Nummer drei ...
Einen Moment lang starrte Anna ihr Handy an. Sie wusste nicht, ob es richtig war, was sie jetzt zu tun in Begriff war, doch ihr fiel keine andere Lösung mehr ein. Sie hatten versucht Kovaljev auszutricksen und es war gründlich schief gelaufen. Zonz war schwer verletzt, vielleicht sogar tot. Langsam wählte sie Nikis Nummer. Vielleicht war es von Anfang an ein Fehler gewesen, Tom so weit aus den Ermittlungen rauszuhalten. Früher war Tom immer ein Mensch gewesen, den man fordern musste, der über sich hinauswuchs, wenn die Situation aussichtslos erschien. Vielleicht hätte er sich schon viel eher wieder gefangen, wenn sie ihn nicht so sehr beschütz hätten, wenn sie mehr Engagement einfordert hätten. Während sie wartete, das jemand abhob, hoffte sie einfach nur, dass Tom zu alter Stärke zurückfinden würde, wenn er hörte, das Semir in Gefahr war. Sie wusste, dass dieser Wille, Semir zu schützen noch immer in Tom schlummerte. Er musste ihn nur wiederfinden.
„Nicole Meyer!“, meldete sich Niki und riss Anna aus ihren Gedanken.
„Anna Engelhart hier! Ich muss dringend mit Tom sprechen.“
„Ja, einen Moment!“
Das Handy wurde weitergereicht, dann meldet sich Tom.
„Ja, Chefin, was gibt’s?“
Anna musste bei dieser Anrede unwillkürlich grinsen, war sie doch schon lange nicht mehr Toms Chefin. Doch es schien ihr ein gutes Zeichen.
„Tom, wir brauchen Sie! Besser gesagt, Semir braucht Sie!“, sagte sie einfach.
„Was ist passiert?“, fragte Tom sofort. Anna glaubte ein gewisse Entschlossenheit in seiner Stimme zu hören.
„Kovaljev hat ihn als Geisel genommen. Und er fordert Sie, sonst will er Semir umbringen.“ Anna wusste, dass es ein Risiko war, Tom so direkt mit den Tatsachen zu konfrontieren, doch sie wusste auch, dass es sinnlos war, ihm etwas vorzumachen. Die Situation war mehr als ernst.
„Ok!“, sagt Tom nur. „Wo sind die beiden?“
„Auf dem Klinikparkplatz!“
„Gut, ich bin auf dem Weg!“ Das war wieder ganz der alte Tom, wie Anna ihn kannte, als hätte es die Katastrophen der letzten Monate gar nicht gegeben.
„Tom, was immer Sie tun, seinen sie vorsichtig.“, ermahnte Anna ihn, mehr pro forma und setzte dann etwas zögerlicher hinzu: „ … und bleiben Sie bitte am Leben!“
„Ich werde mein bestes tun!“, erklärte Tom entschlossen, dann legte er auf.
Anna ließ sich in den Stuhl zurücksinken. Ihr Nacken schmerzte furchtbar und so langsam machten sich Kopfschmerzen bemerkbar. Sie gestattete sich einen Moment sitzen zu bleiben, doch dann stemmte sie sich aus dem Sessel hoch und machte sich daran, sich eine Fahrgelegenheit zum Klinikum zu suchen.