15. Oktober 2008,
Wohnung der Chefin, Köln Marienburg, 21:50
Anna saß mit dem Telefon in der Hand auf der Couch im Wohnzimmer und lauschte Andrés Stimme, der ein wenig was von seinem Tag in Avignon erzählte.
Am Nachmittag hatte Meyer sich schließlich auf eine Zusammenarbeit mit der Autobahnpolizei eingelassen und ihr alle Unterlagen im Fall Krämer überlassen, die sie gemeinsam mit Ben und Semir in der PAST durchgegangen war.
Ben hatte noch am Abend eine Idee gehabt, wie sie dem Maulwurf eventuelle eine Falle stellen konnten. Sie konnten einfach behaupten, Beweise im Autowrack gefunden zu haben und ihn damit aus der Reserve locken.
Die Idee war gut und Anna war ganz klar der Meinung, dass sie es auf jeden Fall versuchen sollten. Hartmut würde ihnen dabei mit Sicherheit zu Handgehen, diese ‚Beweise‘ zu fingieren.
In Absprache mit Meyer hatten sie sich darauf geeinigt, es bereits am nächsten Tag zu versuchen.
„Hörst du mir überhaupt noch zu?“, die Frage riss Anna aus ihren Gedanken und sie musste kurz ertappt grinsen.
„Doch, schon...!“
„U-hm... Dann stimmst du mir als zu, das Schweine fliegen können und Katzen auch?“
„Was? Nein, natürlich nicht!“ Sie lachte, wurde dann aber recht schnell wieder ernst.
„Entschuldige... Ich bin einfach nur müde und hatte einen beschissenen Tag...“
„Was ist denn los?“
Anna erzählte Fux von dem Unfall, Max Degenbach und was sein Vater ihr an den Kopf geworfen hatte.
„Vielleicht hat er sogar recht und ich bin tatsächlich mit schuld an dem, was passiert ist...“
„Das ist doch völliger Blödsinn und du hörst sofort auf dir das einzureden! Anna, der, der ihn verraten hat, ist schuld an seinem Tod! Aber ganz sicher nicht du!“
„Ja... vermutlich hast du recht... Es ist nur...“ Die Polizistin schluckte und brach ab.
„Was ist ‚nur‘...?“ Andrés Stimme klang sanft und er gab ihr Zeit zu antworten, hörte er doch selbst durch das Telefon, dass da noch etwas anderes, viel tiefer liegendes war.
„Ich bin in letzte Zeit einfach so unglaublich müde und habe die Arbeit zwischendurch so satt!“, brach es schließlich aus ihr hervor und Fux konnte sich sofort denken, von was für einer Mündigkeit sie da sprach, hatte er sie doch vor 10 Jahren selbst schon einmal gefühlt.
„Du gibst jeden Tag dein Bestes und trotzdem habe ich das Gefühl, einfach nichts Positives mehr zu bewirken. Das Schlechte und Böse scheint fast überall zu sein und egal wie viele Verbrecher wir aus dem Verkehr ziehen, sofort kommen zehn neue von irgendwoher! Ich habe es einfach so satt deren Dreck wegzuräumen!“
„Mein Schatz, ich weiß, wo von du redest... Das ist genau der Grund, warum ich damals aufgehört habe...“ André machte eine kurze Pause, fragte dann aber:
„Soll ich nach Köln kommen? Ich kann schon morgen Nachmittag den Flieger nehmen.“
Das trieb Anna unwillkürlich ein Lächeln auf die Lippen.
„Nein, ist schon okay. Du hast morgen Nachmittag doch das Treffen mit den potenziellen Kunden aus Österreich.“
„Oh, du hast mir also doch zugehört. Das ist aber nicht so wichtig und mit denen kann sich auch jemand anderes Treffen und die Weinprobe machen. Und ich kann auch den letzten Flieger morgen Abend nehmen.“
„André das ist lieb, aber wirklich nicht nötig. Sie den Ausbruch gerade als Ausdruck unglaublicher Frustration an. Mehr aber auch nicht. Das gibt sich schon wieder...“ Ganz wollte sie jedoch ihren eigenen Worten nicht glauben.
„Sicher?“
„Ganz sicher!“
„Also schön... Vielleicht komme ich trotzdem schon morgen Nacht!“
„Abhalten werde ich dich davon bestimmt nicht!“
17. Oktober 2008:
Wohnung der Chefin, Köln Marienburg, 07:30 Uhr
„Leonie hast du alle deine Hefte in deine Schultasche gepackt?“, rief Anna fragend aus der Küche in Richtung Badezimmer, wo die Tochter soeben Zähne putzte.
Der kaum zu verstehen Laut, der aus dem Bad antwortete, sollte vermutlich ein ‚Ja‘ sein. Als Leo kurz darauf aus dem Bad kam, musste sie allerdings doch noch ein Heft mit ihren Hausaufgaben einpacken, dass sie beinahe vergessen hätte.
„Musst du heute wieder so lange arbeiten wie gestern, Mama?“ fragte die Achtjährige etwas mürrisch, während sie sich ihre Schuhe anzog.
„Nein mein Schatz, das muss ich nicht.“ Anna lächelte. „Heute habe ich ganz viel Zeit für dich. Was hälst du davon, wenn ich dich heute Mittag von der Schule abhole und wir dann zusammen in die Stadt fahren, um dir deine neuen Sportschuhe zu kaufen?“
„Oh ja bitte!“ Leonie nickte heftig. „Können wir dann auch ein Eis essen gehen?“
„Wir können dann auch ein Eis essen gehen.“ Das Lächeln auf dem Gesicht der Tochter wurde noch breiter, allerdings fragte sie noch einmal nach:
„Versprochen, dass wir heute Eis essen gehen?“
„Versprochen!“, bestätigte Anna, als sie ihr die Jacke reichte. „Und viel Glück bei dem Mathetest heute, mein Schatz!“ Sie strich Leo über den Kopf.
„Ach, der ist bestimmt ganz leicht. Ich habe am Telefon mit Paps geübt.“
„Na, dann kann ja nichts mehr schiefgehen!“ Anna lächelte und küsste zum Abschied ihre Stirn. „Viel Spaß in der Schule! Ich habe dich lieb!“ Leonie stürmte leichtfüßig die Treppen im Flur herunter und winkte, bevor sie durch die Haustür verschwand.
Die Chefin schloss die Wohnungstür und ging ein wenig unschlüssig zurück in ihr Arbeitszimmer, wo sie sich an den Schreibtisch setzte, auf dem ein paar Unterlagen zum Tod von Max Degenbach lagen.
Auch wenn sich gestern Abend eigentlich alles aufgeklärt hatte, und sie den Maulwurf identifiziert und geschnappt hatten, ließ ihr der Fall keine Ruhe.
Sie hatte die halbe Nacht wach gelegen, nach dem sie nach dem Zugriff eh schon sehr spät nach Hause gekommen war.
Es passte einfach alles viel zu gut zusammen und sie hatte das Gefühl irgendetwas übersehen zu haben!
Am Tag zuvor hatten sie Hartmut einen Bericht anfertigen lassen, laut dem er eine recht kaputte Festplatte im Wrack von Degenbachs Wagen gefunden hatte, die er dabei war in der KTU wiederherzustellen.
Ben und Semir hatten in ihrem Bericht dazu erwähnt, dass sie glaubten, das sich vermutlich belastendes Material auf der Festplatte befand.
Beide berichte hatten sie selbstverständlich der SOKO Krämer zukommen lassen.
Dann hieß es abwarten.
Sie hatten die KTU, in der sich die angeblichen Beweismittel befanden mit mehreren Beamten überwacht und fürchtete schon fast das ihr Plan nicht aufgegangen war, als Hauptkommissar Schmidt plötzlich auftaucht war.
Als sie ihn zur Rede stellen wollten, geriet dieser unvermittelt in Panik und flüchtete.
Ben, Semir und auch Kriminaloberrat Meyer hatten die Verfolgung aufgenommen und ihn bis zum Deutzer Hafen verfolgte, wo es auf Schmidts Boot zu einer Schießerei gekommen war, bei der Meyer angeschossen wurde und daraufhin Schmidt erschossen hatte.
Gerkhan und Jäger hatten sich auf dem Weg dorthin mit einem 40-Tonner angelegt und waren erst eingetroffen, als Schmidt schon tot war.
Kurz überlegte die Chefin, ob sie doch in die PAST fahren sollte, entschied sich spontan jedoch für einen anderen Ansatz.
17. Oktober 2008
PAST, 07:50 Uhr
In der PAST hatte Semir sich die ganze Nacht um die Ohren geschlagen.
Genau wie seine Chefin hatte er das Gefühl, das hier etwas einfach nicht stimmte. Alle Fragen waren restlos beantwortet und alle offenen Enden z in Windeseile zusammengeführt worden, als sie gestern im Hafen ihren Kollegen Schmidt tot auf seinem Boot gefunden hatten, nach dem Robert Meyer ihn in Notwehr erschossen hatte.
Gerkhan glaubte einfach nicht, dass Schmidt der Maulwurf im LKA gewesen war.
„Morgen!“ Ben kam gerade mit einer Tüte Brötchen bewaffnet in das Büro. „Und ich dachte ich wäre heute früh dran! Warst du etwa die ganze Nacht hier?“
„Ja... Bei diesem Fall stimmt irgendetwas nicht! Das habe ich einfach im Urin! Ich hätte einige Fragen an Schmidt gehabt!“ Gerkhan warf frustriert einen Kugelschreiber auf seinen Schreibtisch.
„Es ist ärgerlich das wir den Maulwurf nicht mehr befragen können, aber Meyer hat ihn ja nicht mit Absicht erschossen, sondern in Notwehr, nach dem Schmidt auf ihn geschossen hat.“
„Und wenn es doch Absicht war?“
„Warum sollte Kriminaloberrat Meyer einen seiner Leute erschießen?“
„Weil er vielleicht nicht so unschuldig ist, wie wir glauben?“
„Die Chefin war ziemlich deutlich, als sie gesagt hat, dass er über jeden Zweifel erhaben ist...“ grummelte Ben, der von ihr ziemlich angefahren worden war, als er mehr aus Spaß gefragt hatte, was sie machen sollten, wenn Meyer selber der Verräter war.
Gerkhan nickte jetzt sehr bedächtig und gab zu bedenken:
„Vielleicht will sie auch nur das sehen, was sie sehen will. Immerhin war er ihr Mentor und sie verdank ihm einen Teil ihrer Karriere...“