Prolog
In einer Bäckerei, Anfang 2008
Es ist Freitag. Alle warten auf den Feierabend. Das Wochenende. Die meisten Kunden haben gute Laune. Die Kollegen auch. Aber ich wünsche mir, es wäre schon wieder Montag früh. Nicht, weil ich den Job hier in der Bäckerei so liebe. Es ist in Ordnung, ja. Mein Chef ist auch okay. Wir dürfen uns in der Pause immer etwas heraussuchen, so viel wir wollen. Verhungern muss ich bestimmt nie, so lange ich hier arbeite. Eben waren Herr und Frau Bolschläger da. Ein süßes Paar. Beide um die 90. Aber sie treiben mir die Tränen in die Augen. Weil ich genau weiß, dass ich das, was die beiden haben, verlor. Ich weiß nicht wann. Ich weiß nicht wie. Seit ein paar Monaten ist meine Liebe fort. Und an ihrer Stelle ist die Angst bei uns eingezogen. Manchmal sehe ich meinen Mann an und ich habe genau den vor mir, den ich vor 1,5 Jahren geheiratet habe. Alles schein wie früher. Dann dreht er sich um und ein Monster ist vor mir. Laut, aggressiv, unberechenbar. Wie es ist, wenn man nicht nach Hause will? Wie es ist, wenn es überall besser zu sein scheint als zu Hause? Ich weiß es. Aber ich habe keine Idee, wie ich da raus komme. Ich weiß ja noch gar nicht mal, was los ist, kann es kaum in Worte fassen...ach, wenn es doch nie 20 Uhr würde!
Jetzt
Andrea packte die Koffer. Gleich käme Ben um sie und die kleineren Mädchen abzuholen. Sie wollten Semir aus der Reha nach Hause holen und noch ein paar schöne Tage am Bodensee verbringen. Andrea hoffte, der Abstand zu Köln hätte ihrem Mann so gut getan, wie der Arzt gemeint hatte. Ihr war klar, dass er an auch nach der Reha noch einen langen Weg vor sich hatte - aber wie lange der wäre, wusste sie nicht. Und auch nicht, ob er steinig und steil wäre. Sie seufzte und drückte den Koffer mit Aydas Kuscheltier fester zu. Ihr Blick fiel auf ihr Smartphone. Sie nahm es zur Hand und blätterte kurz in den Bildern der letzten Monate. Semir auf Intensiv. Semir auf Normalstation. Semir zu Hause. Semir in Reha. Auch für sie war es eine harte Zeit gewesen. Jetzt konnte doch eigentlich nur noch alles gut werden. Jetzt musste einfach alles gut werden. Es klingelte. Freudiges Toben und Rufen kündigte ihr an, dass Ben angekommen war. "Seine Wirkung auf Frauen ist wohl vom Alter unabhängig," dachte sich Andrea schmunzelnd und trug Ben den ersten Koffer entgegen. Er umarmte sie. Sie roch sein Aftershave. Es war seit 10 Jahren das gleiche. Sie kannte es aus der Zeit, in der er und ihr Mann noch Partner gewesen waren. Andrea drückte eine Träne weg. Sie vermisste plötzlich ihren Semir so sehr....