Als Ben das nächste Mal wach wurde, war sein Blick klar und solange er sich nicht bewegte, waren auch die Schmerzen erträglich. „Wie spät ist es?“, wollte er wissen und als Semir ihm nun berichtete, dass es inzwischen drei Uhr geworden war, fragte er erstaunt: „Hat die Operation so lange gedauert?“, aber Semir schüttelte den Kopf. „Du bist schon seit drei Stunden wieder da und schnarchst mir was vor, aber Schlafen war ja schon immer neben Essen deine Kernkompetenz“, gab er frech zurück und jetzt musste Ben, der schon noch ein wenig blass um die Nase war, selber grinsen.
Die Schwester der Nachmittagsschicht, die bei der Übergabe ihren Patienten einfach hatte schlafen lassen, kam jetzt herein, kontrollierte den straffen Verband auf Nachblutungen, hieß Ben seine Zehen bewegen und prüfte auch die Sensibilität im Fuß. „Alles in Ordnung, ich hänge ihnen gleich noch Ibuprofen gegen die Schmerzen als Infusion an und wenn sie möchten, dürfen sie bereits was trinken“, sagte sie und damit war Ben sehr einverstanden. Er bekam einen Becher Wasser hin gestellt mit der Ermahnung es langsam angehen zu lassen, aber als wenig später Sarah und Andrea, die zuvor noch gemeinsam auf einen Kaffee in der Cafeteria gewesen waren, die Intensivstation betraten, war der Becher leer und Ben verkündete, er habe jetzt Hunger. „Das gibt’s doch nicht- manche kotzen sich nach einer OP die Seele aus dem Leib und du kannst an nichts anderes als Essen denken!“, schalt ihn Sarah liebevoll, aber als sie es mit dem Stationsarzt abgeklärt hatte, holte sie ihm erst ein wenig Zwieback aus der Stationsküche und als er den vertrug, kapitulierte sie und wenig später aßen die beiden Freunde, liebevoll unterstützt von ihren Ehefrauen, jeder ein Stück Kuchen, den Andrea aus der Cafeteria geholt hatte.
„Ich würde sagen es geht bei euch beiden steil aufwärts und wenn ich mir so anschaue, dass ihr eigentlich keine intensivmedizinische Behandlung mehr braucht, glaube ich eure Tage hier auf dieser Station sind gezählt“, erläuterte Sarah nach einem Blick auf den Infusionsbaum und die Perfusorleiste. „Bei Lucky geht es auch weiter aufwärts, er nimmt brav seine Medikamente, frisst und erledigt sein Geschäft, die in der Klinik meinen, wir können ihn vermutlich in ein bis zwei Tagen nach Hause holen und auch die Ponys befinden sich auf dem Wege der Besserung, wobei die sicher noch ein paar Wochen dort bleiben müssen“, berichtete sie von ihrem Telefongespräch mit der Tierklinik.
„Gott was bin ich froh, dass auch unser Lucky noch mal von der Schippe gesprungen ist, wenn ich entlassen werde, kriegt er eine riesige Wurst von mir, immerhin hat er mir das Leben gerettet“, erklärte Ben und nun musste Sarah lachen. „Ja Liebe geht bei euch Männern einfach durch den Magen, bei Menschen wie Hunden“, neckte sie und als die nächste Blutgaskontrolle bei Semir und Ben stabile Werte zeigte und kein weiterer Blutverlust erkennbar war, machten sich die beiden Frauen erleichtert auf den Heimweg. „Ich vermute die beiden werden bald auf Normalstation kommen und dann können die Kinder sie endlich auch wieder besuchen, sind deine auch so aus dem Häuschen wegen ihrem Papa?“, fragte Sarah und Andrea nickte. „Ich werde gleich auch Jenny schreiben, dass soweit alles gut ist, dann soll sie das den Kollegen weiter geben, dann läuft bei mir nicht das Telefon heiß“, bemerkte sie und als sie sich auf dem Parkplatz voneinander verabschiedeten, hatte beide wieder Mut und konnten zuversichtlich in die Zukunft sehen.
Am nächsten Morgen wurde Ben schon an die Bettkante gesetzt und wenn es auch noch zwickte und man sein Bein auf einen Hocker legen musste, heute schmeckte das Frühstück und bei Semir wurde am Vormittag noch die Thoraxdrainage gezogen. Das war zwar schmerzhaft und ihm entfuhr trotz Opiat zuvor ein Aufschrei, aber als das Kontrollröntgen am Nachmittag keine weiteren Lufteinschlüsse in seinem Brustkorb zeigte, gab der Unfallchirurg grünes Licht für die Verlegung.
Auch bei Ben waren die Blutwerte stabil, die Blutergüsse am Bauch und Brustkorb begannen sich grün und blau zu färben, aber es lief wohl nichts mehr nach und so reservierte man für die beiden für den nächsten Vormittag ein Doppelzimmer auf der Normalstation.
In Rumänien hatten der Tierarzt und der ehemalige Pferdehändler sich inzwischen in der gemütlichen Jagdhütte in den Bergen häuslich eingerichtet. Es gab genügend Vorräte, draußen lagerte Brennholz, die Wasserversorgung war durch eine eigene Quelle gesichert und etwa eine halbe Stunde entfernt lag ein kleiner Ort in dem man Lebensmittel und alles was man zum Leben brauchte, kaufen konnte. Der Cousin des Tierarztes hatte ihnen zwei Jagdwaffen besorgt und der vormalige Pferdehändler entdeckte ein neues Hobby- die Jagd. In dem Dörfchen sprach nur der Tierarzt und erzählte in fließendem Rumänisch dem Krämer vor Ort, dass er sich nach einer schweren Erkrankung einige Monate erholen wolle und der glaubte das sofort, denn der ältere Mann sah blass und angegriffen aus. „Unsere gute Luft, das herrliche Wildfleisch und die Ruhe werden sicher die Gesundheit wieder herstellen“, sagte er freundlich. „Wenn sie etwas Besonderes brauchen, ich kann ihnen so ziemlich alles besorgen und jetzt wünsche ich eine gute Genesung!“, gab er mit auf den Weg und half noch die Einkäufe im Kofferraum des Corsa zu verstauen. Der jüngere Mann hatte keinen Ton gesagt, aber das war eigentlich nicht aufgefallen und so lag der Tierarzt die meiste Zeit zugedröhnt auf dem Sofa, während der Pferdehändler durch die Wälder streifte und abknallte, was ihm vor die Flinte kam. Er hatte das Waidwerk zwar nie gelernt, aber das Töten machte ihm Spaß und sie ernährten sich bald hauptsächlich von Fleisch, das die Natur ihnen hier im Überfluss bescherte.
Der Tierarzt hatte aus Sibiu Antibiotika mitgebracht und futterte die, machte auch immer wieder frische Verbände um seinen Unterarm, aber eine Besserung wollte sich nicht einstellen. Dann aber setzte er sich den nächsten Schuss und es war ihm eigentlich egal, denn nun sah die Welt wieder rosarot aus und er hatte keine Schmerzen.
In Köln waren derweil Semir und Ben auf die Normalstation verlegt worden, gleich am Nachmittag kamen ihre Kinder zu Besuch und beide Väter lachten befreit mit ihrem Nachwuchs, es ging steil aufwärts!
Am nächsten Tag durfte Sarah Lucky abholen und der fiepte und schrie fast vor Entzücken als sein Frauchen erschien und zur Leine griff. „Lassen sie es ruhig angehen mit ihm, Spaziergänge momentan nur an der Leine. Er wird sicher noch viel schlafen, aber ansonsten hat er Alles gut überstanden. Zweimal täglich bekommt er für insgesamt vier Wochen noch seine Antikonvulsiva, die Mittel zur Krampfvermeidung, dann schleichen sie sie bitte aus. Wiedervorstellung wöchentlich und falls irgendetwas auffällig ist, melden sie sich bitte sofort“, sagte der Kleintierspezialist.
Sarah hatte zuvor noch im Großtiertrakt der Klinik mit den Stallungen die Ponys besucht und wenn die Schnitte und Verletzungen auch noch nicht ganz abgeheilt waren und täglich unter Sedierung gespült und versorgt werden mussten, wirkten die beiden munter und holten sich zutraulich die mitgebrachten Apfelstücke. „Das sind vielleicht zwei kleine Wildfänge, aber sie sind klug und lernen schnell“, lachte die Pferdepflegerin. „Ich würde die beiden wenn es ihnen besser geht, gleich noch kastrieren lassen, dann haben sie es leichter“, riet sie und Sarah nickte gedankenverloren. Ja wegen der Ponys musste sie sich noch was einfallen lassen, im Augenblick hatte sie keinen Kopf dafür, irgendwelche Baumaßnahmen zu planen und zu beaufsichtigen und irgendwo mussten die ja hin, wenn sie entlassen wurden. Aber kommt Zeit kommt Rat, dachte sie sich dann und als sie Lucky im Fond ihres Wagens verstaut hatte, wo er mit einem eleganten Satz in seinem riesigen Hundekäfig Platz genommen hatte, fuhr sie erst mal frohgemut nach Hause.