Langsam wurde es hell und dieses neutrale weiss tat Ben in den Augen weh. In seine Ohren drang ein regelmässiges Piepen. Immer wieder. Piep, Piep. Unendlich. Das Zeichen, dass er lebte. Er hatte es also geschafft. Jedoch fühlte er sich matt und schwach und sein ganzer Körpern war wie Blei. Auf seinen Wangen herrschte ein Druck, der bis zur Nase drang und Ben wusste was das war. Eine Nasenkanüle. Anscheinend hatte es schlimmer um ihn gestanden, als das er vermutet hatte. Neben ihm hörte er ein ratzendes, knatterndes Geräusch. Es war leise und kaum erkennbar. Ben drehte langsam seinen Kopf. Ein beinahe umögliches Unterfangen. Das komische Geräusch, dass er zuerst nicht unterordnen konnte, war ein Schnarchen! Ein gewöhnliches Schnarchen. Und dieses kam von Semir. Dieser hatte die Arme verschränkt aufs Bett gelegt, den Kopf darauf gebettet und war eingeschlafen. Ben lächelte. Auf Semirs Stirn klebte ein überdimensionales Pflaster und auf dem Tischchen neben dem Bett, waren lauter Kaffeebecher aufgereiht worden. Anscheinend wollte Semir wach sein, wenn Ben wieder zu sich kam. Doch anscheinend war die Müdigkeit einfach zu stark.Langsam hob Ben seine Hand, in der er ebenfalls eine Kanüle stecken sah, die ihn mit Blut versorgte und legte sie sanft auf Semirs Schulter. Doch nichts. Semir musste so tief schlafen, dass er dies nicht bemerkte. "Er ist die ganzen zwei Tage aufgewesen!" hörte er eine Stimme sagen und erblickte Andrea, der die Erleichterung ins Gesicht gemeiselt war. "Gott Ben", schluchzte sie hervor und wollte schon Ben umarmen, hatte aber Angst wegen der Schläuche. Doch Ben ergriff die Initiative und strich Andrea über den Oberarm, so gut es eben ging. Sie tat es ihm gleich. "Semir hat die ganze Zeit wache gehalten. Man konnte seinen Blick nicht von den Geräten nehmen. Ich hätte, glaube ich, nackt in dieses Zimmer kommen können, er hätte es nicht gemerkt." Ben konnte nichts erwidern. Seine Stimme war wie abgestorben. Er war einfach noch zu schwach.
"Da wäre noch jemand für dich. Ich wusste nicht, ob sie rein dürfe." Verwirrt zog Ben eine Augenbraue hoch. "Sie hat sich mit dem Namen "Francesca Scolari" vorgestellt. Sie wartet draussen." Ben nickte und Andrea stand auf, sie ging zur Türe, öffnete sie und winkte die Besucherin herein. Francesca, immer noch genauso schön wie damals, als Ben sie als Kind traf, ging mit verweinten Augen auf ihn zu und strich ihm übers Haar. "Mio Bambino!" schluchzte sie und küsste Ben auf die Stirn. "Ich habe mir solche Sorgen gemacht! Ich habe es in den Nachrichten gesehen! Herrgott! Ich bin geplatzt vor Sorge!" Ben war verwundert. Sie liess kein einziges Wort über Adriano fallen. Er war ihr im Moment anscheinend wichtiger. Denn vor zwei Jahren, hatte Francesca schon ihren Mann verloren. Lungenkrebs. Das lange, unbeschwerte Rauchen hatte seinen Tribut gezollt.
"Ich bin so froh! Mein Ben!" Über die Jahre, war Francesca wie eine Mutter für Ben geworden, hatte sie doch immer seine und Adrianos Wunden versorgt, wenn die Jungen mal wieder Mist gebaut hatten. "Du bist aschfahl." Sie fuhr langsam ihre Hand zum Bauch, wo der dicke Verband zu spüren war. Auch haftete sie ihren Blick auf das Pflaster, dass über die Schusswunde an der Schulter geklebt war, dass durch das lose Krankenhaushemdchen zu sehen war. "Ich wollte nicht schon wieder jemanden verlieren!" schluchzte sie und begann bitterlich zu weinen. Ben versuchte sich aufzurichten, fiel aber wieder mit schmerzverzerrtem Gesicht ins Kissen zurück. Andrea verstand und nahm die Frau an sich. Sie drückte sie an sich. Schliesslich war sie auch Mutter und wollte sich gar nicht vorstellen wie das wäre, sein Kind zu verlieren.
"Kommen Sie, wir gehen was trinken okay? Ben braucht Ruhe", meinte sie und Francesca nickte. "Selbstverständlich. Das ist lieb von ihnen!" Zusammen gingen sie aus dem Raum und machten die Türe hinter sich zu.
Langsam schien Semir aufzuwachen, denn der Körper räkelte sich und die Schulter begannen, sich zu spannen. Ben versuchte es noch einmal. Er öffnete den Mund. "Aufmachen Schlafmütze", krächzte er und Semir schoss hoch. "Was, wie, wo?" stiess dieser entsetzt und sah Ben mit grossen Augen an. "Oh! oh! Oh ich hab's verpasst!" zischte er wütend und umarmte Ben zärtlich. Das wütende Gesicht war schnell verschwunden und ein Lächeln, hatte sich auf sein Gesicht gezaubert. "Ich dachte echt, ich müsste mir einen neuen Partner suchen!" Ben spürte, wie Semir bebte. "Danke, dass du mir das erspart hast." Ben lächelte und "schmiegte" sich an Semir. Mit Adriano ging zwar ein alter und enger Freund, doch er hatte eigentlich schon lange jemanden, der Adrianos Platz einnehmen konnte. Eine Vaterfigur, die immer sich um ihn kümmerte, so sehr es Ben auch manchmal nervte. Doch Semir meinte es nur gut und in dieser Situation, wurde Ben dies bewusst.
"Warum hast du das auch getan, du blöder Idiot?" Semir löste sich von Ben und sah ihn mit ernsten Augen an. "Ein Freund", begann Ben mit leiser Stimme und legte sich wieder ins Bett, "hatte mir mal gesagt: "Ich habe keinen Angst vor dem Tod. Doch für eine geliebte Person zu sterben, scheint mir der ehrsamste Tod, den es gibt." Als ich dich da so benommen und hilflos sah, wusste ich, was er meinte." Semir wusste genau, wer Ben meinte. Denn in den Augen seines Partners hatten sich ungewollt, wieder Tränen gebildet. Eine, konnte sich sogar einen Weg über das Gesicht und die Nasenkanüle machen. "Du hast ihn gesehen nicht war?" Ben verzog das Gesicht und weinte. Semir hatte schon öfters von diesen "Nahtoderfahrungen" gehört und schloss nie aus, dass dies tatsächlich passierte. Und er wusste, dass Ben nun klar wurde, dass er für immer "Lebewohl" gesagt hatte. Semir strich ihm sanft über die Schulter. Nichts grosses, in einem solchem Moment, würde dies auch affig wirken. Genau, wie er es bei Saskia getan hatte.