Zu Beginn des Gesprächs entschuldigte sich der Dunkelhaarige für den Ausraster am Morgen. Allerdings war er immer noch nicht bereit, mit Frau Krüger zu reden. Zu tief saß der Stachel in ihm drinnen, den ihr Misstrauen, ihre Vorwürfe und ihre Schuldzuweisungen in ihm hervorgerufen hatten.
Nach dem Telefongespräch erwachte in Ben der Wunsch, er wollte Julia besuchen. Vielleicht hatte er Glück und Peter war im Büro. Irgendwie brauchte er die Gewissheit, dass diese nicht weiter in Lebensgefahr schwebte, sondern weiter auf dem Wege der Besserung …
Hier erwartete ihn die nächste Enttäuschung. Sein Vater hatte verfügt, dass er bis auf weiteres Julia nicht besuchen durfte. Völlig erbost stürmte er aus der Uni-Klinik und rief seinen Vater außer sich vor Wut an. Er stand auf dem Besucherparkplatz neben seinem Motorrad. Ungeduldig wartete er darauf, dass sich Konrad Jäger am anderen Ende der Leitung meldete. Endlich erklang dessen Stimme.
„Ben hier!“ …
„Hallo Junge! … Es ist gerade unpassend! In fünf Minuten beginnt eine wichtige Besprechung!“ versuchte Konrad Jäger ihn geschäftsmäßig abzuwimmeln, denn er ahnte, warum sein Sohn ihn anrief.
„So nicht Papa! … So nicht! Spare dir diese Floskeln für deine Geschäftspartner auf. Du schuldest mir eine Antwort! … Warum darf ich Julia nicht besuchen?“ fauchte der Dunkelhaarige ins Handy.
„Tut mir leid Ben! … Julia braucht absolute Ruhe und ich kann es nicht riskieren, dass du und Peter nochmals an ihrem Krankenbett an einander geraten werdet. … Außerdem was hast du dir dabei gedacht Julia anzurufen? Du wusstest doch genau, dass sie kein Auto mehr fahren soll? … Warum?“, brummte Konrad Jäger gereizt zurück.
Ben schloss seine Augen und holte tief Luft. „Papa … bitte … wie oft denn noch? So glaubt mir doch endlich! Warum geht das nicht in deinen Kopf rein, ich habe Julia nicht angerufen!“ Vergeblich bettelte er … flehte er … seinen alten Herrn an, seine Entscheidung nochmals zu überdenken. Wenn er vor ihm gestanden wäre, wäre er auf die Knie gefallen und hätte ihn angebettelt.
„Nein!“, knurrte dieser als Antwort. „Es bleibt dabei! Julia entscheidet selbst, wann sie dich wiedersehen will. … Ich bin enttäuscht von dir mein Junge, maßlos enttäuscht. Ich hätte nie gedacht, dass du mich anlügst. Deine Schwester und ihr Baby in Gefahr bringen würdest. Wo bleibt denn dein Verantwortungsgefühl? Denn die Tatsachen sprechen eine andere Sprache. Egal was du behauptest! … Ich habe gelernt mich im Geschäftsleben an die Fakten zu halten, und jetzt lass mich in Ruhe! Ich habe ein Unternehmen zu führen!“
Konrad Jäger beendete das Gespräch und sein Sohn hörte nur noch das monotone tut …tut … tut … in der Leitung.
Sein angeschlagenes Nervenkostüm war sehr dünnhäutig geworden. Die Ansage seines alten Herren empfand er wie eine Tracht Prügel, die er sich als Unschuldiger eingefangen hatte. Seine bedrückenden Gedanken fingen an sich wie im Kreis zu drehen, aus dem er keinen Ausweg mehr fand. Angst … ja richtige Angst … vor dem was da auf ihm zukam machte sich in ihm breit. Das Gefühl eine Lawine, die aus Gewalt und Bedrohung bestand, würde sich unaufhaltsam auf ihn zu wälzen, drohte ihn zu überrollen, machte sich in ihm breit. Er musste raus … weg … einfach nur weg und dem Ganzen entfliehen. Völlig aufgewühlt fuhr Ben zuerst orientierungslos durch die Stadt und anschließend über die Landstraßen der Kölner Umgebung.
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Der Polizist war so mit sich beschäftigt, dass er gar nicht bemerkte, wie ihm der schwarze Toyota RAV4 folgte. Im Wagen saßen zwei sehr ungleiche Männer. Der Fahrer hatte seine besten Jahre schon hinter sich gebracht. Die grauen Haare waren kurz geschoren und unterstrichen noch sein brutales Aussehen. Die dunkelgraue Cargohose zusammen mit dem schwarzen T-Shirt und der schwarzen Lederjacke verstärkten noch den Eindruck. Einige Narben zierten sein Gesicht, aus dem seine dunklen Augen hervorstachen. Auf dem Rücken seiner rechten Hand, mit der er das Lenkrad führte, war das Tattoo eines Skorpions. Es war das Erkennungszeichen seiner ehemaligen Einheit im Bosnienkrieg.
Remzi Berisha musterte seinen wesentlich jüngeren Beifahrer, der mit seinem Alter von Mitte zwanzig locker sein Sohn hätte sein können. Rashid legte sehr viel Wert auf sein äußeres Erscheinungsbild. Seine schwarzen Haare waren sorgfältig nach hinten gekämmt und zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden. Er bevorzugte eine modische Kleidung, die seine sportliche Figur zur Geltung brachte. Er war der Typ Mann auf DEN die Frauen flogen.
Seit Ben Jäger seinen sterbenden Vater in dem Hospiz besucht hatte, war der junge Mann am Ausflippen. Das Gespräch mit der Krankenschwester, die Rashid anschließend angerufen hatte, trug zusätzlich dazu bei, seinen Zorn zu schüren. Seine Augen glühten hasserfüllt auf.
Der Boss hatte Remzi beauftragt, darauf zu achten, dass der junge Mann, der als Heißsporn galt, keine Fehler machte und damit das gesamte Vorhaben zum Scheitern brachte. Als der junge Mann das Gespräch beendet hatte, schimpfte er nur vor sich hin, bis es Remzi zu bunt wurde. Wütend blaffte er den Beifahrer an „Halt dein Maul Jüngelchen, sonst stopfe ich es dir. Wir halten uns an den Plan! Verstanden!“
Rashid äffte Remzi nach „Wir halten uns an den Plan … auf was warten wir noch? Dieser Jäger kommt uns schon verdammt nahe auf die Spur! … Wie lange sollen wir ihn noch an der langen Leine laufen lassen? Wie lange noch Remzi?“
„Lass ihn erst mal zu seiner Freundin.“ Über das Gesicht des Serben huschte ein hämisches Grinsen. Zu gerne, würde er bei der Unterredung der beiden jungen Leute Mäuschen spielen. „Und dann Rashid, …holen wir uns den Dreckskerl! Verstanden! … Der Rest läuft wie besprochen!“
Der Jüngere zog eine Schnute und gab sich geschlagen, was der Söldner mit einem wohlwollenden Grunzen zur Kenntnis nahm. Mit gebührendem Abstand verfolgten sie mit Hilfe des Peilsenders die weiteren Aktivitäten von Ben Jäger.