Freudenberg
Johanna, von allen nur „Joshi“ genannt, Schimke, war in Polizeikreisen als kompliziertes Individuum bekannt. Auf der einen Seite galt sie als freundliche, aufgeschlossene Frau und auf der anderen Seite, als tiefes Gewässer, in dieses man kaum durchdringen konnte. Hinter der offenen Fassade der 28-jährigen Frau, die sich rockig-modern kleidete, kurze Haare hatte und sogar mit Piercings im Gesicht verziert war, versteckte sich, so glaubten zumindest alle, ein kleines, verdrängtes Mädchen.
Als frischgebackene Kommissarin wurde sie oft in Abteilungen weitergereicht, weil viele Männer mit ihrer direkten Art nicht klargekommen waren. Denn neben ihrer Offenheit war sie auch direkt. Sehr direkt sogar. Zumindest unter den Kollegen. Während sie ein absolutes Verständnis für Zeugen und Opfer zeigte, so war sie teilweise sehr harsch zu den eigenen Arbeitskollegen.
Die gebürtige Dortmunderin hatte des Öfteren bereits den Wohnort gewechselt gehabt und hatte eigentlich daran geglaubt, den Polizeiberuf an den Nagel zu hängen, bis auf einmal der neugebackene Chef der Autobahnpolizei des Kreises Freudenberg sie persönlich ansprach und bereits einen Partner für sie gefunden hatte. Jemand, der sie unterstützen und auf ihrem Weg begleiten wollte.
Den letzten Strang Hoffnung greifend, nahm Johanna die Herausforderung an und seit gut einem Monat war sie nun ein vollständiges Mitglied des Kollegiums. Selbst das versteckte, kleine Städtchen Siegen, in dem sie inzwischen wohnte, gefiel ihr und die ruhigen Fälle schienen ebenso eine beruhigte Stimmung in ihre aufgewühlte Persönlichkeit zu bringen.
Besonders ihr neuer Partner schien absolut keine Probleme mit ihr zu haben. Besonders ihre Direktheit war für ihn überhaupt kein Problem, da er sich nicht scheute, ebenso klar seine Meinung ihr mitzuteilen. Zudem fühlte sie sich zum ersten Mal ernst genommen und nicht als Brillenträgerin mit nun ja zwei distinktiven fraulichen Merkmalen gesehen.
Für ihn war sie sogar bereit, nach der zweiten Woche auch mal einen Snack vorzubereiten für die langen Tage während der Streife. Selbst in der kurzen Zeit, war er mehr wie ein großer Bruder für sie geworden, als ein Arbeitskollege, der sie nur als Stolperstein in der Karriere sah.
Genau einen solchen Snack, selbst getrocknete und geschnittene Apfelstücke, reichte sie am Start der fünften Woche der gemeinsamen Zeit. Sie hatten in einer abgelegenen Seitenstraße geparkt und beobachteten die Autobahnfahrer, die, die A45 hinunterbretterten, die schlussendlich in die A4 endete.
Niemand schien den dunkelblauen Mercedes zu bemerken, denn teilweise überschritten die Fahrer das Tempolimit deutlich und ein entnervtes Hupen war zu hören, als sie den Blitzer bemerkt hatten, den die Beiden aufgestellt hatten.
„34ter und das in der zweiten Stunde“, bemerkte Joshi und stopfte sich einen der Schnitze in den Mund, nachdem ihr Partner den Schnitz aus der Schüssel genommen hatte, die sie nun aufs Armaturenbrett stellte.
„Die Kollegen wird’s freuen und das Rechnungspapier wird mal wieder knapp“, stimmte er ihr zu und sie grinsten.
„Apropos Kollegen, konntest du deinen ehemaligen Partner erreichen?“, fragte sie ihn neugierig und er schüttelte mit dem Kopf. „Er war im Männerurlaub mit seinem aktuellen Partner und dessen Vater. Zuvor hatte er ja Hochzeitsstress und alles. Von dem her, nein. Aber ich versuche es morgen wieder!“
„Hoffentlich, denn ich will diesen türkischen Hengst kennenlernen, Alex!“, scherzte Johanna und Alexander „Alex“ Brandt lächelte.
„Zentrale an Falke 1, bitte kommen?“, erklang eine helle Stimme aus dem Funkgerät und Joshi nahm das Mikrofon an sich. „Falke 1 am Apparat, was können wir für dich tun, Maria?“
Maria Gomez, die hübsche Kriminalbeamtin mittleren Alters, antwortete sofort. „Es wurde auf der A45 Richtung Siegen ein verlassenes Auto im Waldstück hinter der Kilometertafel gesichtet. Es sind bereits mehrere Meldungen eingegangen. Geht euch das bitte ansehen! Müller und Strohbart kommen gleich um euch bei der Streife zu ersetzen.“, erklärte sie und Alex zog eine Augenbraue hoch.
„Und bevor ihr fragt, Anweisung des Chefs. Keine Widerrede!“ Mit diesen Worten hängte Maria auf und Joshi presste die Lippen zusammen. „Man...Müller und Strohbart wären näher gewesen und jetzt tauschen wir nur weil der Chef meint uns könnte langweilig werden?“, fauchte sie und verschränkte die Arme, während Alex sich anschnallte und den Motor startete. „Du kennst doch sein berühmtes Bauchgefühl. Was das betrifft ist er genauso unheimlich wie mein ehemaliger Partner.“
„Du meinst, da könnte mehr dahinterstecken, als ein möglicher Versicherungsbetrug?“, fragte Joshi mehr als skeptisch und Alex zuckte mit den Achseln, als er das Lenkrad drehte um aus der Parklücke zu fahren. „Wir werden es sehen, sei doch froh um die Abwechslung...“, entgegnete er und fuhr auf die Autobahn, wo noch immer das entnervten Hupen der Fahrer, zu hören war.
„Irgendwann lernen Sie’s noch“, seufzte Joshi und Alex konnte nur grinsen. Er fuhr die Strecke ab und kam zu der besagten Kilometertafel und tatsächlich schien etwas inmitten des Waldstückes zu stehen.
Alex parkte seinen Wagen auf den Pannenstreifen und stieg gemeinsam mit Johanna aus. „Reichst du mir noch das Pack mit den Handschuhen?“, rief Alex seiner Partnerin zu und diese nahm aus dem Handschuhfach den gewünschten Gegenstand und warf ihn Alex zu, der diesen einhändig auffing. „Man dankt!“
Sie liefen in den Wald hinein und langsam wurde der Wagen sichtbar. „Eine Shelby Cobra? Wer lässt so ein Schätzchen denn bitte hier zurück im Wald? Das alte Metall ist doch so anfällig für Rost!“, fragte Johanna erstaunt und Alex sah sie verwundert an.
„Was? Mein Vater ist Oldtimer-Fan, da kriegt man so was mit!“, erklärte sie und während Alex grinsend weiterlief, rollte Joshi kurz mit den Augen und ging hinterher.
Je näher sie sich dem Wagen näherten, umso bissiger und fauler wurde die Luft um sie herum. Während Alex seinen Arm vor die Nase hielt, zupfte Johanna ihren schwarzen Rollkragenpullover unter ihrem zugeknöpften Flanellhemd hervor und stülpte es über ihr Riechorgan.