Ihr lieben, wie versprochen hier endlich der Anfang zum zweiten Teil unserer MSG!
Back to Hell...
Es war noch früh am Tage. Der Mond war bereist untergegangen und auch die Sterne waren kaum mehr zu erkennen. Der Himmel färbte sich schon stählern und ein bläuliches Licht lag über der Stadt. Nur ein schmaler Silberstreif wo Himmel und Erde sich zu berühren schienen, wies darauf hin, dass es nur noch eine Frage von wenigen Augenblicken sein konnte, bis die Sonne über den Horizont steigen und mit ihr die Geschäftigkeit des Tages hereinbrechen würde. Tom genoss diesen kurzen Moment knapp vor Tagesanbruch. Die Geräusche der Nacht waren verklungen, jene des Tages noch nicht erwacht. Für einen Wimpernschlag legte sich eine tiefe Stille über die Stadt. Es war, als hole sie noch einmal Atmen, bevor sie sich in das übliche Tagesgeschäft stürzte.
Tom stand am geöffneten Schlafzimmerfenster und ließ seinen Blick über die erwachende Stadt schweifen. Die kühle Morgenluft strich ihm über den bloßen Oberkörper und jagte ihm einen wohligen Schauer über den Rücken. Tief holte er Atem und ließ die kalte Luft in seine Lungen strömen. Heute war es also so weit, heute sollte sein erster Arbeitstag bei der Autobahnpolizei sein – zum zweiten Mal. Ein leichtes Lächeln schlich sich auf sein Gesicht. Noch vor einigen Wochen hatte er seinem Leben voller Verzweiflung ein Ende bereiten wollen und nun stand er hier und bereitete sich auf den Dienst vor. Nein, wenn ihm das damals jemand gesagt hätte, dann hätte er diesen Jemand wohl für völlig verrückt erklärt. Aber jetzt, kaum sechs Wochen später war das alles so weit weg, so fern, als gehöre das gar nicht mehr zu seinem Leben.
Nun, irgendwie war dem auch so. Er hatte ein neues Leben begonnen. Vom der Schadensersatz für die zu Unrecht erlittenen Haftzeit, hatte er sich eine wunderschöne Dachgeschosswohnung gekauft, fast ein kleines Penthouse, mit vielen Fenstern und großer Dachterrasse. Vielleicht war das doch noch eine Erinnerung an den Knast. Er brauchte Fenster, brauchte Aussicht, möglichst ungehindert und weit. Räume mit kleinen und wenig Fenstern, herabgelassenen Rollläden und ähnliches lösten noch immer starke Beklemmungsgefühle aus. Er fühlte sich eingesperrt, wollte flüchten. Vielleicht war deshalb diese Wohnung so perfekt. Hoch oben über den Dächern der Stadt, mit einem Blick bis auf die andere Rheinseite. Hier konnte man leben und auch Niki hatte es sofort gefallen.
Ja, auch das war ein großer Schritt in ein neues Leben gewesen. Er hatte endlich wieder eine Frau an seiner Seite. Niki, die kleine Lernschwester, die sich von seinen Launen im Krankenhaus nicht hatte abschrecken lassen, die an seine Unschuld geglaubt hatte, ohne ihn zu kennen, die in so vielen dunklen Stunden bei ihm gewesen war, die noch einmal die ganze Verhandlung mit ihm durchgestanden hatte. Damals, nach Elenas schrecklichem Tod hatte er geglaubt, dass er nie wieder in der Lage wäre, so etwas zu fühlen. Mit jedem Menschen, der ihm näher gekommen war, hatte ihn eine lähmende Angst erfasst, die Angst wieder einen geliebten Menschen so grausam zu verlieren. So hatte er sie in den letzten drei Jahren immer alles auf Distanz gehalten, hatte er sich von Frau zu Frau treiben lassen. Auf unzählige Flirts und Affären hatte er sich eingelassen, oft auch mehrere gleichzeitig. Oft genug hatte er morgens selbst nicht mehr in den Spiegel schauen gemocht, so sehr hatte er sich vor sich selbst geekelt.
Langsam wandte Tom sich vom Fenster ab und drehte sich zu Niki herum, die noch immer in seinem Bett lag und seelenruhig schlief. Sie hatte sie tief in die Decke gekuschelt, nur ihr langes rotes Haar, das wie Flammen über das Kopfkissen ausgebreite war und die Fingerspitzen ihrer rechten Hand waren zu sehen. Die Angst war noch da, wenn er tief in sich hineinhorchte, dann konnte er sie noch immer spüren, doch zum ersten mal seit langem lähmte sie ihn nicht, sondern erfüllte ihn mit Entschlossenheit. Ja, er liebt diese junge Frau und er würde sich das von niemandem kaputt machen lassen. Ein warmes Lächeln schlich auf Tom Gesicht. Nur zu wissen, dass Niki da war, bereitete ihm ein wohliges Kribbeln im Magen und für einen Moment wusste er nicht wo hin, so glücklich fühlte er sich.
Doch dann fiel sein Blick auf die Uhr. Es wurde wirklich langsam Zeit, dass er sich zum Dienst fertig machte. Er atmete noch einmal tief durch, dann schloss er das Fenster und streifte sein Hemd über. Vielleicht sollte er wenigsten an seinem ersten Tag im neuen, alten Job pünktlich sein. Es war ja immerhin auch schon der zweite Versuch. Er griff nach seinen Gürtel. Bedächtig zog er ihn durch die Gürtelschlaufen und hängte das Holster samt Dienstwaffe ein. Dann schlüpfte er in sein Jackett und griff als letztes nach seinem neuen Dienstausweis. Gedankenverloren drehte er ihn in den Händen. Die Nummer war die gleiche geblieben, nur das Foto war ein Neues. Ja, er war endlich wieder Bulle, nach drei Jahren und einem langen steinigen Weg durch finsterste Tiefen hatte er endlich zurück nach Hause gefunden. Gestern war er auf der Dienststelle gewesen und hatte sich seine Ausrüstung abgeholt und heute würde er endlich seinen Dienst antreten. Eigentlich hätte es schon vor fünf Wochen so weit sein sollen, aber dann hatte Semir, der sich natürlich mal wieder viel zu schnell selbst aus dem Krankenhaus entlassen hatte noch einen schweren Rückfall erlitten. Eine Narbe war wieder aufgebrochen und er wäre fast verblutet. Und dann war im Polizeipräsidium plötzlich doch noch jemand auf die Idee gekommen, dass man ihn einer psychologischen Untersuchung unterziehen müsste, ob er denn nach allem was passiert war auch wirklich Diensttauglich war. Da die Auswertung des Gutachtens sich ziemlich hingezogen hatte, hatten er und Semir schließlich entschieden den Dienst gemeinsam wieder anzutreten und so hatte Tom die Zeit, die Semir noch in Reha war damit verbracht eine neue Wohnung zu suchen, sich neu ein zurichten und einfach ein paar entspannte Tage mit Niki zu verbringen. Doch so langsam spürte er, dass er wieder Lust auf den Job hatte. Wenn er nur daran dachte, dass er in ein paar Stunden gemeinsam mit Semir über die Autobahn fahren würde, erfasste ihn schon ein elektrisierendes Kribbeln. Er war aufgeregt, wie ein kleiner Junge vor Weihnachten.
Tom ließ den Ausweis in die Innentasche seines Jacketts gleiten. Dann ging er hinüber zum Bett, beugte sich über Niki und gab ihr noch einen sanften Kuss zum Abschied.
„Tschüss mein Schatz, bis heute Abend.“, flüsterte er zärtlich.
Sie murmelte nur leise ein paar unverständliche Dinge im Schlaf und vergrub sich tiefer in den Decken. Tom lachte leise. Niki war so unglaublich süß, wenn sie schlief. Einen Augenblick lang beobachtete er noch ihren Schlaf, dann riss er sich aber doch los.
Im Rausgehen griff er im Flur noch schnell seinen Mantel von der Garderobe, dann verließ er die Wohnung. Sacht zog er die Wohnungstüre ins Schloss, um sie nicht zu stören und lief dann schnell die Treppen herunter zu seinem Dienstwagen. Schon von weitem sah er den dunkelblauen CLK auf dem Parkplatz stehen. Es war ein gutes Gefühl auf diesen Wagen zuzugehen und zu wissen, dass man den Schlüssel in der Tasche hatte. Selbst als er auf seiner Flucht vor dem Schmerz über Elenas Tod am anderen Ende der Welt gestrandet war, Wann immer er einen blauen CLK oder einen silbernen 3er BMW gesehen hatte, hatte ihn eine seltsame Wehmut erfasst. Ein Wehmut, die meistens nur dazu geführt hatte, dass er sich in der nächsten Kneipe abgeschossen hatte, in der Hoffnung dieses nagende Verlustgefühl damit zu betäuben. Tom schüttelte leicht den Kopf. Nein, das lag jetzt hinter ihm. Heute hatte er einen Schlüssel und dieser Wagen wartete nur auf ihn. Sogar die Kennzeichen waren die gleichen geblieben: NE-LK 3470. Ohne seinen Schlüsselbund aus der Tasche zu ziehen drückte Tom die Fernbedienung für die Zentralverriegelung. Kurz blendeten die Scheinwerfer und die Blinker auf. Er wusste zwar, dass das eine ganz normale Funktion der Zentralverriegelung war, aber dennoch hatte er für einen Moment das Gefühl, der Wagen würde ihn begrüßen. Er öffnete die Tür und ließ sich auf den Fahrersitz gleiten. Wenig später rollte der Wagen langsam vom Hof.
Als Tom endlich auf den Hof der PAST fuhr, zeigte ihm ein Blick auf die Uhr, dass er es nicht geschafft hatte pünktlich zu sein. Dienstbeginn wäre vor zehn Minuten gewesen. Er lehnte sich einen Moment ihm Sitz zurück, doch dann zuckte er nur die Schultern. Sie kannten ihn ja doch irgendwie und vermutlich hätte auch niemand erwartet, dass er pünktlich sein würde. Langsam stieg er aus dem Wagen und betätigte die Zentralverriegelung. Dann ging er hinüber zum Eingang. Ein nervöses Kribbeln breitete sich vom Magen her durch seinen Körper aus. Ja, er war seit seiner Entlassung schon ein paar Mal wieder hier gewesen, doch heute war trotzdem etwas Besonderes. Heute war sein erster Arbeitstag. Er atmete noch einmal tief durch und versuchte das Zittern unter Kontrolle zu kriegen, das ihn erfasst hatte, dann drückte er die Tür zu Dienststelle auf. Mit gemessenen Schritten, um seine Nervosität nicht zu offensichtlich werde zu lassen, durchquerte er das Großraumbüro der Streifenkollegen. Es war fast leer, nur Andrea saß hinter ihrem Schreibtisch und betreute den Funk. Tom war Dankbar dafür, neugierige Blicke hätte ihn jetzt vermutlich vollkommen aus dem Konzept gebracht. Andrea schenkte ihm nur ein aufmunterndes Lächeln und deutete auf die Bürotür. Tom erwiderte ihr Lächeln und trat ein. Semir saß an seinem Schreibtisch und schaute ihm erwartungsvoll entgegen.
„Du kommst spät!“, meinte er nur ganz trocken, doch dann schlich sich ein breites Grinsen auf seine Wangen.
„Und du lügst, wenn du jetzt behauptest, du hättest das nicht erwartet!“, konterte Tom in gleicher Weise.
Plötzlich war alle Nervosität verflogen. Das Gefühl, wieder so mit Semir herum kabbeln zu können war so unglaublich beruhigend. Stumm grinsten die beiden sich an. Es waren keine Worte nötig zwischen ihnen. Die Chemie stimmte einfach – immer noch. Spätestens jetzt wusste Tom, dass er angekommen war, wo er hingehörte.
„Lass uns eine Runde durchs Revier drehen!“, meinte Semir schließlich. „Im Moment ist eh nicht viel los.“
„Ok!“, willigte Tom ein. „Meinen oder deinen Wagen?“
„Deinen!“
„Semir bist du krank? Du lässt dich freiwillig von mit chauffieren?“
„Naja, so kann man es nennen.“, erklärte Semir. „Ich darf noch nicht wieder fahren. Der Arzt meint, die Belastung beim Bremsen und Gas geben ist nicht gut für die Narben an der Hüfte. Und noch einen Narbenbruch möchte ich eigentlich nicht riskieren!“
„Du kannst ja geradezu vernünftig sein!“, neckte Tom ihn.
Semir Blick ging nur vieldeutig hinaus zu Andrea. Tom musste grinsen. Er konnte sich gut vorstellen, wie Semir entgegen allen Anweisungen des Arztes Auto gefahren war oder es zumindest versucht hatte. Und noch viel besser konnte er sich vorstellen, wie Andrea ihm dafür die Hölle heiß gemacht hatte.
„Na dann los!“
Es war ein ruhiger Vormittag geworden. Sie waren vier Stunden kreuz und quer durchs Revier gefahren, doch zu größeren Vorkommnissen war es nicht gekommen. Der Wagen war trotz einer kleineren Verfolgungsjagd mit einem Verkehrssünder noch in einem Stück und es würde wohl auch schwer werden, ihn vor der Mittagspause noch in ein dunkelblaues Blechknäul zu verwandeln.
„Fahr man da vorne rechts!“, meinte Semir plötzlich.
„Hm, was willst du denn bei der KTU?“, fragte Tom verwundert. „Wir haben doch gar keinen Fall.“
„Ich will dir jemanden vorstellen.“, grinste Semir geheimnisvoll.
„Ah …ok!“
Tom zuckte nur mit den Schultern und folgte dann Semirs Hinweis. Langsam ließ er den Wagen auf den Hof der KTU rollen. Er parkte direkt vor einer der großen Fahrzeughallen und die beiden Kommissare stiegen aus.
„Hartmut!“, rief Semir laut, während sie auf die Halle zugingen.
Zunächst passierte nichts, doch dann hörte man es aus der Halle fürchterlich scheppern, ganz so, als sei eine große Menge Metallteile zu Boden gegangen. Vorsichtig linste Tom um die Ecke, nicht wissen, was ihn wohl erwarten würde. Und was er dann sah, machte ihn schon irgendwie sprachlos. Vor der Karosserie eines alten Pickup, oder zumindest dem, was davon übrig geblieben war, stand ein recht großer junge Mann mit kupferroten, sehr wirren Haaren. Der trug den typischen blaugrauen Werkstadtkittel der KTU-Mitarbeiter und hielt einen recht großen Kunststoffhammer in der erhobenen rechten Hand. Zu seinen Füßen, rund um das aufgebockte Wrack des Pickup lagen unzählige Metallteile. Tom konnte Kotflügel und eine Seitenklappe ausmachen. Auch eine Tür lag am Boden. Offenbar hatte der junge Mann mit seinem Hammer gegen das Fahrzeug gehauen und das hatte daraufhin sämtliche Teile von sich geworfen. Daher wohl auch das Scheppern, was sie grade gehört hatten. Semir schien den Anblick zu kennen, denn er bedachte den jungen Mann nur mit einem trockenen Kommentar.
„Effektive Methode, Hartmut! Ich hoffe, du zerstörst da keine Beweise.“
„Ähem … was … hör mal Semir …“, stammelte der Mann, als er sich herumdrehte.
„Schon gut Hartmut, wie sind ja gar nicht Dienstlich hier. Ich dachte nur, bevor wir Mittagessen fahren, könnte ich dir ja mal meinen neuen, alten Partner vorstellen.“
„Mittagessen?“, fragte der rothaarige KTUler sofort. „Kann ich euch begleiten? Ich hatte auch noch nichts.“
„Übrigens – Hartmut Freund!“, fügte er dann an Tom gewandt hin zu und streckte ihm die Hand hin. Tom ergriff sie prompt und stellte sich dann seinerseits vor.
„Tom Kranich!“
„Also, was ist mit Mittagessen? Zu Schröder?“, wollte Hartmut dann wieder an Semir gewandt wissen.
„Moment, Schröder???“, fragte Tom verwundert.
„Jepp, genau der Schröder. Nach erfolglosen Versuchen als Detektiv und Nachtclub-Besitzer hat er jetzt einen wirklich gut gehenden Imbissstand an einer Autobahnraststätte.“, bestätigte Semir. An Hartmut gewandt fügte er hinzu: „Wie nehmen dich mit, aber nur wenn die KTU und alles was mit Technik zu tun hat hier auf den Hof lässt. Ein Wort darüber und ich setzte dich auf der Autobahn aus!“
Hartmuts Gesichtsausdruck zeigte deutlich, dass er Semir eine solche Aktion voll und ganz zutrauen würde, doch er nickte tapfer und zog seinen Kittel aus. Dann gingen die drei hin über zum Wagen. Ein hinterlistiges Grinsen schlich sich auf Semir Gesicht. Das versprach lustig zu werden. Hartmut liebte seinen Job und all die technischen Spielereien, die damit zusammenhingen; man hörte ihn selten von etwas anderem reden. Nicht dass er ernsthaft vorhatte, ihn auf der Autobahn auszusetzen – bei allem Unsinn, zu dem er fähig war, das war dann doch zu gefährlich. Aber die Drohung, kombiniert mit einer leichten Tempoverzögerung dürfte Wunder wirken. Und dass Hartmut es nicht lassen konnte, doch von irgendwelchen Analyse-Ergebnissen oder ähnlichem anzufangen, das war so sicher wie das Amen in der Kirche.
Die Fahrt verlief zunächst schweigend. Hartmut wagte es entweder nicht den Mund auf zu machen, oder er wusste nicht, worüber er reden sollte, wenn es nichts mit seiner Arbeit zu tun haben durfte. Semir grinste Tom vieldeutig an. Innerlich zählte er schon die Sekunden, bis Hartmut doch wieder von seinen geliebten Analysen anfangen würde. Es juckte ihn in den Fingern, Hartmut ein wenig zu necken.
„Sag mal Hartmut, wie geht es eigentlich Lucy?“, fragte er – scheinbar völlig unbedarft.
„Wundervoll!“ Begeistert scheinbar ein Thema gefunden zu haben, über dass sich gefahrlos sprechen ließ, stieg Hartmut sofort auf Semirs Frage ein. „Ich denke ja schon wieder darüber nach, ob ich nicht noch etwas an ihr verändern sollte.“
„So, was willst du denn machen?“ fragte Semir, scheinbar neugierig.
„Naja, ich hab an einem beschlagnahmten Auto einige wirklich faszinierende Modifikationen festgestellt. Pass auf, …“
Weder Tom noch Semir hörten wirklich zu, was Hartmut da eigentlich erklärte. Sie hatten ohnehin keine Ahnung wovon er redete und es war auch vollkommen egal. Fakt war, er tat genau dass, was er versprochen hatte nicht zu tun. Damit war es an der Zeit ihn ein klein wenig zu erschrecken. Stumm bedeutete Semir seinem Partner, dass er sich nach rechts einordnen sollte. Tom verzögerte leicht und fädelte sich hinter einem Tanklastzug wieder auf die rechte Spur ein. Jeder andere hätte Tom jetzt wohl gefragt, ob er krank sei. Freiwillig mit kaum 90 Stundenkilometern über die rechte Spur zu schleichen, das war definitiv nicht seine Art die Autobahn zu benutzen. Hartmut allerdings war so vertieft in seinen Erläuterungen, dass er überhaupt nichts mitbekam. Tom und Semir schauten sich kurz um – die Autobahn war so gut wie leer. Vor ihnen der LKW, hinter den Tom sich zuvor eingefädelt hatte, hinter ihnen ein Kleinbus und links zwei Fahrzeuge, die grade zu Überholen ansetzten. Da konnte man einen kurzen Scherz riskieren. Tom wechselte weiter nach rechts auf den Standstreifen. Erneut verzögerte er den Wagen, diesmal etwas heftiger, damit Hartmut es auch ja mitbekam – und rettete ihnen damit vermutlich das Leben.
Der Tanklastzug vor ihnen kam plötzlich ins Schlingern. Der Fahrer steuerte verzweifelt gegen, doch der Wagen schleuderte immer heftiger. Geistesgegenwärtig legte Tom eine Vollbremsung hin. Keine Sekunde zu früh, denn der Lastzug geriet jetzt völlig außer Kontrolle. Das Heck brach aus und der Wagen stellte sich quer über die gesamte Fahrbahnbreite. Die Bremsen kreischten ohrenbetäubend, als der Fahrer versuchte noch irgendwie zum Stehen zu kommen. Doch vergeblich – die Katastrophe war nicht zu verhindern. Der Wagen schlidderte die Autobahn entlang. Die beiden überholenden Fahrzeuge waren viel zu schnell, um noch reagieren zu können. Sie krachten fast ungebremst in den Tanklastzug. Instinktiv duckten Tom und Semir sich hinter das Armaturenbrett und bargen den Kopf in den Armen. Aus der Erfahrung ahnten sie schon, was jetzt passieren würde.
Donnernd explodierte der Tanklastzug in einem Feuerball. Eine starke Druckwelle erfasste den Mercedes und schleuderte ihn um einige Meter zurück. Er drehte sich einmal um sich selbst und blieb schließlich in der Leitplanke hängen. Selbst in dieser Entfernung konnten die beiden Kommissare die Hitze spüren, die von dem Feuer ausging.
„Wow!“, murmelte Semir.
Vorsichtig hob er den Kopf, um den Schaden zu begutachten. Viel konnte er aber nicht erkennen. Vor seinen Augen breitete sich ein feines Netz von weißen Linien aus. Irgendetwas Schweres war in die Frontscheibe eingeschlagen. Sie war von Tausenden haarfeiner Risse durchzogen. Die Umgebung konnte Semir dadurch nur schemenhaft erkennen, einzig das Feuer war deutlich auszumachen.
„Seid ihr ok?“, fragte er seine Begleiter.
Tom nickte und war schon dabei, die Tür zu öffnen, um seinem Job nachzugehen. Hartmut hockte kreidebleich auf der Rückbank. Völlig geistesabwesend starrte er durch die zerstörte Frontscheibe nach draußen und sagte keinen Ton. Allerdings war auch er offensichtlich unverletzt. So beschloss Semir ihn fürs erste einfach da sitzen zu lassen. Hier im Wagen war er eindeutig am besten aufgehoben. Da konnte er nicht zu Schaden kommen und auch keinen anrichten. Er stieg nun ebenfalls aus, um sich einen Überblick über das Chaos zu verschaffen.
Die Autobahn sah aus wie ein Schlachtfeld. Von dem Tankwagen und den beiden Fahrzeugen war nicht viel übrig geblieben. Sie waren nur noch ein Knäuel von geschmolzenem Blech und verschmortem Gummi. Was auch immer der Tankwagen geladen hatte, es brannte verdammt gut. Noch immer schlugen die Flammen einige Meter hoch. Knapp vor diesem Inferno hatte sich inzwischen eine ordentliche Massenkarambolage entwickelt. Scheinbar hatten einige Fahrer durch die Druckwelle die Kontrolle über ihre Wagen verloren und waren ineinander gerast. Auch die Gegenfahrbahn war in Mitleidenschaft gezogen worden. Auch hier waren mehrere Wagen durch die Druckwelle außer Kontrolle geraten und hatten sich zu einem wüsten Blechknäuel verkeilt. Verschlimmernd kam noch hinzu, dass die Unfallstelle direkt hinter einer Kurve lag und für die nachfolgenden Fahrer nicht einzusehen war. Semir erkannt etwas entfernt Tom, der an der Mittelleitplanke entlang rannte und verzweifelt mit seiner Kelle winkte, um die Autofahrer zu warnen. Leider nur mit mäßigem Erfolg. Die meisten sahen ihn nicht oder waren einfach zu schnell, um noch rechtzeitig zum Stehen zu kommen. Seufzend griff er nach dem Funkgerät. Das hier war neben dem Überbringen einer Todesnachricht an Angehörige einer der Momente, in denen er seinen Job wirklich hasste.
„Cobra 11 für Zentrale!“
„Zentrale hört!“
„Schwerer Unfall mit Gefahrenstoffen auf der A4 Richtung Olpe. Knapp vor der Raststätte Frechen. Beide Spuren sind betroffen. Schickt Verstärkung, Feuerwehr und RTW!“
„Verstanden Cobra 11!“
„Und sperrt die Bahn weiträumig ab! Cobra 11 Ende!“
„Verstanden Cobra 11! Zentrale Ende!“
Semir hängte das Funkgerät wieder ein und machte sich auf, den Unfallbeteiligten zu helfen. Viel konnte er jedoch nicht ausrichten. Wer konnte, war längst aus seinem Wagen geflüchtet und hatte sich hinter die Leitplanke in Sicherheit gebracht. Er hört, wie von dort mehrfach nach ihm gerufen wurde, als er sich den Wracks näherte. Was die Menschen wollten, verstand er nicht, doch er wusste, so lange sie noch schreien konnten, waren sie nicht in unmittelbarer Lebensgefahr.
„Die Rettungskräfte sind unterwegs!“, rief er über die Schulter zurück und setzte seinen Weg fort. Aus der Ferne hörte er bereits die Sirenen der herannahenden Rettungsfahrzeuge.
Eine Berührung am Bein ließ ihn aufmerken. Vor seinen Füßen lag ein kleines Mädchen. Es blutete stark aus einer Kopfwunde und war nicht mehr in der Lage zu gehen. Instinktiv war sie von der Unfallstelle weg gekrochen. Doch weit war sie nicht gekommen, ehe sie ihre Kräfte verließen. Semir ging in die Knie und hob die Kleine behutsam hoch. Glücklicherweise traf genau in diesem Moment die Verstärkung mit den ersten Rettungskräften ein. So konnte er das Mädchen sofort einem Sanitäter übergeben.
Semir war erleichtert, dass sie so schnell vor Ort waren und er die Verantwortung für diese Situation los war. Denn obwohl es zu seinem Job gehörte und es auch beileibe nicht die erste Massenkarambolage war, die er erlebt hatte, fühlte er sich in solchen Situationen immer ein wenig überfordert. Bei so vielen Verletzten, so vielen Menschen, die Hilfe brauchten, so vielen Situationen, die eigentlich ein Eingreifen erforderlich machten, war er immer unsicher, wo er zuerst helfen sollte. Routiniert übernahm jetzt der Leiter des herbeigerufenen Löschzuges die Koordination der Rettungsmaßnahmen. Semir spürte, dass er hier im Moment überflüssig war und hielt es für besser, den Rettungsmannschaften nicht im Weg zu stehen. Er war fast ein bisschen erleichtert, als er jemanden rufen hörte.
„Semir, kommst du mal?“
Es war Hartmut. Scheinbar war er aus seiner Starre erwacht und zu dem Schluss gekommen, dass er ein wenig frische Luft gebrauchen könnte. Jetzt hockte er grade am Rand des Mittelgrünstreifens und betrachtet irgendetwas auf dem Boden. Mit einem Taschentuch hob er den Gegenstand vorsichtig hoch. Fasziniert betrachte er ihn von allen Seiten, dann hielt er ihn Semir strahlend entgegen. Es war eine längliche Metallhülse, an der einen Seite geborsten, als ob ihr Inhalt explodiert wäre.
„WAS? Ein Stück geborstenes Metall! Nicht verwunderlich bei der Explosion!“
Semir konnte nicht wirklich erkenne, was an diesem Stück Metall so besonderes sein sollte, dass Hartmut sich so dermaßen darüber freute.
„Ein bisschen weit weg von der Unfallstelle. Außerdem bei der Hitze, die das Feuer entwickelt haben muss, dürfte jetzt nur noch so ein kleines Klümpchen davon übrig sein!“ Hartmut deutete mit Daumen und Zeigerfinger der freien Hand einen kleinen Kreis an.
„Dann hat das einer der Wagen eben schon früher verloren. Was ist so besonderes daran?“, fragte Semir genervt.
Er hatte jetzt keinen Bock auf solche Ratespielchen. Die Autobahn war in Schutt und Asche gelegt, und obwohl nun wirklich niemand ernstlich behaupten konnte, dass Tom und er daran schuld waren, würde es doch wieder auf sie zurückfallen, nur weil sie zufällig in der Nähe waren. Ihr Dienstwagen war – mal wieder – reichlich ramponiert, zwar kein Totalschaden, aber fahren konnte man mit der Frontscheibe sicher nicht mehr. Das hieß, sie mussten hoffen, dass einer der Kollegen sie mit zurück zur Wache nahm, oder laufen. Und zu allem Überfluss hatte er noch immer nichts gegessen. Seine Laune war definitiv auf dem Tiefpunkt. Schlimmer konnte es nicht mehr kommen.
„Das ist die Hülse von einer Sprengladung!“ erklärte Hartmut. „Einer Haftsprengladung, um genau zu sein. Pass auf, hier“ - er deute auf das noch intakte Ende der Metallhülse – „erkennt man noch die Reste der Klebemasse. Das Zeug …“
„Moment! Willst du damit sagen, dass diese Explosion vorhin kein Unfall war?“ Semir hatte einen Augenblick gebraucht, bis ihm die Konsequenz von Hartmuts Aussagen bewusst geworden war.
„Wahrscheinlich eher der Unfall selber! Wie gesagt, wenn die Hülse sich in dem Feuer da hinten befunden hätte, wäre jetzt nicht mehr viel von ihr übrig.“
„Dann hätten wir doch was gehört. Wir waren praktische genau hinter dem LKW, als der Fahrer die Kontrolle verloren hat.“
„Nicht unbedingt! Solche Sprengsätze benutzt auch das SEK, zum Beispiel um massive Stahltüren zu öffnen. In diesen kleinen Röhrchen steckt die Sprengkraft einer Handgranate. Die Hülse ist aus einer besonderen Metall-Legierung. Sie besteht aus …“
„Hartmut bitte, komm zum Punkt!“ Semir wurde so langsam wirklich ungehalten. Zumal Hartmuts Feststellung den Unfall, den er in Gedanken schon auf die Kollegen vom Streifendienst abgeschoben hatte, wieder zu einem Fall für Tom und ihn machte.
„Naja, auf jeden Fall sind diese Sprengladungen so gebaut, dass sie ganz gezielt ihre Kraft in eine Richtung entfalten und dabei extrem leise sind. Neben dem Motorengeräusch eines Sattelzuges dürftest du sie nicht mehr hören.“ Gewissenhaft wickelte Hartmut das kleine Metallstück in sein Taschentuch und steckte es ein.
Semir unterdrückte nur mit Mühe einen herzhaften Fluch. So viel zu Thema ‚Schlimmer konnte es nicht mehr kommen.’ Er ging zurück zu seinem Dienstwagen, um die PAST zu informieren. Aus dem Unfall war ein Tötungsdelikt geworden und sein ohnehin schon verspätetes Mittagessen damit in weite Ferne gerückt. Jetzt konnte er sich erstmal darum kümmern, dass die Reste des Tanklastzuges in die KTU geschafft wurden. Außerdem mussten sie die Angehörigen von dem LKW-Fahrer verständigen und konnten wahrscheinlich auch gleich noch die Firma für die der LKW unterwegs gewesen war, unter die Lupe nehmen. Das versprach ein wundervoller Nachmittag zu werden. Zornig trat er gegen die Leitplanke.
„Na, na, na, Herr Gerkhan! Reicht Ihnen das Chaos nicht, dass Sie hier mal wie-der fabriziert haben?“, fragte ein Beamter, der grade in der Nähe stand, spöttisch.
Semir war nahe dran zu explodieren. Was erlaubte sich dieser Schnösel eigentlich? Nur weil Tom und er in der Näher gewesen waren, sollten sie Schuld an diesem Unfall sein? Der Typ tickte doch nicht mehr richtig. Am liebsten hätte er sich den Mann gepackt und ihm kräftig eine gelangt. Doch er beherrschte sich im letzten Moment.
„Es war ein Unfall!“, presste er zwischen den zusammengebissenen Zähnen her-vor.
„Es ist nur seltsam, wie oft grade Sie und Ihr Partner in solche Unfälle verwickelt sind! Ob das wirklich alles nur Zufall ist?“, entgegnet der Beamte spitz.
Das war eindeutig zu viel. Selbst bei bester Laune wäre dieser ungeheuerliche Vorwurf für Semir ein Grund gewesen aus der Haut zu fahren und seine inzwischen wirklich schlechte Laune tat ihr übriges. Mit einem Satz war er bei dem Beamten. Er packte in am Kragen und knallte ihn gegen den nächstbesten Wagen.
„Was wollen sie damit andeuten?“, fragte er gefährlich leise.
Der Beamte starrte Semir entsetzt an. Er war sichtlich überrascht, wie viel Kraft in diesem kleinen Menschen steckte.
„Ich … ähem, … gar nichts … Entschuldigung … Ich hab’ nur … ähem, … ich hab’ wohl nicht … ähem …nachgedacht!“, stammelte er erschrocken.
„Nicht nachgedacht?“
Das war doch die Höhe. Da warf er ihnen fahrlässige Tötung oder gar Schlimmeres vor und wollte sich dann rausreden, dass er nicht nachgedacht hatte. Er zog den Mann am Kragen nah zu sich heran und starrte ihn mit wutfunkelnden Augen an.
„NICHT NACHGEDACHT, JA?“, wiederholte er. „SOLL ICH IHNEN MAL ZEIGEN; WAS PASSIERT; WENN ICH NICHT NACHDENKE?“
„Semir, komm, das ist es nicht wert.“ Unbemerkt war Tom hinter ihn getreten und legte ihm beruhigend die Hand auf die Schulter. „Kümmern wir uns lieber um unseren Job.“
Semir atmete tief durch. Dann gab er den Beamten wieder frei.
„Beim nächsten Mal wird das für Sie ein ernstes Nachspiel haben! Dergleichen nennt man nämlich Verleumdung!“, sagte er noch zu ihm, ehe zu seinem Dienstwagen ging.
Er beugte sich durch die Beifahrertür und griff nach dem Funkgerät.
„Cobra 11 für Zentrale!“
„Zentrale hört!“
„Wir brauchen hier ein KTU-Team! Der Unfall war vermutlich ein Anschlag!“
„Verstanden Cobra 11! Wie sieht es sonst aus?“
„Wir haben hier alles im Griff! Cobra 11 Ende!“
„Verstanden Cobra 11! Zentrale Ende!“
Semir hängte das Funkgerät wieder ein und lehnte sich bäuchlings gegen das Auto. Er bettet den Kopf müde in den Armen und beobachtete Tom, der grade mit dem Einsatzleiter der Feuerwehr angeregt diskutierte. Er versuchte dem Mann grade klar zu machen, dass seine Leute jetzt, wo das Feuer gelöscht war, die Unfallstelle verlassen sollten, um keine Spuren zu verwischen. Nach Toms leicht erregter Gestik, war der Mann diesem Ansinnen jedoch nicht sehr zugetan. Semir war Tom sehr dankbar, dass er es übernommen hatte, sich mit den Feuerwehrleuten und Sanitätern auseinanderzusetzen. Er hätte jetzt weder die Ruhe noch die Nerven gehabt, sich mit einem sturen Einsatzleiter herum zu schlagen. Wahrscheinlich hätte das ähnlich geendet, wie eben mit diesem dreisten Beamten. Semir schloss die Augen. Er ließ seine Gedanken einfach treiben und versuchte sich ein bisschen zu entspannen. Angesichts seines penetrant knurrenden Magens ein absolut hoffnungsloses Unterfangen.
„Wovon träumst du denn grade?“, wurde er plötzlich gefragt. Tom hatte seine Diskussion mit dem Einsatzleiter der Feuerwehr offenbar zu einem akzeptablen Ende gebracht und wollte seinen Partner einsammeln.
„Kommt drauf an, ob du meinen Magen oder meinen Kopf fragst.“, murmelte Semir ohne sich zu rühren oder die Augen zu öffnen.
„Aha! Wo ist da der Unterschied?“, fragte Tom, hörbar belustigt.
„Mein Magen träumt von Schröder; der hängt nämlich mittlerweile auf dem Boden vor Hunger. Und mein Kopf träumt von morgen, dann ist dieser Tag endlich vorbei!“
„Komm, mein Wagen steht noch von allein.“ Lachend legte Tom Semir den Arm um die Schulter und zog ihn von seinem Dienstwagen weg. „Hotte und Dieter warten da hinten auf uns. Ich wette, die können wir zu einem Stopp bei Schröder überreden! Ich will doch nicht, dass deine Träume unerfüllt bleiben müssen!“
„Wenn ich dich nicht hätte, …“, brummte Semir, doch auch er musste jetzt grinsen. Er ließ sich von Tom ein paar Schritte mitschleppen, dann drehte er sich noch einmal um und begutachtete den Dienstwagen.
„Das war mal kein Totalschaden. Eigentlich hat er nur ’nen paar Kratzer und die Frontscheibe ist hin. Ob die Chefin das wohl als ‚beinahe heile’ durchgehen lässt?“ scherzte er.
„Gute Frage! Können wir ja im Büro gleich mal austesten.“, grinste Tom zurück.
Die beiden passierten das Wrack des Tanklastzuges, wo das KTU-Team mittlerweile bei der Arbeit war. Semir fiel plötzlich auf, dass sie sich gar nicht mehr um Hartmut gekümmert hatten, seitdem der stolz seinen Fund präsentiert hatte.
„Sag mal, wo ist eigentlich Hartmut abgeblieben?“ fragte er.
„Der ist ganz begeistert von seinem neuen Spielplatz!“, antwortete Tom und deutet auf die Unfallstelle.
Tatsächlich konnte Semir dort Hartmut erkennen, wie er, gekleidet in einen dieser weißen KTU-Overalls, zwischen den Trümmern hockte und einen Haufen grotesk verschmorten Metalls betrachtete. Es schien, als ob ihm das, was er dort sah, sehr gefiel. Jetzt hob er den Kopf und schaute sich um. Semir ahnte Böses und wollte Tom schon weiterziehen, um einem neuerlichen Vortrag von Hartmut aus dem Weg zu gehen, doch zu spät. Hartmut hatte sie schon entdeckt.
„Jungs, kommt mal her! Ich hab hier was Interessantes!“, rief er zu ihnen herüber.
Semir seufzte ergeben und machte sich auf den Weg zu Hartmut. Leider wäre es jetzt ein bisschen zu auffällig, wenn sie einfach so taten, als hätten sie nichts gehört und sich davon machten.
„Was gibt’s denn Schönes?“, wollte er wissen.
„Das da!“ Hartmut deutet auf das zusammengeschmolzene Metall.
Es sah aus wie die Reste eines Gestänges, zum Teil umgeben von geschmolzenem Gummi. Allerdings konnte Semir beim besten Willen nicht feststellen, was daran so interessant sein sollte. Nur hatte er das vorhin bei der Metallhülse auch nicht gekonnt und sie hatte sich zugegebenermaßen als sehr interessant entpuppt.
„Also, was ist das?“, fragte er ein wenig schärfer als beabsichtigt.
„Die Vorderradaufhängung des Tanklastzuges, die rechte um genau zu sein. Nach dem Grad der Beschädigungen war sie nicht der größten Hitze des Feuers ausgesetzt. Die Vermutung liegt jetzt nahe, dass der Wagen das Rad schon vorher verloren hat. Möglicherweise was das die Unfallursache. Außerdem sieht das Gestänge hier“ – er deutete auf das geborstene Ende einer Metallstange – „ etwas merkwürdig aus. Als sei es abgerissen worden. Vielleicht durch die Sprengladung, die ich vorhin gefunden habe!“ Stolz schaute er zu Tom und Semir hoch.
Leider hatten die beiden Kommissare im Moment keinerlei Sinn dafür. Sie waren hungrig und wollten endlich was essen.
„Prima, Hartmut! Nimm das in der KTU mal genau unter die Lupe! Wir erwarten deinen genauen Bericht dann morgen früh!“ Mit diesen Worten packte Tom Semir am Arm und zog ihn zu Hottes und Dieters Wagen.
„Hey, Moment mal, Jungs! So schnell geht das nicht!“ protestierte Hartmut. „Von dem Wagen ist fast nichts mehr übrig! Ich muss erst mal ’ne ganze Menge Daten sammeln und rekonstruieren, ein Modell entwerfen, verschiedene …“
„Ok, wir kommen morgen nach dem Mittagessen!“ rief Semir über die Schulter zurück. Dann schwangen die beiden Kommissare sich zu Hotte und Dieter in den Bulli und verließen die Unfallstelle.
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Fortsetzung folgt ...