles in Gefahr. Und ich traue mir auch nicht zu, einfach die alten Nachrichten zu nehmen und umzuwandeln, ich habe ja keine Ahnung, was das alles für so Einen bedeutet....dummerweise habe ich die Nachricht schon geöffnet und damit automatisch eine Empfangsbestätigung geschickt. " Hartmut schaute betroffen zu Endres, dann zu Jenny.
."Hm... Ich glaube, ich kenne jemanden, der uns da weiterhelfen kann..., sagte die. -
Kurz darauf standen die drei vor dem Krankenhaus.
"Du meinst aber nicht Steffi?"
"Nein. Aber ich möchte erst noch schnell mal bei Alex reinschauen," antwortete Jenny. Alex hatte sich am Abend zuvor gegen 22 Uhr doch für ein Schmerz- und ein leichtes Beruhigungsmittel entschieden und eine recht erholsame Nacht gehabt. Jetzt am Morgen waren Schmerzen und Sorgen wieder da, um so glücklicher war er über den frühen Besuch. Und auch Jenny freute sich - denn als sie den neuen Bettnachbarn sah, wusste sie :Sie hatte gleich zwei Ziele auf ein Mal erreicht.
"Na, wie geht es dir," fragte Hartmut.
"Mein Kopf ist deutlich besser. Aber an den Nieren, das merke ich schon noch gut." Alex drehte sich leicht, dabei rutschte das Shirt hoch,das Dana eigentlich für Semir mitgebracht hatte. Hartmut sah die heftige, violett schillernde Schwellung an Alex' Flanke und den Wundverband über der im Kampf wieder aufgerissenen Splitter-Wunde. Hartmut zuckte reflexartig zusammen. "Weißt du was von Semir?"
"Ja. Dana war gestern Abend da. Sie war total fertig. Sie hat Angst..." Alex zögerte, es auszusprechen und sah erst in das Gesicht seiner Kollegen "dass Semir stirbt." Nach einer Schrecksekunde wusste Hartmut:
"Na ja, Teenager sind ja rein biologisch-endokrin-bedingt einfach emotionaler..." Alex atmete hörbar aus.
"Er liegt da oben, tief bewusstlos, künstlich beatmet, schwer verletzt plus inoperable Hirnblutung..."
"Da ist Danas Angst verständlich," fand Endres und Jenny nickte niedergeschlagen. "Aber bei dir..." versuchte Hartmut abzulenken.
"Ein paar Tage ruhig liegen bleiben, dann bin ich wieder wie neu."
"Und dein Handgelenk?" "6 Wochen ruhig mit diesem schicken Ding hier." Er hob den eingegipsten Arm hoch.
"Shit," meinte Jenny nur, "da fällst du ne Zeit lang aus."
"Du sagst es -zur Untätigkeit verdammt, und alles bleibt an euch hängen. " seufzte Alex und lehnte sich zurück,denn irgendwie kam der Schwindel wieder zurück.
"Und wie geht es dir, Tareq" fragte Jenny den Syrer, der die ganze Zeit aufmerksam ihr Gespräch von seinem Bett aus verfolgt hatte.
"Elhamdulillah, danke, soweit gut. Um wen macht ihr euch Sorgen?"
"Um unseren Kollegen und meinen Partner Semir. Er ist von dem Mann, den du niedergeschlagen hast, angeschossen und schwer verletzt worden. Es sah so ähnlich aus, wie bei deinem Hund", sagte Alex. Endres war kurz verblüfft über die fehlende Empathie, aber er sah Alex an, dass er es nicht böse gemeint hatte. Es war wohl nur Ausdruck seiner Sorge um Semir. Tareq zuckte kurz zusammen. Er dachte daran, wie seine Kenza ihr Leben ausgehaucht hatte. Seine Augen wurden feucht, Wut und Trauer lagen in seiner Stimme.
"Ich wünschte, ich könnte diese Typen irgendwie..."
"Das geht mir auch so, glaube mir. Aber jetzt sind wir erstmal hier... und können gar nichts tun," fauchte Alex und haderte mit seinem Schicksal.
"Na ja.. Ich hätte da schon eine Idee," fiel es Hartmut ein und er erzählte von den Fake News und seinem Problem mit der Nachricht an Abdel Waarit. -
Pünktlich zur Vormittagsbesprechung wurden die Bilder aus der Pathologie im Besprechungsraum an die Wand geworfen. Schnell war klar, dass es sich bei der Frau um Rima Bari handelte.
"Den Mann habe ich auch schon irgendwo gesehen..." murmelte Herr Weinzierl vor sich hin
"Schicken Sie das Bild mal dem BKA zum Datenbankabgleich..."
"Was wir beachten sollten: Es war die Frau, die auf Aylin Ceylan und ihre Freundin geschossen hat. Woher konnte sie das," fragte Frau Krüger. Susanne kam herein:
"Die Kennzeichen des Tiguan sind gefunden worden. Er gehörte einem Hassan Bari, geboren 1978 in Köln. Deutscher Staatsbürger. Elektroingenieur, seit Anfang 2016 ohne Anstellung, ledig, keine Kinder."
"Hassan Bari, genau," rief Herr Weinzierl aus und wenig später konnten alle im Besprechungsraum das Dossier sehen.
"Hassan Bari ist im April 2016 nach Syrien ausgereist, was er dort gemacht hat, wissen wir nicht. Allerdings kam er vor 5 Monaten in Begleitung seiner Schwester Rima und seines Schwagers, die aber offiziell nur in den Urlaub in die Türkei geflogen waren, zurück."
"Na, dann können wir uns denken, wer wohl die Bomben baute... und wo Rima schießen lernte..." seufzte die Chefin.Andrea hatte kaum schlafen können, nicht bei Semir, nicht zu Hause. Als sie gerade wieder auf die Intensivstation gehen wollte, sprach sie jemand von hinten an:
„Guten Morgen. Sind Sie Frau Gerkan?“ Sie drehte sich um und sah einen Mann um die 70 mit dicker Brille, weißem, langem Gewand, einem langen braunen Mantel und einer kleinen weißen Kappe. Er sah aus, wie diese Islamisten aus dem Fernsehen. Und lag ihr Mann nicht hier, wegen solcher Leute? Sie wich erschrocken zurück. „Ja...“ -
„Sie brauchen keine Angst zu haben. Sie haben wahrlich genug Sorgen. Mein Sohn hat mich informiert, dass es Semir sehr schlecht geht. Ich möchte ihm helfen.“
„Ihr Sohn?“
„Ismael Güner. Er lag mit Herrn Brandt auf einem Zimmer. Semir hatte ihm bei dem Unfall das Leben gerettet.“ Andrea verstand noch immer nicht so ganz, was dann der Vater hier zu suchen hatte...
„Ich bin Ibrahim Güner. Der alte Imam, bei dem Semir den Koran lesen gelernt hat, in Köln-Kalk, als kleiner Junge. Ich habe mich so gefreut, als ich ihn vor ein paar Tagen wieder gesehen habe. Und als ich erfahren habe, dass er eine gute Frau hat und drei Töchter, elhamdulillah! Und er ist als Polizist auf der Seite der Guten und des Gerechten...und dann das mit Ismael! Ich bin so dankbar, stolz auf ihn!“ Der Mann gestikulierte eifrig mit den Händen, als könnte er damit noch mehr erzählen.
„Ich kenne Sie nicht,“ sagte Andrea zögerlich.
Gerade da klingelte ihr Handy. Es war Jenny, die sich nach Semirs Befinden erkundigen wollte. Andrea brach in Tränen aus, war aber geistesgegenwärtig genug, um sie nach Ibrahim Güner zu fragen. Jenny bestätigte ihr den Besuch und Kontakt zu dem Imam. „Semir würde sich freuen,“ meinte sie. Andrea bedankte sich bei ihr.
„Sie haben sicher viel durchgemacht, Sie dürfen misstrauisch sein,“ sagte der Mann verständnisvoll zu Andrea.
„Wie geht es meinem Semir?“
„Ich war heute noch nicht bei ihm.“
„Gehen Sie zu ihm, ich will Sie nicht aufhalten. Wenn es Ihnen Recht ist, warte ich hier auf Sie. Ich habe Zeit.“ Andrea nickte. Der Mann wirkte – jetzt wo sie wusste, dass er die Wahrheit sprach - beruhigend auf sie. Gefasster als vorher betrat sie die Intensivstation. Dort setzte sie sich zu Semir, nahm seine Hand und bemerkte, dass diese deutlich wärmer war, als am Tag zuvor. Sie erzählte ihm gerade von der Begegnung mit dem Imam, als eine Schwester herein kam.
„Frau Gerkan? Dr. Born will mit Ihnen sprechen.“ Andrea folgte ihr. Die Nachrichten, die Dr. Born hatte, waren keine guten. Die Entzündungswerte waren gestiegen, Semir hatte Fieber. Die Mediziner wollten noch eine Bauchspülung machen, sobald der OP frei wäre.
„Ich will Ihnen nichts vormachen. Das Leben Ihres Mannes hängt an einem dünnen Faden. Sie sollten für den Fall vorbereitet sein, dass...“ Andrea brach in Tränen aus. Sie konnte einfach nicht mehr. Es war zu viel. Nach ein, zwei Minuten atmete sie tief durch. „Draußen,“ schluchzte sie, „sitzt ein Imam, den mein Mann von klein auf kennt...“ Der Arzt lächelte mild:
„Bringen Sie ihn herein, lassen Sie ihn beten. Wir wissen aus Studien, dass es unseren Patienten nur helfen kann, solchen Beistand zu haben. Schaden wird es auf keinen Fall!“ Andrea war erstaunt. Sie informierte die Schwestern und anschließend Herrn Güner, der lächelnd aufstand. -
Er wusch und desinfizierte seine Hände gründlich, zog sich wie selbstverständlich den Besucherkittel über und ging zu Semir. Andrea wollte die beiden allein lassen, schaute lieber von außen zu. Der Imam sah besorgt über seine Brille hinweg auf die Geräte, dann auf Semir. Mit einem lauten „Bismillah“ setzte er sich auf den Stuhl neben dem Bett. Er ergriff vorsichtig eine Hand seines früheren Schülers, schaute kurz mit einem tief geseufzten „Ya Allah!“ nach oben. Zuerst sprach er ein wenig mit Semir, wie froh er war, dass er ihn sehen durfte, trotz seines Zustandes. Er spürte, dass es sehr ernst war. Er hatte schon sehr viele Menschen zwischen Leben und Tod gesehen, viele auch beim Sterben begleitet. Es war seine schwerste Aufgabe, weil er die Angst und die Trauer der Angehörigen aushalten musste. Aber - so war es seine innerste Überzeugung - es war ohnehin alles in Gottes Händen. Nur Gott entschied, ob eine medizinische Therapie Erfolg hatte, oder nicht. Und wenn etwas heilen konnte, so waren es die Worte Gottes und die überlieferten Gebete, davon war der Imam überzeugt. Und wer konnte die besser als er? Bei anderen empfand er es als seine Pflicht, zu helfen - denn wer sein Wissen und seine Talente nicht für das Wohl anderer Menschen einsetzte, beging eine Sünde! Aber Semir war ein besonderer Fall, das war nicht nur eine Pflicht, es war ihm ein dringendes, persönliches Bedürfnis, für und bei seinem Schüler zu beten.
„Oh Oglum*,“ seufzte er, dann legte er Semirs Hand wieder zurück auf das Bett und stand auf. Er hielt die Hände auf Brusthöhe geöffnet wie zwei nach oben offene Schalen. Leise begann er etwas melodisch zu murmeln, fast zu singen. Andrea hörte es, verstand aber kein Wort. Sie trat ganz in das Zimmer ein. Der Imam, der eben noch die Augen geschlossen hatte, nickte ihr aufmunternd zu und zeigte auf den Stuhl vor sich. Andrea setzte sich. Sie nahm Semirs Hand in ihre, schloss die Augen und lauschte nur noch der fremden Melodie, die sie ein wenig an eine Reise in die Türkei erinnerte. Die sie vor allem aber so sehr beruhigte, dass sie ihren Kopf auf Semirs Bett legte und gar nicht wusste, wie viel Zeit vergangen war, als der Imam in ruhigem Ton sagte:
„Ich gehe jetzt. Es wird heute alles gut gehen, wenn Gott es will-inschallah. Wenn ich darf, komme ich morgen wieder und sehe nach euch.“ Andrea blickte nur kurz auf und nickte. Dann fiel ihr Kopf wieder auf das Bett zurück. Sie hatte fast das Gefühl, umarmt worden zu sein, als der alte Mann „nach euch“, gesagt hatte.*Ach, Junge!
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Sie dämmerte neben ihrem Mann dahin, bis eine Schwester ihn für die erneute Bauchspülung abholte. Andrea verstand es nicht, aber sie war seltsam ruhig und gefasst. Als sie auf dem Flur Dr. Born begegnete, lächelte dieser sie an:
„Sie sehen besser aus. Das ist gut so.“
Sie wusste, dass die Operation dauern würde und so ging sie an die frische Luft. Draußen begann das erste Grün zu sprießen. Andrea atmete durch und fand die Kraft, auf der PASt anzurufen. Sie erzählte Susanne kurz vom wenig erfreulichen Stand der Dinge.
Dann beschloss sie, Semirs Bruder zu informieren. Das Verhältnis zwischen den beiden war zwar seit dem Tod des Vaters angespannt und als erwünschte Schwägerin hatte sie sich auch nie gefühlt, aber seit sich die beiden versöhnt hatten, gab es doch immer wieder Besuche und gegenseitigen Respekt. Und seine Familie sollte wissen, wie es um Semir stand.
Zunächst nahm Kemal die Nachricht ruhig auf. Sein Bruder war Polizist geworden, entgegen dem väterlichen Willen. Das hatte er nun davon, dass er angeschossen worden war! Als Andrea ihm jedoch sagte, dass Ibrahim Güner hier gewesen war, hörte sie ihren Schwager kurz aufschluchzen.
„Ich komme, Andrea, ich komme sofort.“ Dann hatte Kemal Gerkan aufgelegt. Dass Andrea offensichtlich auf die Idee gekommen war, einen Imam zu holen, machte ihm klar, dass es wohl wirklich sehr ernst war. Es bedeutete aber auch, dass sie sich mehr in den türkischen Gepflogenheiten auskannte, als er ihr zugetraut hatte. Und dass es ausgerechnet der alte Imam war, den Semir und er schon von Kindheit an kannten – das war in diesem schweren Augenblick doch ein kleiner Trost.
Sein Vater Halil und Ibrahim waren ähnlich im Alter gewesen, aber im Gegensatz zu dem impulsiven Halil war Ibrahim immer mild und ruhig, mit großem Herzen und festen Glauben gewesen. Er war der Ankerpunkt für viele in seiner Gemeinde gewesen, auch Halil hatte bei ihm das eine oder andere Mal Rat und Hilfe gesucht. Als Semir Autos geknackt hatte, zum Beispiel. Dabei war ihm durchaus bewusst gewesen, dass er, der Vater, auch kein leuchtendes Vorbild für seine Kinder war. Nach jeder Begegnung mit Ibrahim hatte Halil sich vorgenommen, es besser zu machen. Dass er es nie geschafft hatte, hatte ihn wütend gemacht und ihn schließlich den Kontakt zu Ibrahim meiden lassen. Auf seinem Sterbebett hatte er das Kemal erzählt und weil Ibrahim zu dieser Zeit in der Türkei gewesen war, hatte man einen anderen Imam für die Sterbebegleitung geholt. Kemal wusste, dass sein Vater lieber seinen Frieden mit Semir und Ibrahim gemacht hätte. Doch es war ihm verwehrt geblieben. -
"Endres, Dorn, kommen Sie mal in mein Büro," bat Frau Krüger ihre Leute. "Ich möchte Sie bitten, selbst alles daran zu setzen, dass wir diesen Bayram Kader bald finden. Frau König hat hier zwei Adressen heraus gefunden : Einmal Ahmet Toprak, einmal Ahmed Toprak, beide wohnhaft im Bonner Norden. Die Kollegen vom LKA haben aus irgendeinem Grund nur die letzte Adresse auf dem Schirm und bevor wir hier irgendwas riskieren : Übernehmen Sie die erste Adresse. Die Herren vom LKA haben mich "eingeladen", mitzukommen. Sie wollen mir zeigen, wie man so eine Befragung beim LKA macht. Also "richtig". "
Frau Krüger rollte mit den Augen, ihre Leute grinsten. Da klopfte es.
" Na, können wir, " fragte der junge Wichtigtuer "oder müssen Sie noch mal Ihr Make-up nachbessern?"
"Nein, ich nicht. Aber Sie vielleicht," entgegnete die Krüger ganz trocken und nahm Ihren Mantel. Jenny, Endres und auch Susanne, die die Szene beobachtet hatten, hielten ihr Lachen nur mühsam zurück.
"Komm, lass uns auch gehen," forderte Jenny ihren Partner auf.
"Ja, gleich! Ich brauch nur noch ein bisschen Mascara," ulkte Endres und ahmte die steife Körperhaltung des Wichtigtuers nach. -
Inzwischen hatten die Ärzte bei der erneuten OP festgestellt, dass die innere Naht am Darm nicht ganz dicht war. Wieder war Darminhalt ausgetreten, wenn auch nur wenig. Sie schlossen die Naht sorgfältig und die führten eine weitere Bauchspülung durch. Der Anästhesist drängte zur Eile. Der Patient drohte instabil zu werden. Glücklicherweise waren die Chirurgen schnell genug, bevor es zu weiteren Komplikationen kommen konnte. Was dem Anästhesisten allerdings so gar nicht gefiel, war das Atemgeräusch, dass ihm anschließend beim Abhören des Brustkorbs auffiel. Der Hämatopneumothorax war ja schon in der ersten OP beseitigt worden, an der Wunde oder der Drainage keine Auffälligkeiten festzustellen. Semirs Atemwege wurden sorgfältig abgesaugt und er bekam einen zusätzlichen Antibiosetropf angehängt. Und bei der Übergabe des inzwischen hochfiebrigen Patienten teilte der Anästhesist dem Stationsarzt seinen Verdacht auf eine Lungenentzündung mit. Man beschloss, Semir vorsichtig von außen zu kühlen, da das Fieber die Heilung der Hirnblutung negativ beeinflussen konnte. So blieb dann nur noch der Mund unbeeinflusst von den medizinischen Maßnahmen, die dem Patienten alle zusammen das Leben retten sollten.
-
Kim Krüger stand mit den beiden Männern vom LKA vor einem Haus aus der Gründerzeit. Es war schon recht herunter gekommen. Der Eingangsbereich stand offen, so dass die Polizisten auf dem gerissenen Terrazzo bis zum Treppenhaus kamen. Die Wohnung der Topraks lag im ersten Halbgeschoss. Die beiden Herren traten vor, Kim blieb etwas abseits im Flur stehen. Gleich nach dem Klingeln öffnete sich die Tür. Aus dem Türspalt drang eindeutiger süßlicher Geruch.
"Komm rein, Alter! Meine Zombies sind in die Türkei geflogen, wir haben sturmfrei..." klang aus der Ritze. Die LKA-Männer sahen sich an."Herr Ahmed Toprak?" Der Teenager erschien an der Tür.
"Ja?" "Weinzierl, LKA.." Doch da schoss der rechte Arm des untersetzten Jungen hinter der Tür hervor. Ehe sie reagieren konnten, waren die beiden Männer mit heißem Kaffee übergossen und der Junge an ihnen vorbei geschlüpft. Er rannte in den Hinterhof hinaus, Kim Krüger hinterher. Ahmed rannte, so schnell er konnte - dieser Weg führte durch ein Loch im alten Bretterzaun auf den Hinterhof des Nachbargebäudes und von dort auf die Straße. Vielleicht konnte er es bis zu seinem Versteck schaffen? -
Doch da hatte er die Rechnung ohne Kim gemacht. Mühelos sprintete sie hinter dem Jungen her, schlüpfte durch das Loch im Zaun. Und als er bereits außer Puste kam, beschleunigte sie, packte ihn, warf ihn mit dem restlichen Schwung auf den Boden des Hinterhof.
"So, schön liegen bleiben. Krüger, Kripo Autobahn."
"Was wollen Sie von mir...."
"Eigentlich nur mit dir reden," meinte der Wichtigtuer, der sie inzwischen eingeholt hatte. Und zu Kim meinte er :
"Alle Achtung, filmreife Leistung." Kim nickte. "Herr Toprak, Sie kommen erstmal mit uns. Die Kollegen von der Polizeidirektion sehen sich nachher mal in Ihrer Wohnung um..."
"Das dürfen Sie nicht!"
"Oh, den Durchsuchungsbeschluss warten wir selbstverständlich ab. Wären Sie nicht weggelaufen..."meinte der junge Wichtigtuer. Sie fuhren mit dem zeternden Jungen zurück zur PAST. Auch dort war er alles andere als leise und kooperativ :
"Ich will meinen Anwalt! Das ist Polizeiwillkür! Das wird ein Nachspiel für Sie haben." Irgendwann wurde es Kim Krüger zu blöd :
"Herr Toprak. Wir suchen eigentlich nur noch Ihrer Cousine."
"Cousine? Ich habe keine Cousine !"
"Auch keine, die mit einem arabischen Türken in Bonn verheiratet ist?"
"Was wollen Sie denn von mir? Meine Mutter hat keine Geschwister. In der Familie von meinem Vater gibt es nur Jungs - und die wohnen auch nicht in Bonn..." -
Inzwischen war auch Kemal Gerkan eingetroffen und hatte seine Schwägerin begrüßt. Er erkundigte sich nach den Kindern und war erleichtert, dass Andreas Mutter gut auf sie aufpasste. Als der Arzt ihnen kurz darauf eröffnete, dass Semirs Chancen durch die hinzugekommene Lungenentzündung sich deutlich verschlechtert hatten, nahm Kemal Andrea sogar kurz in die Arme.
„Ich bin froh, dass der Imam da war,“ sagte er und sie schluchzte:
„Er wollte morgen nochmals kommen. Was ist, wenn Semir....“
„Dann sind wir für dich und die Kinder da. Mein Bruder hat dich gewählt. Auch wenn er nicht gefragt hat: Ihr seid auch meine Familie,“ antwortete Kemal mit zitternder Stimme. Seine Hände verkrampften sich. Er hätte toben, schreien, davon rennen wollen, wie er seinen Bruder so sah, wie er keine Hoffnung in der Botschaft der Ärzte hörte. In seinem Kopf schrie eine Stimme laut und ständig wiederholend:
„Warum?“Aber er sah Andrea. Sie hielt ruhig und tapfer seinem Bruder die Hand, küsste sie, obwohl sie auch wusste, dass Semir das wohl nicht spürte. Obwohl sie mit Semir als Mann und Vater ihrer Kinder so viel mehr zu verlieren hatte, als er, der Bruder mit dem sporadischen Kontakt. Da schämte Kemal sich, setzte sich auf die andere Seite und nahm vorsichtig die andere Hand. Es war inzwischen dunkel geworden. Wie er seinen Bruder und seine Schwägerin so sah, kamen ihm die Tränen. Die wollte er verbergen, stand auf und ging zum Fenster. Am dunkelblauen Himmel über ihnen kam der Mond zum Vorschein.
„Andrea, ich komme gleich wieder,“ sagte er und verließ das Zimmer. Eine halbe Stunde später war er wieder da.
„Wie geht es ihm?“ Andrea zuckte mit den Schultern. Das Fieber war weiter bei 40°C, das Herz schlug regelmäßig.
„Ich habe dir etwas zu Essen geholt. Es steht draußen, geh nur. Ich bin da.“ Andrea nickte müde und dankbar, während sich ihr Schwager an die Seite seines Bruders setzte. Er begann, mit ihm auf Türkisch zu sprechen, das verstand sie sowieso kaum. -
Jenny und Endres hatten Ahmet Toprak zunächst nicht angetroffen. Sie warteten im Auto, telefonierten mit Alex und Hartmut, holten sich etwas zu essen. Als sie wieder zu der Adresse zurück kamen, wurde es schon dunkel. Jetzt brannte Licht in der Wohnung in dem Mehrfamilienhaus aus den 70ern. Sie klingelten, kurz darauf betätigte jemand den Türsummer. Sie gingen die Treppen bis in den 3.Stock hoch, wo ein gepflegter Mann mit schwarzen, kurzen Locken, blaugrünem Hemd und Jeans auf vor die Tür getreten war. "Guten Abend?"
"Guten Abend, Herr Toprak," begrüßte Endres den Mann um die 30.
"Mein Name ist Endres, meine Kollegin Dorn, von der Autobahnpolizei." Leicht irritiert aber freundlich sah der dunkelhaarige Mann die beiden Polizisten mit blitzend blaugrünen Augen an. Jenny war sich sicher :Das war der Gesuchte, denn Ismael hatte doch etwas von den besonderen Augen der beiden erzählt. Und wie Recht er gehabt hatte! Diese Augen schienen direkt von innen heraus zu leuchten! Während Jenny noch ganz fasziniert war, hatte Endres den Mann schon aufgeklärt.
"Wir sind auf der Suche nach Bayram Kader, der mit Ihrer Cousine eine Beziehung führen soll..." setzte Endres alles auf eine Karte. Über das mediterrane Gesicht des Mannes huschte ein mit Wut gepaartes Lächeln:
"Bitte! Kommen Sie herein," bat er :"Wenn Sie wollen, dürfen Sie auch die Schuhe anlassen..."
"Danke, aber die Zeit haben wir," erwiderte Endres und erntete ein wohlwollendes Lächeln, während er die Schuhe abstreifte. Die Wohnung war sehr sauber und geschmackvoll modern mit hellen Möbeln eingerichtet.
"Bitte, nehmen Sie Platz, darf ich Ihnen einen Kaffee anbieten?"
"Danke, so spät nicht mehr," sagte Jenny und auch Endres schüttelte den Kopf.
"Gut, kleinen Moment." Herr Toprak ging in die Küche und rief von dort zurück: "Ich bin ja so froh, dass sich endlich mal jemand darum kümmert. Vor zwei Jahren habe ich wegen diesem Arschloch schon bei Ihren Kollegen Anzeige erstatten wollen. Aber die haben mir nur gesagt, Didem sei erwachsen und sie mischen sich da nicht ein...das sei ein kulturelles Problem."
"Didem? Ist das Ihre Cousine," fragte Jenny, die das bequem gepolsterte Sofa mochte. Herr Toprak kam mit einem Tablett mit Wasser und Obst zurück.
"Genauer gesagt haben Didem Demir und ich den gleichen Urgroßvater mütterlicherseits. Aber das nur am Rande. Ich habe Didem vor knapp 3 Jahren auf der Hochzeit einer Verwandten zum ersten Mal gesehen. Und ganz ehrlich: Ich war hin und weg! Wir haben uns gut verstanden und viel gechattet, ich habe dann ihren Vater um ihre Hand gefragt. Aber da war mir dieser Bayram zuvor gekommen. Der hat ihr und ihrer Familie alles Mögliche versprochen - und im Gegensatz zu mir hatte er Geld. Ich war gerade mit meinem Studium fertig und auf Jobsuche. Da hat ihr Vater dann auf sie eingeredet, sie soll doch den nehmen. Als Brautgeschenk hat dieser Typ ihr einen dunklen 7er BMW versprochen - so ne Gangsterkarosse. Das hat dem Vater natürlich gefallen. Und obwohl sie lieber mich genommen hätte, kam es dann zu dieser Hochzeit mit Imam und viel Getue. Aber entgegen seiner Versprechen, hat er sie nicht standesamtlich geheiratet. Ich habe das Didems Vater gesagt. Beim ersten Mal hat er mich rausgeworfen. Ich sollte sie vergessen und abhauen. Wie könnte ich? Dann habe ich ihre Freundin getroffen, die mir sagte, wie furchtbar er sie behandelt. Dass er sie einsperrt, schlägt. Dass sie noch nie mit ihrem Auto gefahren ist, dass sehr abgenommen hat! Er überwacht sie mit dem Smartphone und einer Kamera an der Wohnungstür. Ich meine: Geht's noch?"
Ahmet Toprak schlug mit den Händen auf den Tisch vor sich. Sein Blick war grimmig, die Augen blitzen." Ich bin noch mal zu ihrem Vater. Ob er davon weiß, wollte ich wissen. Und er hat nur gefragt :"Was soll ich denn machen?" Ich bin zur Polizei gegangen, aber die wollten auch nichts tun. Ich habe Didem heimlich getroffen, die Freundin hielt sich so lange in der Wohnung auf und hat so getan, als wäre sie Didem. Weil sie nur noch stark verschleiert die Wohnung verlassen darf, hat der Trick gut geklappt...sie haben nur auf der Toilette die Schleier getauscht."
Ahmet Toprak grinste kurz schelmisch,wurde dann aber wieder ernst.
" Es geht ihr nicht gut. Sie hat große, ständige Angst. Bayram ist ein mächtiger, einflussreicher Mann. Er hat sie geheiratet, weil seine erste Frau keine Kinder bekam. Aber Didem bisher auch nicht."
"Wo wohnt Didem? "
"Im dritten der Wohnblöcke von Bonn - Neu-Tannenbusch." Ahmet Toprak sah seine Gäste an: "Bitte! Sie müssen ihr helfen! Der Typ muss weg. Und bitte: Es geht nicht um mich. Ich könnte es wirklich verstehen, wenn sie mit keinem Mann - auch nicht mit mir - mehr sprechen will, nachdem, was sie da mitmacht."
Endres nickte und Jenny stand auf.
"Wir tun, was wir können. Versprochen." -
Die Nacht über blieben Andrea und Kemal bei dem Schwerstkranken. Um 5.30 Uhr verließ Kemal plötzlich wieder mit den Worten „ich komme gleich wieder“ den Raum. Andrea war davon aufgewacht, stellte jedoch fest, dass sich an Semirs Zustand außer einem leichten Fieberrückgang nichts geändert hatte.
Eine gute Viertelstunde später kam Kemal mit Tränen in den Augen zurück, die er diesmal nicht verbarg:
„Ich war beten.“ Das erstaunte seine Schwägerin, die ihn aus Erzählungen und Erlebtem als in keinster Weise religiös in Erinnerung hatte.
„Ich habe Fehler gemacht,“ flüsterte Kemal tonlos und starrte auf seinen Bruder, „wir, Semirs Familie, haben viele Fehler gemacht. Ich verspreche dir, “ und er wischte eine Träne weg "es soll keine Lücke mehr zwischen deiner und meiner Familie geben. Auch wenn Semir..." Er wandte sich von Andrea ab. Sie sah, wie seine Schultern bebten. Gerade da kam die Nachtschwester ein letztes Mal herein. Sie dokumentierte die Werte, tauschte die kühlenden Tücher aus und hängte eine neue Antibiose an. Dann verabschiedete sie sich in den Feierabend.Bei der Visite zeigten sich die Ärzte erneut wenig hoffnungsvoll, aber immerhin hatte ihr Patient die Nacht stabil überstanden und auch der Hirndruck war inzwischen etwas gesunken. Andrea verließ die Intensivstation kurz, um sich nach ihren Kindern zu erkundigen. Ihnen ging es gut, sie waren gerade aufgewacht und frühstückten mit der Oma. Dana überlegte sich noch, ob sie es verkraften würde, ihren wohl sterbenden Vater zu besuchen... Gerade wollte Andrea zurückkehren, als Ibrahim Güner aus dem Aufzug stieg.
„Guten Morgen,“ wünschte er ihr.
„Guten Morgen, wollen Sie zu Semir?“ Der Imam nickte.
„Sein Bruder ist auch da.“Die beiden Männer begrüßten sich mit einer Umarmung und unterhielten sich kurz. Kemal räumte den Platz neben Semir und ließ den älteren Mann Platz nehmen. Der sprach in ruhigen Worten zu dem Bewusstslosen, nahm seine rechte Hand und strich darüber. Schließlich erhob er sich wieder und begann, aus dem Koran zu rezitieren. Andrea hatte sich erschöpft links neben ihrem Mann niedergelassen. Kemal hatte sich hinter den Imam gestellt und ebenfalls die Hände mit den Handflächen erhoben und die Augen geschlossen.
Draußen vor dem Flurfenster zu Semirs Zimmer saßen zwei Männer in Transportstühlen, begleitet von zwei weiteren Personen. Alex war so unruhig gewesen, dass Tareq zur Information gehumpelt war und zwei der ehrenamtlichen Hilfskräfte überredet hatte, sie beide auf die Intensivstation zu bringen. Alex konnte - auch wenn er aufstand - kaum etwas von Semir sehen, weil Kemal und der Imam in seinem Blickfeld standen.
"Was sagt er denn," wollte Alex von Tareq wissen.
"Wa 'Āyatun Lahumu Al-Laylu Naslakhu Minhu An-Nahāra Fa'idhā Hum Mužlimūna..."
"Na, danke, Tareq! Ich meine :Was bedeutet das?"
"Also grob übersetzt heißt das, dass in der Nacht ein Zeichen für die Menschen liegt - Entzieht Gott dem Tag das Licht, so gibt es nur noch Finsternis...."
"Aha. Das ist doch normal, dass es nachts dunkel ist, oder?"
"Das ist ein Teil der 36.Sure, YaSin. In ihrem ganzen Text geht es um die Allmacht Gottes. Über Leben und Tod, Licht und Dunkelheit und das Leben nach dem Tod. Sie ist eine der wichtigsten Suren. Wenn ein Mensch sehr krank ist oder...." Tareq stockte und legte Alex die Hand auf die Schulter "im Sterben liegt, liest man sie oder sagt sie auswendig vor. Lass uns gehen..du musst dich hinlegen." Besorgt sah der Syrer auf Alex, der ganz bleich geworden war. Aber der stand jetzt sogar auf, ging noch näher zum Fenster und legte die Hände auf die Scheibe. Einerseits war er froh, dass die Scheibe ihn von seinem Partner und dessen Besuchern trennte. Denn dort fand gerade etwas statt, was ihm fremd war, was ihm auch in seiner Bedeutung außerordentlich bedrohlich erschien. Andererseits wäre er gerne zu Semir gegangen, hätte ihn gesehen, berührt, ja, wenn es sein musste: sich auch ein letztes Mal verabschiedet.
In ihm tobte es. Er war doch schuld, hätte es nicht ihn treffen können? Das wäre doch für alle erträglicher gewesen! Sein Tod hätte doch deutlich weniger Schmerz verursacht. Was sollte das Gerede von Gott, wenn es so wenig gerecht zuging? -
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