Englischer Besuch
Der Engländer liebt das Gefühl, dass er über sich selbst lachen kann. Er tut das aber nur, um den andern die Freude zu nehmen, über ihn zu lachen.
Peter Ustinov
"Hier ist es!" Semir bremste auf Bens Äusserung und fand sich vor einem Starbucks wieder. "Ich wusste gar nicht, dass wir hier in Köln auch einen haben!" Ben zog eine verwirrte Grimasse. "Einen? Semir wir haben nicht mehr 1980! Wir haben inzwischen acht Starbucks." Mit einem Grinsen im Gesicht stieg Ben aus dem Auto und lief zum Eingang. "Acht Starbucks?" murmelte Semir zu sich selbst und schluckte. "Ben weiss sicher nicht einmal mehr wann der Erste eröffnet wurde, und ich weiss nicht mal dass es acht gibt…" Um sich abzulenken sah Semir nach draussen. Die Strasse wurde erst vor kurzem von Schnee und Eis befreit und wurde mit Salz eingestreut. Es war wirklich der kälteste Winter, den er bisher in Deutschland erlebt hatte. Selbst als abgehärteter Polizist sass er mit Wollmütze und Handschuhen im Auto, weil die Heizung nicht genug wärmte. Es herrschte gut minus zehn Grad. Als er kurz in den Laden blickte, sah er, dass Ben in einer langen Warteschlange stand und ahnte, dass dies noch dauern würde. Um sich abzulenken schaltete er das Radio an und sofort erklang ein Lied. "It was cold as ice!" schrie der Sänger durch die Lautsprecher und Semir verdrehte die Augen. "Das brauche ich grad gar nicht!" kommentierte er seine Handlung und spielte an der Senderkurbel rum. Nach zwei Handgriffen hatte er eine Satiresendung gefunden, die sich gerade über George W. Bush lustig machten und Semir liess sie laufen.
Nach zehn Minuten kam Ben zum Wagen und stieg ein. "Entschuldige Partner", begann er und überreichte ihm einen grossen Becher, "eine alte Oma war an vorderster Front. Sie wollte die fünf Euro mit ihren Cents bezahlen." Semir lächelte und winkte ab. "Kenn' ich. Gefährliche Rasse. Besonders schlimm bei Lidl und Aldi!" Ben lachte und konnte mit einem Nicken nur zustimmen. "Ich hab' dir türkischen Kaffee mitgebracht. Wenn du das magst." Semir öffnete den Deckel und schnupperte kurz. Welch Wohlgefühl. "Du hast den richtigen Nerv getroffen", bestätigte er und nahm einen Schluck des heissen Getränks. "Was hast du?" fragte er nachdem er runter geschluckt hatte und Ben hatte wieder sein Spitzbubengrinsen im Gesicht. "Schokokaffee. Mit extra viel Sahne und Schokostreuseln!" Er machte grosse Augen und begann mit einem Plastiklöffel die Sahne abzunehmen. "Wie alt?" fragte Semir und Ben sah ihn mit sahneverschmierter Schnauze an. "30 wieso?" fragte er mit einem Grinsen und der Ältere schüttelte mit dem Kopf.
Die Arme fest verschränkt, der Mantel fest an den Körper geschnallt und der Schritt bestimmt und schnell. So lief Joshua Etheridge über den Bürgersteg und blickte immer wieder um sich. Köln war schon eine kleine Stadt. Gegen seine Heimatstadt London wirkte sie wie ein Dorf. Ein grosses Dorf, aber ein Dorf. Aber es gefiel ihm. Wenn er was fragte, die Leute konnten ihm antworten. Die meisten Deutschen waren dem Englischen mächtig und die Wenigen die es nicht waren, halfen ihm mit Händen und Füssen. Er lief an einem Wagen vorbei, in dem zwei Leute miteinander diskutierten und dabei immer genüsslich an ihren Starbucksbechern nippten. Der einte wirkte südländisch. Er vermutete eine türkische Abstammung. Der Andere glich einem jugendlichen Rebell. Zwei Gegensätze seiner Meinung nach. Mit einem Lächeln lief er weiter. Immer wieder sah er sich um. Er fühlte sich beobachtet! Irgendwas stimmte nicht. Er ging über die Strasse. Erst als er die quietschenden Reifen hörte, sah er nach rechts. Doch da war es schon zu spät.
Ben schrie auf als er sah, wie ein junger Mann von einem Auto erfasst wurde. Er wurde brutal auf das Heck des Wagens geworfen und fiel dann wieder auf die Strasse. "Scheisse", stiess Semir hervor und Beide stiegen sofort aus. Sie rannten auf den Wagen zu doch dieser fuhr mit erhöhter Geschwindigkeit davon. "Stehen bleiben du Arschloch!" rief Ben hinterher doch es brachte nichts. Semir sah sich den Mann an. Er wirkte ziemlich jung, konnte durchaus aber schon in Bens Alter sein. Das Haar war länger und reichte bis zum Hals. Doch vom Haarschopf aus floss Blut über die Stirn die Schläfe hinunter. Am Handgelenk befand sich eine grässliche Schürfwunde. Der Mann war bewusstlos. "Ben, ruf sofort einen Krankenwagen!" Ben nickte, zückte sofort sein Handy hervor und wählte die Notrufnummer. Die Augen des Mannes flackerten und öffneten sich leicht. Er verzog sofort das Gesicht, blieb jedoch in der Seitenlage, in den Semir ihn gedreht hatte, liegen. "Hilfe ist unterwegs", sprach Semir ihm zu und der Mann blickte verwirrt. "Anscheinend versteht er dich nicht", erkannte Ben und in dem Moment wo er was fragen wollte, fielen Schüssen. Semir beugte sich sofort über den Verletzten und zog seine Waffe. "Verdammt woher kommt das?" Ben sah sich um, die Waffe vor dem Körper gerichtet. "Keine Ahnung!" Doch so plötzlich die Schüsse kamen, so schnell waren sie auch wieder verschwunden.Und Ben konnte nichts erblicken. Kein Mensch. Keine Waffe. "Dass ist doch nicht möglich!" stiess er hervor. "You're from the police?" stockte der Mann hervor und Semir sah Ben verwirrt an. Dieser beugte sich über den Mann und nahm ein Papiertaschentuch hervor. Er nickte und fügte hinzu: "Don't worry. Assistance is on the way! Who are you?" Der Mann keuchte und sagte leise: "Joshua, Joshua Etheridge…" Dann schloss er die Augen.