Irgendwo in einer Penthouse-Wohnung in Düsseldorf
Christian Wenzel saß am Frühstückstisch, den Alma, seine Haushälterin, heute Morgen auf der Dachterrasse gedeckt hatte. Von seinem Sitzplatz aus hatte er einen unvergleichlichen Ausblick auf die Skyline von Düsseldorf. Die Strahlen der Morgensonne verbreiteten eine angenehme Wärme. Der Wetterbericht versprach einen schönen Sommertag.
Ein unerwarteter Besucher, Dr. Hans-Heinrich Hinrichsen, hatte ihm gegenüber Platz genommen. Normalerweise hasste Christian unangemeldete Besucher, doch ihm war auch klar, wenn der Rechtsanwalt schon zu solch früher Morgenstunde den Weg von Köln nach Düsseldorf gefahren war, hatte dies einen triftigen Grund. Nach der Begrüßung unterhielten sich die beiden Männer im Small-Talk über dies und das, warteten darauf, bis die Haushälterin das zweite Gedeck aufgelegt hatte, die Tür zur Dachterrasse schloss und im Inneren der Penthouse Wohnung verschwand. Schwach drang der Lärm des morgendlichen Berufsverkehrs an ihre Ohren, ansonsten herrschte Stille.
„Was treibt dich zu solch früher Morgenstunde zu mir nach Düsseldorf, Heinrich?“, erkundigte sich der Christian Wenzel, während er sein Drei-Minuten-Ei köpfte und den ersten Löffel genussvoll zwischen die Lippen schob.
„Deine verrückte Kroatin!“, entgegnete der Rechtsanwalt, der Mühe hatte seine Erregung zu verbergen. „Die raubt mir den letzten Nerv und den Schlaf!“
„Gabriela?“, fragte Christian ein bisschen amüsiert, „Was ist mit ihr? Wir haben doch alle ihre Forderungen erfüllt. Brauer hat mir gestern Abend bestätigt, dass er sie mit einer neuen Identität und entsprechenden Papieren ausgestattet hat. Justin hat seine Schulden bezahlt. Diese neugierige Schnüfflerin von der Autobahnpolizei kann noch drei Tage in den Akten des BKAs stöbern, wird aber nicht den leisesten Hinweis finden. … Nicht den Hauch einer Spur, die in unsere Richtung führen könnte. Also wo liegt das Problem?“ Er schob sich den nächsten Löffel, gefüllt mit dem gekochten Ei in den Mund und schnalzte genießerisch mit der Zunge. „Alma ist eine Meisterin darin, das perfekte drei-Minuten-Ei zu kochen. Du solltest endlich mit dem Frühstück beginnen.“
Dr. Hinrichsen ging nicht auf die Aufforderung ein und erwiderte mit einem scharfen Unterton: „Danke, mir ist der Appetit auf Frühstück vergangen! … Schaust du denn morgens keine Nachrichten?“
Er hatte die Aufforderung seines Gastgebers verstanden, nippte an seinem Kaffee und begann das Toastbrot, welches vor ihm auf dem Teller lag, mit Honig zu bestreichen.
„Nachrichten im Fernsehen? … Pfff….“, kam es ziemlich abfällig von Christian. „Das ist doch pure Zeitverschwendung und oft genug berichten die nur die halbe Wahrheit. Ich verlasse mich lieber auf meine eigenen Informationsquellen!“ und biss in sein mit Butter bestrichenes Toastbrot.
„Dann schalte mal deinen Flatscreen an! Die Verrückte ist aufgeflogen. Ein SEK-Kommando hat vergangene Nacht die Villa in Köln, die ihr als Schlupfwinkel gedient hatte, gestürmt.“
Christian Wenzel hielt mit dem Kauen inne und seine grauen Augen fingen an wütend zu funkeln. „Was meinst du mit aufgeflogen?“
„Was ist an dem Wort Aufgeflogen nicht zu verstehen. Das SEK Kommando hat das Versteck in Merheim ausgehoben. …Verstanden!“ Mit einer entsprechenden Geste seiner Hände unterstrich der Rechtsanwalt seine Aussage.
Der Geschäftsmann ließ seine Hand sinken und legte den angebissenen Toast zurück auf den Teller. Für einige Atemzüge herrschte Stille unter den beiden ungleichen Männern. Christian durchbrach das Schweigen. Er hatte sein übliches Pokerface aufgesetzt und sein Gesprächspartner versuchte vergeblich aus der Mimik etwas abzulesen.
„Wozu zahlen wir ein kleines Vermögen an Brauer und Co, wenn wir nicht rechtzeitig gewarnt werden?“
Mit knappen Sätzen berichtete der Hans-Heinrich Hinrichsen von den Ereignissen der vergangenen Nacht in Köln Merheim, soweit er sie den Presseberichten entnommen hatte und fügte erläuternd hinzu: „Das war ein Geheimkommando, das Staatsanwalt van den Bergh ohne Rücksprache mit seinen Vorgesetzten genehmigt hatte. Deswegen hat keiner etwas im Vorfeld gewusst.“
Als der Rechtsanwalt verstummte, herrschte erneut Schweigen am Frühstückstisch. Mit einer Serviette tupfte sich Christian Wenzel die Lippen sauber und warf sie achtlos auf die Tischdecke. Er schob den Frühstücksteller in Richtung Mitte des Tisches. Ihm war der Appetit gründlich vergangen.
„Und es ist sicher, dass Gabriela dabei umgekommen ist?“
Der Rechtsanwalt nickte und zählte nochmals die Namen der Personen auf, die laut dem ersten Polizeibericht dem Feuersturm in der Villa entkommen waren. Fast schon mit einem ängstlichen Unterton fragte er sein gegenüber:
„Was willst du unternehmen? Diese Russin und der Serbe, die im Krankenhaus liegen, haben mich mehrmals in der Villa gesehen, als ich mit der Kilic Gespräche führte. Die können eine Verbindung zwischen mir und Gabriela herstellen. Das sind lästige Zeugen!“
„Und der entführte Polizist? …. Dieser Jäger? … Hat der dich auch gesehen?“
„Nein! Weder er, noch diese Ärztin, haben mitbekommen, dass ich bei Gabriela zu Besuch in der Villa war und mehrmals mit ihr telefoniert hatte! Da bin ich mir sicher!“
Der Geschäftsmann zündete sich eine Zigarillo an und inhalierte den Rauch tief in seine Lungen. Hinter seiner Stirn arbeitete es fieberhaft.
Christian Wenzel war ein Mann, der die Öffentlichkeit und Presserummel scheute. Sein Firmengeflecht war über den ganzen Globus verstreut. Der Geschäftssitz seiner verschiedenen Holding-Gesellschaften war bevorzugt in Steueroasen, wo keine Behörde lästige Fragen stellte. Kaum jemand ahnte wie reich er tatsächlich war und in welche legalen und illegalen Geschäfte er weltweit verwickelt war. Einige der wenigen Menschen, die tiefere Einblicke in seine Geschäftsverbindungen hatten, waren Dr. Hans-Heinrich Hinrichsen und Gabriela Kilic. Die Kilic, so hoffte er insgeheim, hatte ihr Wissen mit ins Grab genommen. Und der Anwalt? … Er verwarf den Gedanken sofort wieder. Dr. Hinrichsen war zu wertvoll, um ihn einfach zu beseitigen.
Denn wenn es um Profit ging, kannte Christian Wenzel keine Hemmungen. Geld regiert die Welt und verlieh ungeahnte Macht. Sein Wahlspruch war, jeder Mensch hatte seinen Preis und wenn derjenige sich nicht mit Geld kaufen ließ, gab es noch andere Methoden, um jemanden gefügig zu machen oder wenn er im Wege stand, endgültig zu beseitigen. Wer für ihn und seine Geschäfte gefährlich wurde, hatte sein eigenes Todesurteil unterschrieben. Für solche Zwecke war jemand wie Gabriela Kilic eine sehr nützliche Helferin gewesen. Der stechende Blick aus seinen blauen Augen ruhte auf dem Rechtsanwalt, der seine Nervosität zu verbergen suchte.
„Mach dir keine Sorgen Hans-Heinrich! Ich werde mich darum kümmern, dass die beiden Zeugen zum Schweigen gebracht werden. Und auch für diesen Polizisten Jäger und der Ärztin wird es im Falle eines Falles eine Lösung geben. Warten wir deren Zeugenaussage ab! Die kommen uns nicht in die Quere!“
„Bist du verrückt, du kannst sie doch nicht alle umbringen lassen? Die Geschichte hat schon verdammt viel Staub aufgebwirbelt! Die ist in allen lokalen Nachrichtensendern. Dieser Polizist Jäger ist nicht irgendwer, sondern der Sohn von diesem Bauunternehmer Konrad Jäger! Versuche es wie sonst auch mit Bestechung … Drohungen oder …!“
„Seit wann besitzt du solch eine zarte Seele, mein Freund? Wer mir gefährlich werden kann, stirbt!“, unterbrach ihn Christian mit einem süffisanten Unterton, der gleichzeitig eine unausgesprochene Drohung darstellte. „Außerdem … vielleicht bin ich es ja Gabrielas Andenken fast schuldig, dass ich ihren Erzfeind über die Klinge springen lasse.“
Dr. Hinrichsen rang sich ein Lächeln ab, denn er wusste, dass es zwecklos war, mit seinem Geschäftspartner weiter darüber zu diskutieren.