Das Rattengesicht fluchte und flitzte zu Lorenz. Der hatte sich in einem der Nachbarzimmer schlafen gelegt.
Mit der Faust schlug er gegen die Tür und brüllte: „Lorenz, wachen Sie auf! Wir haben ein Problem!“
Lorenz schreckte aus dem Schlaf und torkelte zur Tür.
‚Wenn das jetzt nicht wichtig ist und der mich wegen einer Lappalie weckt, erwürge ich ihn mit seinen gottverdammten Kabeln!’ dachte er schlaftrunken.
Er riss die Tür auf, an die immer noch das Rattengesicht hämmerte und raunzte ihn an: „Verdammt noch Mal! Was soll das Theater?
„Borchert hat’s versaut! Kommen Sie mit, dann zeig ich es Ihnen!“ Damit trippelte das Rattengesicht davon.
Augenblicklich war Lorenz hellwach. Er schnappte sich seine Hose, zog sie sich im Laufen an und stopfte das Hemd hinein. Gerade als er den Gürtel zumachte, betrat er das Zimmer mit den Monitoren. Auf den ersten Blick sah für ihn alles OK aus. Was sollte also die Aufregung?
Das Rattengesicht hantierte an einem Gerät herum und zeigte anschließend auf einen kleinen Monitor. „Hier, sehen Sie selbst. Dann wissen Sie was ich meine!“
Mit minütlich wachsendem Entsetzen sah sich Lorenz die Aufnahme an. Wie konnte das passieren? Wie konnten sie sich so austricksen lassen?
Plötzlich packte ihn die Wut und er griff zum Telefon. Während er wählte, stand er auf und lief wie ein eingesperrter Tiger hin und her.
„Gib mir Borchert ans Telefon!“ brüllte er ohne Begrüßung in den Hörer. „Ach, er will nicht gestört werden!… Dann sag ihm, das er Mist gebaut hat und wenn er sich nicht sofort zum Telefon bewegt, er die nächsten Jahre mehr Ruhe haben wird als ihm lieb sein wird… Und jetzt hol ihn mir, verdammt noch Mal, ans Telefon!“ Seine Stimme überschlug sich fast.
Er war inzwischen auf den kleinen Flur gegangen und schlug fluchend seine Faust wieder und wieder gegen die Wand.
„Dieser Idiot! Er versaut die ganze Sache!“ zischte er zwischen den Zähnen.
Keine Minute später meldete sich Borcherts müde Stimme. „Warum machst Du so eine Hektik? Stehen etwa gleich die Bullen vor der Tür?“ Es folgte ein herzhaftes Gähnen.
Das brachte das Fass zum überlaufen. Lorenz merkte, wie ihm die Zornesröte ins Gesicht stieg und seine Adern an den Schläfen zu pochen anfingen.
Brüllend ließ er seiner Wut freien Lauf: „Ja, Du Vollidiot! Wenn Du Pech hast, stehen nachher wirklich die Bullen bei Euch vor der Tür. Die Schlampe hat Euch ausgetrickst!“
Jetzt hatte er die uneingeschränkte Aufmerksamkeit von Borchert. Der fragte mit angehaltenem Atem: „Was meinst Du damit?“
„So wie ich es gesagt habe. Das durchtriebene Luder beherrscht anscheinend die Gebärdensprache und hat es geschafft, den Bullen mit dem Video eine Nachricht zukommen zu lassen. Und das vor Eurer Nase!“
Borchert konnte nicht glauben, was er hörte. „Verflucht! Bist Du Dir ganz sicher? Wissen die schon was genaues?“
„Ja, ich bin mir sicher. Ich habe vor ein paar Minuten die Aufzeichnung gesehen. Und Nein. Sie müssen erst einen Dolmetscher organisieren, der für sie übersetzt. Doch dieser Ritter hat die Worte ‚alt’ und ‚vier’ erkannt. Reicht Dir das an Beweisen oder willst Du warten, bis sie bei Euch an die Tür klopfen?!“ Lorenz konnte den Sarkasmus in seiner Stimme nicht verbergen.
Borchert holte scharf Luft. „Das wird dem Flittchen teuer zu stehen kommen. Die mache ich fertig!“
Mit einem Zischen stieß er die Luft wieder aus: „Ich sage meinen Männern Bescheid. Sie sollen alles einpacken und die Spuren so weit wie möglich verwischen. In einer knappen Stunde sind wir hier weg. Wir weichen ins andere Versteck aus. Gib mir Bescheid, wenn Du näheres erfährst.“
„Mach ich“, antwortete Lorenz. Mit warnender Stimme fuhr er fort: „Und denk daran, das wir die Frau noch mindestens zwei Tage lebend brauchen. Also reiß Dich zusammen! Tu nichts unüberlegtes… Hast Du mich verstanden?“
Wie ein beleidigtes Kind schmollte Borchert: „Ja!… Hab schon verstanden!“
„Wenn alles vorbei ist, kann Du mit ihr machen was Du willst. OK?“ tröstete ihn Lorenz. „Wir bleiben in Kontakt! Und versau es nicht noch einmal!“
Er legte auf und ging zum Rattengesicht ins Zimmer. „Gibt’s was Neues?“
Als der Angesprochene den Kopf schüttelte, holte er sich einen starken Kaffee und machte sich auf eine lange Nacht gefasst. An Schlaf war jetzt sowieso nicht zu denken. Er wollte es sofort erfahren, wenn die Polizisten etwas heraus fanden.
Zum ersten Mal beglückwünschte er die Ratte für den brillanten Einfall, die Dienststelle zu verwanzen und Kameras anbringen zu lassen. Eigentlich waren sie dazu gedacht, Gehlens perfide Rachegelüste zu befriedigen.
Wer hätte geahnt, das sie dadurch rechtzeitig gewarnt wurden!
Er bekam wieder das Gefühl, die Kontrolle zu haben….
In ihm brodelte es wie ein Vulkan, der kurz vorm Ausbruch stand.
‚Der werde ich es zeigen! Mich so vorzuführen!... Aber nicht mit mir!’
Borchert sprach den Mann mit dem Mausgesicht an, der ihn geweckt hatte und nun vor der Tür wartete.
Mit ärgerlichem Ton gab er seine Anweisungen: „Wir müssen von hier verschwinden. Sag den Männer Bescheid. Sie wissen was zu tun ist. Bau Deine Kamera im Schankraum auf. Du darfst unseren Abschied filmen. Der ‚Doc’ soll mit seiner Tasche zu mir kommen. Er bekommt Arbeit!“
Kaum war der Mann verschwunden, ballte Borchert die Hände zu Fäusten und schlug wütend auf die Matratze. „Dieses Miststück!… Der erteile ich eine Lehre, die sie so schnell nicht vergisst!“
Er erinnerte sich an die Warnung von Lorenz. Mit einem sadistischem Grinsen dachte er bei sich: ‚Er hat ja nichts von den Kindern gesagt!’
Dann machte auch er sich an die Arbeit…