Ich denke, dass die fehlende Kontinuität auch mit Sender und Zielgruppe zu tun hat. Den meisten Leuten in den sozialen Netzwerken ist es doch eher wichtig, dass sie was zu lachen haben oder dass dramatische Folgen zum Heulen sind und die wenigsten achten darauf, dass diese oder jene Sache (vgl. „Bombenstimmung“ oder auch „Tödliche Wahl“) bei aller Dramatik doch eigentlich völlig unlogisch ist und nur gut kaschiert wird oder dass die Vergangenheit von Semir 2002 noch anders gemalt wurde als 2018. Allerdings ließe sich da in der Tat auch Erzähltes aus der Alex-Ära auseinandernehmen („1983“ als krasser Gegensatz zu „Am Ende der Jugend“).
Aber selbst beim Lehrer, einer Serie, die erst seit sieben Staffeln läuft und sich in dieser Zeit eher wenig gewandelt hat und wo man immer mal wieder die Vergangenheit aufgreift und man im Gegensatz zu denen bei der Cobra schon das Gefühl hat, der Autor hätte seine Hausaufgaben gemacht, werden hier und da auch mal Flüchtigkeitsfehler durchgewunken und Stefan Vollmer erzählt Dinge, die nachweislich nicht stimmen können.
Würde Cobra 11 bei ARD oder ZDF laufen, die einen deutlich besseren Ruf haben, schon weil Adam-sucht-Eva-TV dort keinen Platz hat, hätten sich die Zuschauer nicht nur Folgen a la Babyalarm nie bieten lassen, sondern vor allem würde man sich sehr viel besser bemühen, Kontinuitätsfehler zu vermeiden. RTL ist das ziemlich schnurzpiepe, weil es ihnen schnurzpiepe sein kann, Fans verlieren sie dadurch nicht oder höchstens geringfügig. Cobra 11 hatte immer den Anspruch, große Action zu zeigen. Von mega-innovativen Plots, ungewöhnlichen Erzählweisen und längeren Handlungssträngen war 1996 und viele Jahre danach nie die Rede. Das merkt man doch schon allein daran, dass man schon immer gerne plötzlich hilfesuchende Familienmitglieder eingebracht hat, von denen vorher und nachher irgendwie nie gesprochen wurde. Andrea hat eine Schwester - aber spielt die nach „Sonnenkinder“ noch irgendwo eine Rolle in ihrem Leben? Semir hat zehntausend verschiedene kleinkriminelle Cousins, von denen man noch beliebig viele aus dem Hut zaubern kann. Anna Engelhardt hat auch eine Schwester, von der man nix mehr hört. Hartmut dito. Bonraths Sohn hat es nicht mal zur Beerdigung seines Vaters - in der Alex-Ära! - geschafft. Von Pauls Schwester wird man ebenfalls hundertprozentig nie wieder hören. Komisch, wie diese Familienmitglieder alle aus dem Nichts auftauchen und in Selbigem wieder verschwinden. Und wenn man doch mal wieder einen von ihnen aus der Versenkung holt, wie Kemal, dann stört es auch keinen, dass der plötzlich ganz anders drauf ist, als 2010, als er ironischerweise ausgerechnet in der Folge auftrat, in der Semir Ben davon erzählt, wie sein Vater starb. Dem Ben, der genau jetzt auch wieder dabei ist, wie Kemal. Und das tut ehrlich gesagt richtig, richtig weh.
Da Cobra 11 mittlerweile schon eine Art Fließbandproduktion geworden ist, kann ich da in gewisser Weise tatsächlich schon verstehen, wenn er Aussagen zu seiner Mutter von vor 22 Jahren irgendwann nicht mehr im Kopf hat, gerade weil die Rolle Semir über 23 Jahre hinweg so unglaublich vielschichtig geworden ist, vom ganz normalen Polizisten mit Fux, Steinke, Oliver und Burkhardt über den Alles-Mitmacher neben Beck und den ernsten, verbitterten Polizisten bei Kiefer bis hin zum Klassenclown an der Seite von Roesner. Ich erwarte aber von RTL/AC/Joha oder dem Drehbuchautor, dass das dort irgendwo zumindest mal versucht wird zu überprüfen, weil da könnte ja doch mal was gewesen sein. Ist doch nicht möglich, dass Semir Gerkhan 23 Jahre und 350 Folgen lang nicht über seine Mutter gesprochen hat. Und das geht heutzutage einfacher denn je, zB hier im Fanclub. Da hätte es gerade hier nur ganz wenige Handgriffe gebraucht und herausgekommen wäre eine Folge nahe der Perfektion. Ist aber nichts draus geworden.
Warum? Drei Buchstaben: R-T-L.