Die Ereignisse des ersten Teils – Nightmare – liegen ungefähr ein Jahr zurück. Ben hat in Anna tatsächlich seine Traumfrau fürs Leben gefunden. Der Alltag mit seinen kleinen und großen Freuden und Problemen hat wieder auf der Dienststelle und im Privatleben unserer Helden Einzug gehalten.
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Seit Wochen machte eine organisierte Bande die Autobahnrastplätze unsicher. Zielsicher raubten sie Lastwagen mit besonders wertvoller Fracht aus. Hinter den Überfällen lag definitiv ein System. Die Fahrer wurden während ihrer vorgeschriebenen Pausenzeiten entweder mit Chloroform betäubt, wenn sie in ihren Fahrerkabinen schliefen. Oder ihre Fahrzeuge wurden einfach vom Rastplatz gestohlen, während sich die Fahrer in einem Rasthof aufhielten, um zur Toilette zu gehen oder während der Pause zu duschen. Der Schaden, der den Spediteuren und deren Auftraggeber bisher entstanden war, hatte längst die Millionengrenze überschritten. Die ersten Versicherungen weigerten sich, besonders wertvolle Ladungen auf bestimmten Routen zu versichern. Unter anderem gehörte dazu die A3 auf ihrer gesamten Länge von Passau bis zur holländischen Grenze. Entsprechend groß war der Druck von oben aus dem Wirtschaftsministerium und dem Justizministerium, der auf die ermittelnden Polizeibehörden ausgeübt wurde.
Kurz vor Dienstschluss hatte Semir eine heftige Auseinandersetzung mit Frau Krüger gehabt, bei der Frau Schrankmann ebenfalls im Büro der Chefin anwesend war. Der Türke und die beiden Frauen hatten völlig unterschiedliche Auffassungen darüber, wie man die organisierte Räuberbande überführen könnte. Entsprechend lautstark waren die Diskussionen gewesen, denn der Kommissar war die letzten beiden Wochen, in denen sich sein Freund und Partner, Ben Jäger, im Urlaub befunden hatte, bei seinen Ermittlungen keinen Schritt weitergekommen. Seine Laune nach Feierabend war entsprechend mies, obwohl das erste dienstfreie Wochenende seit langem stand vor der Tür stand.
Der Türke parkte seinen BMW im Carport und verweilte noch für einige Minuten im Fahrzeug. Er presste seinen Hinterkopf gegen die Nackenstütze und schloss seine Augen. Krampfhaft versuchte er seine Gedankengänge, die sich um die laufenden Ermittlungen drehten, aus seinem Kopf zu verbannen. Dieses Wochenende sollte seiner Familie gehören. Ein Ruck ging durch seinen Körper, mit einer müden Bewegung streifte er sich über das Gesicht und stieg aus.
Als Semir sich seinem Wohnhaus näherte, stellte er verwundert fest, dass nur aus dem Wohnzimmerfenster ein Lichtschein fiel. Er schloss die Haustür auf und erwartete, dass ihn seine Kinder stürmisch begrüßen würden. Doch nichts dergleichen passierte. Es herrschte eine merkwürdige Stille im Haus. Seine Frau saß alleine auf dem Sofa und erwartete ihn. Er warf seinen Schlüssel auf die Kommode, hängte seine Jacke an die Garderobe und ging zu Andrea ins Wohnzimmer.
„Guten Abend Schatz! Wo sind denn die Kinder?“ fragte er seine Frau und hauchte ihr im Vorbeigehen einen Kuss zur Begrüßung auf die Wange.
„Guten Abend Semir! Meine Eltern haben sie heute Nachmittag abgeholt. Sie werden eine Nacht dort schlafen“, erklärte sie ihrem Mann das Fehlen seiner Töchter. Fragend blickte dieser seine Frau über die Schulter an, während er weiter zum Kühlschrank ging und sich eine Flasche Bier herausnahm. Nach dem Öffnen trank er einen kräftigen Schluck daraus und steuerte das Sofa an.
„Ich habe mein freies Wochenende. Wir wollten doch morgen einen Ausflug machen. Wie soll das denn jetzt gehen?“, meinte er mit einem grimmigen Unterton.
„Du wolltest einen Ausflug machen Semir!“ stellte Andrea fest. Sie hatte ihre Hände vor sich auf dem Schoß gefaltet. Ihre Anspannung stand ihr ins Gesicht geschrieben.
„Nur Ich?“, fragte er verwundert über die Reaktion seiner Frau und nahm erneut einen kräftigen Schluck aus der Bierflasche.
„Ja du Semir! Oder hast du mich einmal gefragt, was ich denn gerne an deinem freien Wochenende mit dir unternehmen würde?“, legte sie gleich noch mal nach.
„Ich dachte, du bist damit einverstanden. Die Kinder waren begeistert von meinem Vorschlag ein Picknick am See zu machen.“ Er hatte gegenüber seiner Frau auf dem Sessel Platz genommen. „Das Wasser des Sees lädt bei den sommerlichen Temperaturen zum Baden ein!“, versuchte er ihr seinen Vorschlag schmackhaft zu machen. Die Bierflasche hielt er zwischen seinen Händen und nippte hin und wieder daran. Er konnte förmlich spüren, wie die Luft zwischen ihnen beiden vor Spannung knisterte. Ihre Mimik ließ keinen Zweifel offen, wie innerlich aufgewühlt Andrea war.
„Wir müssen miteinander reden Semir und ich möchte nicht mehr, dass die Kinder mitbekommen, wenn wir uns streiten und wie wir uns anschreien.“ Sie bemerkte, wie sich unaufhörlich ein Kloß in ihrer Kehle ausbreitete und ihre Stimme heißer klingen ließ. „Es geht so einfach nicht mehr weiter mit uns. ….. Ich habe mit meinen Eltern gesprochen. Ich werde ab Montag, wenn die die Sommerferien beginnen und Aida keine Schule mehr hat, zwei Wochen zu ihnen ziehen. … Ich kann nicht mehr Semir. … Ich brauche eine Auszeit, Zeit zum Nachdenken … über uns … unsere Ehe … und …“ Sie kniff die Lippen zusammen. „Vielleicht solltest auch du mal über unsere Beziehung nachdenken.“
In den letzten Monaten hatten Andrea und Semir einige Streitgespräche dieser Art geführt. Die Abstände dazwischen waren immer kürzer geworden und deren Intensität immer heftiger. Das letzte Gespräch lag gerade mal zwei Tage zurück und war völlig eskaliert. Semir hatte seine Frau außer sich vor Wut angebrüllt, so dass die Kinder erschrocken aufgewacht waren und Lilly weinend und völlig verängstigt nach ihrer Mutter gerufen hatte.
Innerhalb von einer Minute war seine Temperamentskurve von null auf hundert angestiegen. Gereizt sprang er vom Sofa auf und knallte die Bierflasche ungestüm auf den Glastisch. Der Knall hallte im Raum nach. Als er seiner Frau antwortete, hatte seine Stimme schon deutlich an Lautstärke zugenommen.
„Reden … wir reden doch miteinander Andrea! … Was ist los mit dir in der letzten Zeit? …Was willst du? …. Oder hast du gar einen anderen?“ zischte er sie aufgebracht und mit einer Spur von Misstrauen an.