Stefan schrie, als die schwarze Kreatur ihn ansprang und umriss. Knurrend und zähnefletschend biss sich das Tier in dem Arm fest, mit der Stefan die Waffe hielt. Hin und her warf der Wolf den Kopf und zerriss dabei den Mantelärmel des Entführers. Die Waffe von Stefan löste sich aus der Hand und versank irgendwo in der Dunkelheit unter dem Schnee. Entsetzt sahen Ben und Elli dem ganzen Kampf zu, der ganz und gar zu Ungunsten von Stefan auszugingen schien. Der Wolf schien in eine Art Rausch zu sein, denn er hatte sich vollkommen in Stefans Unterarm verbissen. Stefan schrie und trat nach dem Tier, richtete jedoch nicht viel dagegen aus. Elli sah mit großem, schreckerfüllten Augen auf die Szenerie und klammerte sich fest an Bens Hals. "Ganz ruhig, bleib ganz ruhig.", flüsterte Ben und drückte sie gegen seine Schulter.
Dann ließ der Wolf von Stefan ab, der scheinbar völlig fertig von dem Kampf war. Dann blickte das schwarz-graue Tier in Richtung Ben und Elli. Langsam stapfte der Wolf durch den Schnee und Ben wich zurück. Doch bald war die Felskante erreicht und der Kommissar saß mit dem Rücken zur Wand. Mit einem zerschossenen Bein und Elli auf der Schulter konnte er gegen dieses starke Tier sowieso nichts ausrichten. Seine Augen waren weit und schreckhaft geöffnet. Sollte sich das Märchen von Rotkäppchen, dass er seiner Patentochter einige Male vorgelesen hatte, jetzt mit anderer Konstellation bewahrheiten? Ben sah sich hastig um, doch auch kein Stock oder ein Stein war als Waffe in der Nähe. So konnte er nur dasitzen und versuchen, Elli so gut wie möglich zu schützen.
Doch es kam anders, als erwartet. Das schwarz-graue Tier mit den leuchtend gelben Augen schien mehr neugierig als angriffslustig zu sein. Vorsichtig näherte es sich dem Mann, der einen vertrauten Geruch an sich zu haben schien. Ben versuchte ruhig zu bleiben, als er die ziehenden Schnüffelgeräusche des Tieres an seinem Bart verspürte. Das Tier hatte wirklich einen vertrauten Geruch wahrgenommen. Scheinbar schien der Mix aus Bens Rasierwasser, seines Spülmittels der Kleidung und der Schweißgeruch eine beruhigende Wirkung auf das Tier zu haben, denn es näherte sich Ben, schmiegte seinen Kopf an den Kommissar und schleckte mit der rauen Zunge sein Gesicht ab. "Wie eklig.", dachte er bei sich und verzog sein Gesicht. Dann legte sich das Tier wärmend auf Bens Beine und schien wachend zu schlafen.
Semir erreichte die Felskante und sah im Schnee einen leblosen Körper liegen. "Nein, bitte lass das nicht zu.", dachte er erschrocken und näherte sich dem Körper. Dann vernahm er ein Stöhnen und leuchtete vorsichtig mit der Taschenlampe in das Gesicht. Erleichtert atmete er auf. Es war nicht Ben. Doch wo war Ben? "Semir?", rief dann eine dem Hauptkommissar vertraute Stimme heiser. Semir drehte sich um und leuchtete vorsichtig mit der Lampe in Richtung der Stimme und erblickte Ben. Er wollte sofort zu ihm rennen, doch dann bemerkte er, wie sich etwas von Bens Beinen erhob und sich mit drohendem Buckel vor dem Kommissar aufstellte. Semir war steif von dem lebensgefährlichen Knurren. Starr stand er da und wartete ab. Er wagte nicht nach seiner Waffe zu greifen. Jede unüberlegte Reaktion wäre hier lebensgefährlich. Er versuchte sich zu entspannen und ließ seine Gliedmaßen schlaff herunterhängen.
Das Knurren verstummte langsam und er hörte, wie der Schnee heruntergedrückt wurde. Der Wolf war zu neugierig und wollte auch diesen Geruch kennen lernen. Er lief schnuppernd um Semir herum und schien festzustellen, dass von ihm keine Gefahr ausging. Im Gegenteil, der Kommissar schien eine ungewöhnliche Ruhe auszustrahlen, sodass der Wolf nicht zurückschreckte, als Semir sich hinkniete und ihn langsam seine Mähne streichelte. "Ganz ruhig. Ich tu dir nix und du tust mir auch nix, okay?", meinte Semir und bemerkte dann das dicke Halsband. Mit der Lampe leuchtete er auf den Namen. "Ha, das glaub ich nicht. Das ist der Wolf, den Hotte und Dieter einfangen sollten.", rief er Ben zu. "Sehr schön, dass du ihre Arbeit gemacht hast. Aber uns ist kalt und mir tut mein Bein weh.", murrte Ben. Semir ging schnell zu ihm, das Tier folgte ihm, und er begutachtete Bens Bein. "Hm, du musst schnell aus der Kälte.", meinte Semir besorgt, zog seinen Kollegen hoch und nahm die Taschenlampe in den Mund. Der Hauptkommissar nahm sein Handy in die Hand und benachrichtigte die Kollegen.
Der Rest war einfach. Die Kollegen nahmen Stefan Mommsen und seine Freundin, die in der Hütte neben dem Bootshaus war, fest und die Zirkusmitarbeiter fingen den Wolf, der übrigens Bruno hieß, ein. Ein junger Mann erklärte Ben auf die Frage, warum das Tier Stefan angegriffen hat, ihn und Semir aber nicht, dass Bruno als junges Tier fast erschossen wurde, dann aber bei seinem jetzigen Besitzer wieder Vertrauen und Zuneigung gefunden hatte, da er den Menschen als Rudelführer akzeptiert hatte. Doch für Semir stand noch eine andere Aufgabe bevor. Er musste Ben von der Verhaftung Patricks erzählen. "Ben, ich muss dir was sagen.", meinte der Hauptkommissar, als Ben im Krankenwagen stationär behandelt wurde.
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