Köln - 13:00 Uhr
Die Durchsuchung hatte ungewöhnlich lange gedauert, was an dem durchaus aufwändigen Sicherheitssystem des chemischen Labors hing. Hartmut war wie gefesselt von der neuartigen Firewall- und Verschlüsselungstechnik, mit der er sich schnell vertraut machte. Dann musste er dafür sorgen, dass allerlei Aufzeichnungen und Unterlagen auf die eigens dafür vorgesehenen Festplatten kopiert wurden, die er aus der KTU mitbrachte. Man konnte natürlich nicht, wie bei einer Privatdurchsuchung, einfach einen PC mitnehmen, da es sich hier um größere Server handelte. Schubert erschien kooperativ, auch der IT-Techniker mit dem Hartmut zusammenarbeitete und mit dem er sich ausführlich austauschte, stellte sich in keinen Fragen oder Forderungen quer. Man hatte den Eindruck, als wolle die Firma mithelfen, den Fall zu lösen. Semir war dementsprechend misstrauisch bei soviel Hilfsbereitschaft.
Er und Lucas beugten sich mit Bretten über sämtliche analoge Archive, die ehemalige Projekte mit der amerikanischen Firma PEC zusammen betrafen. Man durchblätterte Ordner für Ordner, zwei Forscher halfen mit wenn es an die technischen und chemischen Details ging. Doch Bretten hatte Recht, als er früh sagte: "Ich müsste mich doch sehr wundern, wenn jene Verbrecher schmutzige Geschäfte in den normalen Ordnern abheften würden." Semir stimmte dem zu: "Richtig. Aber manchmal findet man Codewörter, die in mehreren Projekten auftauchen, die vielleicht keinen Sinn ergeben." Allerdings würde es wohl Wochen dauern, das alles durchzuarbeiten.
Semir war enttäuscht. Er hatte gehofft, dass sich einer der Techniker mit irgendwas verdächtig machen würde. Ironischerweise waren heute sogar alle Mitarbeiter des betreffenden Labors da, niemand hatte Urlaub, niemand hatte einen kurzfristigen Krankenschein. Allerdings konnte sich auch in den Verhören niemand erklären, warum der Raum nun in dem Gebäudeplan tatsächlich so markiert ist, wie er war. Und niemand konnte sich erklären, wie man mit regenerativen Energien irgendeinen Schaden anrichten konnte, was auf ein Verbrechen hindeutete... ausser, man missbrauchte die Labore natürlich für andere Zwecke. "Wir sind nicht nur auf regenerative Energien ausgerichtet", gab Bretten zu bedenken.
Der erfahrene Polizist war sowieso mit seinem Kopf ganz woanders... nämlich bei seinem Partner. Ben hatte sich dermaßen kurzfristig einfach abgemeldet, das war nicht normal. Das Misstrauen siegte aber gegen die Neugier und die Sorge, mit der er seinen besten Freund unbekannten Zieles ziehen ließ. Das Misstrauen galt nämlich Lucas... nach wie vor. Und Ben schien am Telefon selbst ebenfalls ziemlich kurz angebunden... scheinbar wollte vor allem der Anrufer nicht, dass andere mithörten. Im Laufe des Mittags reifte immer mehr der Verdacht, dass es tatsächlich Christian gewesen sein könnte. Allerdings erwartete Semir zügige Nachrichten oder Rückmeldung seines Kollegens, die allerdings ausblieb. Dementsprechend nervös wurde er mit jeder Viertelstunde, die ohne Meldung verging.
Als sie endlich mit dem Gröbsten fertig waren und Polizistenschlangen Körbe voll Akten und bespielten Festplatten raustrugen, konnte er endlich zumindest einen Anrufversuch unternehmen. Doch Bens Handy war ausgeschaltet und Semirs Gesicht wurde misstrauisch. "Alles okay?", fragte Lucas, der scheinbar mit Adleraugen Semir beobachtete. "Hmm, ja ja." "Wo ist dein Kollege hin?" "Musste was dringendes erledigen. Der erzählt mir ja auch nicht alles.", sagte der Polizist schulterzuckend und spielte dem CIA-Agenten vor, dass das Verhältnis zu Ben nicht so dicke war, wie in Wahrheit. Doch der schaute nur etwas missbilligend. Semir unterschätzte die Beobachtungsgabe von Lucas, der sich ziemlich schnell ein Bild von Menschen machen konnte, und wie sie miteinander umgingen.
Als sie nach draussen gingen fragte Semir einen der uniformierten Kollegen, ob er sich einen Dienstwagen ausleihen könnte, um zurück zur Autobahndienststelle zu kommen. "Kein Problem.", rief Rolf, den er gut kannte, und warf ihm den Schlüssel zu. "Und das ist dann so üblich bei euch, dass zwei Kollegen einfach irgendwo ohne Auto stehen gelassen werden?", meinte Lucas nochmal mehr neugierig als schnippisch und Semir spürte, dass Lucas das Gegenteil von naiv war. "Kommt schon mal vor.", war seine kurze, nichtssagende Antwort.
Kaum in der Dienststelle angekommen, versuchte es Semir noch zweimal. "Verdammt...", murmelte er, als jedes Mal nur die Mailbox reagierte. Er wurde unruhig, ein untrügerliches Gefühl das ihn selten täuschte. Und er wusste nichts, keinen Anhaltspunkt wo Ben hingefahren sein könnte. Oder was überhaupt los war... er sah auf die Uhr. Es war bereits kurz vor 14 Uhr und um diese Zeit hätte er sich längst gemeldet. Lucas bemerkte die Unruhe des Deutschtürken, als dieser heraus zu Andrea ging. "Andrea, hat sich Ben vielleicht bei dir gemeldet?" Sie schüttelte den Kopf und blickte vom Monitor auf. "Was ist denn los?" "Ich...", wollte er gerade beginnen, doch er spürte fast schon den Blick des CIA-Agenten hinter sich, der gerade von der Toilette kam und interessiert aufsah. "Nichts... nichts wichtiges."
Es war schrecklich in seiner gewohnten Umgebung nicht einfach frei reden zu können. Das merkte auch Lucas, dem das ganze mehr als unangenehm war, denn mittlerweile fühlte er sich innerlich zerissen. Er wusste um die Absichten, hinter denen seine Organisation stand, und er wusste was für ihn auf dem Spiel stand wenn er die Regeln brach. Andererseits hatte Semir ihm den Hals gerettet, und Lucas war niemand, der sowas vergaß.
Als die beiden zurück ins Büro gingen, hielt Lucas Semir am Arm fest. "Ich weiß nicht, was mit deinem Partner ist...", begann er mit fester bestimmter Stimme. "... aber wenn es den Fall betrifft, dann solltest du mit mir reden." Semir sah den Mann an. Hier standen sich zwei Männer auf Augenhöhe gegenüber mit einem riesigen Schatz an Menschenkenntnis, die in ihren jeweiligen Job bereits alles gesehen und alles erlebt hatten. Semir fühlte sich keinesfalls mental überlegen, was ihm gegenüber Kevin und Ben hin und wieder vorkam. "Vertrauen setzt einiges voraus.", merkte der erfahrene Polizist an und zog dabei eine Augenbraue hoch. "Zum Beispiel die Beantwortung unserer Frage heute morgen. Wegen ihres Namens." Lucas schnaubte: "Ich hab ihnen doch schon gesagt, dass ich mich..." "Wenn sie sich schon mal in diese Organisation eingeschlichen hätten, würde die CIA sie nicht an vorderste Front gegen diese Typen stellen. Oder hat das CIA so wenig fähige Männer?", kam Semir ihm mit lauter Stimme zuvor, die autoritär klang und keine Widerworte duldete. Lucas lehnte ein wenig am Türrahmen und schüttelte nur den Kopf. "Du hast keinen Schimmer...", sagte er geheimnisvoll was den Polizisten noch wütender machte. "Ich kann dir nur sagen, dass du meine Hilfe nicht ausschlagen solltest gegen diese Typen. Ich denke, du weißt mittlerweile wie gefährlich sie sind." Dann drehte er sich um und öffnete die Bürotür... und Semir musste zugeben, dass er Recht hatte. Mit Lucas an seiner Seite hatte er gegen diese Leute wahrlich bessere Chancen. Und sein erstes Ziel auf der Suche nach Ben war dessen Wohnung... ob allein, oder mit Lucas.