New York - 5:00 Uhr
Es war verdammt früh, aber das machte ihm nichts aus. Schlafen konnte man, wenn man tot ist, dachte er oft. Jetzt war es Zeit für's Geschäft. Lucas stand vor dem Spiegel im Bad seines kleinen, aber feinen und nicht günstigen Appartement und knöpfte sich die letzten Knöpfe des blendend weißen Hemdes zu. Wurde es am Hals langsam ein wenig eng? Hatte er in letzter Zeit die Nackenmuskulatur zu sehr trainiert? Ausgeschlossen, dass er dick wurde... dachte er grimmig. Überhaupt konnte man von aussen meinen, dass der Mann vor dem Spiegel ausschließlich negative Gedanken in seinem Kopf trug, wenn man ihn beobachtete. Keine traurigen Gedanken, sondern grimmige. Sein Blick oft klar und stechend, sein Mund verriet keine Emotionen. Die Falten im Gesicht waren in den letzten Jahren nicht tiefer geworden, die wenigen Haare, die er rund um die Halbglatze noch besaß, hatte er sich auf wenige Millimeter rasiert. Auch das machte ihn nicht unbedingt jünger als Mitte 40, die er war.
Ein kurzer Blick auf seine Armbanduhr verriet ihm, dass er voll im Zeitplan lag. Wie immer, den zu Verabredungen kam er immer pünktlich. Vor allem, wenn sie wichtig waren. Und diese war verdammt wichtig. Er nahm die schwarze Krawatte vom Kleiderständer, band sie sich mit schnellen und geübten Griffen um den Hals und zog den Knoten fest. Das Band der Krawatte verschwand unterm Hemdkragen. Dann schaltete er das Licht im Bad aus und ging zurück ins Wohnzimmer mit der kleinen noblen Küchenzeile.
Dort auf dem Tresen lag seine Waffe, die er mit kurzem Blick prüfte. Das Magazin prall gefüllt, ein Ersatzmagazin war bereits in der Tasche seines Jackets. Die Waffe verschwand im Holster hinter seinem Rücken, der danach vom Jacket verdeckt wurde. Sicherheitshalber. Aber er glaubte nicht daran, dass er sie heute Nacht brauchen würde. Seine Auftraggeber hatten ihm mehr als einmal eingeredet, wie wichtig dieser Job heute Morgen sei. Dass es vielleicht seine letzte Chance sei, doch Lucas war kein Mann, der sich unter Druck setzen ließ. Würde jemand eine Statistik über ihn erstellen, wäre seine Erfolgsquote wohl im hohen 90iger Prozentbereich, und viele seiner Aufträge löste er vor allem mit seinen Charaterzügen: Ruhe, Genauigkeit und Zuverlässigkeit.
Seine letzte Handlung, bevor er die Wohnung über den Aufzug verließ, war der Griff zu seinem Autoschlüssel und dem Aktenkoffer. Die Kabinentüren öffneten sich erst, als er in der Tiefgarage des großen Mietshaus in der Innenstadt von New York ankam, wo er zielgerichtet seinen schwarzen Audi A5 ansteuerte. Er fuhr seit 10 Jahren kein anderes Auto mehr als einen Audi, denn er war überzeugt dass Deutschland die besten Autos baute. In dieser Hinsicht hatte Lucas so manche Angewohnheit, von der er sich von niemandem abbringen ließ.
Röhrend verließ der Sportwagen die Tiefgarage und ordnete sich in den, noch sehr überschaubaren Verkehr der Millionenmetropole ein. Wieder ein Blick auf die Uhr... er lag im Zeitplan. Die Adresse war in einem etwas heruntergekommenen Viertel, wo er seinen "Termin" treffen sollte. Klassisch, in einem kleinen Burger-Imbiss, der um diese Zeit Durchreisenden, müden Trucker-Fahrern die auf Stadttour waren, oder hungrigen Nachtschwärmern, die aus der Disko stolperten, das Geld mit fettigen Burgern, süßen Waffeln oder zuckergussüberzogenen Donuts das Geld aus der Tasche zogen. Vor diesem Laden parkte Lucas seine Luxuskarosse und stieg, mit prüfenden Blick nach links und rechts auf den Bürgersteig, aus. Punkt 5:30 Uhr war es, als er den Laden betrat und seine braunen Augen scannten den Laden. Keiner der wenigen Kunden traf auf die Beschreibung seines Termins zu. Mit dem Aktenkoffer in der Hand
Er hasste Unpünktlichkeit, und eigentlich sollte sich der Typ, den er treffen wollte, bewusst sein um die Wichtigkeit dieses Termins. Er presste die Lippen zusammen, nahm Platz in einer der Tischnischen und bestellte bei dem asiatisch aussehnden Mann mit Schreibblock einen schwarzen Kaffee. Der bedankte sich mit einer leichten Verbeugung und verschwand hinter dem Tresen. Es dauerte nur einige Augenblicke, in denen Lucas nachdachte, wann er zum ersten Mal in dieser Lokalität eine asiatische Bedienung, und dann noch einen Mann, hatte, bevor der Mann den Imbiss betrat, der verdächtig nach der Beschreibung aussah. Groß, dunkle Haare, ein wenig fülliger aber nicht dick. Er war lange nicht so ruhig wie Lucas nach aussen wirkte, denn er sah sich gehetzt um und kam mit schnellen Schritten zu der Nische.
"Sind sie...?", begann er in schlechtem Amerikanisch und Lucas machte sofort eine abbrechende Geste. "Sscht. Nicht so laut. Muss ja nicht jeder mitbekommen. Setzen sie sich.", sagte er mit seiner dunklen, leicht knarzigen Stimme. Er wartete nicht ab, dass der nervöse Mann seiner Anweisung Folge leistete und zog ihm am Jackenärmel um ihn zum Hinsetzen zu bewegen. Es war draussen recht kühl, der Herbst schickte seine Vorboten nach einem, bis dahin, sehr warmen September. "Ist ihnen jemand gefolgt?", fragte Lucas, und es war so etwas wie eine Standardfrage bei solchen Treffen. Ein nervöses Kopfschütteln war die Antwort, und anhand des Eindrucks seines Gegenübers war sich Lucas der Antwort nicht besonders sicher. Aber was sollte er machen, das Geschäft musste jetzt über die Bühne gehen.
"Na dann...", war die kurze Forderung, die von dem Mann im schwarzen Anzug mit einem fordernden Blick aus seinen braunen Augen unterstrichen wurde. Der nervöse Mann griff in die Innentasche seiner Jacke, so dass sein Gegenüber alle Muskeln anspannte... schließlich traute er diesem Typen keinen Meter und nur so weit, wie er musste. Doch es kam keine Waffe zum Vorschein, es war kleiner so dass es von der gesamtem Handfläche verdeckt wurde, was er jetzt auf den Tisch legte und mit verdeckter Hand zu Lucas schob. Der wiederrum legte seine, etwas größere Hand über die des nervösen Mannes, beide sahen sich dabei um... Lucas wesentlich unauffälliger als sein Gegenüber, und doch hatte er mit seinem geübten Auge alle Leute im Blick. Es war nun nicht soviel los, und auch die Arbeitskraft hinter der Bar war beschäftigt mit dem Braten frischer Burger. Der Gegenstand unter seiner Handfläche, die er jetzt zu sich zog, fühlte sich genau nach dem an, was er haben wollte... klein, metallen. Er ließ ihn in seine Innentasche wandern.
"Sie wissen, was drauf ist?", fragte er in einem kurzen Satz und nahm einen Schluck seines Kaffees. "Ich kanns mir denken, und ich bin froh, das Ding los zu sein.", war die leicht zitternde Antwort. Lucas nickte und schob den Aktenkoffer mit dem Fuß unterm Tisch herüber. "Wir sind ihnen sehr dankbar. Aber zu ihrer eigenen Sicherheit wäre es gut, wenn sie für einige Wochen das Land verlassen würden." Es war keine Drohung, doch aus Lucas' Mund klang sie wie eine. Der Mann schwitzte, er war bleich um die Nase, und er nickte. Als er zunächst keine Anstalten machte, zu gehen, half ihm sein Gegenüber auf die Sprünge. "Worauf warten sie? Ich würde meinen Kaffee gerne in Ruhe trinken." Der Blick auf den kleinen grünen Augen war von leichter Angst durchzogen, als der Mann den Aktenkoffer griff und mit kleinen schnellen Schritten, und mehrmaligem nervösen Umschauen das Lokal verließ. Es schien ihm egal zu sein, ob in dem Koffer Zeitschriften, Esspapier oder tatsächlich viele kleine 500 $-Scheine waren... hauptsache weg. Lucas beobachtete aus dem Fenster, wie er in ein Mietauto stieg und zügig davon fuhr. Dabei sah er ihm etwas missbilligend hinterher, und hatte zugleich Verständnis für seine Nervosität, denn wenn seine Informationen stimmten, war er einfach nur ein Physiker und hatte mit solchen heiklen Geschäften nichts am Hut. Völlig ruhig trank er seinen Kaffee aus, zahlte und verließ das Lokal. Nichts fiel ihm auf, als er sich in den Fahrersitz seines Audis gleiten ließ, den Motor startete und losfuhr. Doch wenige Meter später, als er an der ersten Ampel hielt, legte sich wie von Geisterhand aus dem Nichts hinter ihm eine Drahlschlinge um seinen Hals.