Den Rest des Tages verbrachten die Familien jeweils bei sich zuhause. Semir hatte es sich gemütlich gemacht und hielt Aida im Arm. Die Kleine schien sich tatsächlich eine Erkältung zugezogen zu haben. Irgendwie gefiel es ihm, so kuschelnd mit seiner Tochter auf dem Sofa zu liegen und sie einfach nur zu betrachten. Außerdem fand er es nun gar nicht mehr so schlimm eine Woche zuhause zu bleiben. Er empfand es sogar als grandiose Idee von Anna Engelhardt. Beim betrachten seiner schlafenden Tochter wurde auch er müde. Andrea war gerade einkaufen und er erwartete sie in einer halben Stunde zurück. Dann wollten die Drei etwas in den Garten gehen sofern das Wetter so blieb, wie es war. Semir schloss die Augen und schlief tatsächlich ein. Doch die Ruhe dauerte nicht lang und es klingelte. Bei dem Geräusch zuckte Aida zusammen und fing an zu quengeln. Semir beruhigte sie und ging mit schlurfenden Schritten zur Tür. Er schwor sich, die Person die es wagte ihn zu stören ein paar Takte zu sagen, doch als er sah wer vor der Tür stand, blieben die Worte unausgesprochen. Margot... seine Schwiegermutter stand vor der Tür. Familie Schäfer wusste natürlich längst was passiert war und Margot meinte es wäre eine sehr gute Idee, wenn sie Andrea unterstützt damit sie sich etwas erholen konnte. Sie schien nicht daran zu denken, dass auch Semir Erholung brauchte und beschloss für die nächsten zwei Tage bei Familie Gerkhan einzuziehen.
Semir hielt sich für einen sehr geduldigen Mann, allerdings gelang es ihm immer schwerer die Einmischungen seiner Schwiegermutter in allen Lebenslagen zu dulden. Die nächsten zwei Tage gingen für Semir nicht schnell genug vorbei. Er sehnte sich regelrecht nach seinem Büro und die Abgeschiedenheit dort. Doch als wäre es nicht genug der Quälerei, schlug Margot vor das Andrea und Aida es sicher gut täte, wenn sie etwas Abstand von dem ganzen nehmen würde. Semir war überhaupt nicht begeistert. Wollte er doch die Woche mit seiner Familie zusammen sein, aber er wollte auf gar keinen Fall mit in die Eifel wo Hans-Hubert auf ihn wartete. Doch noch schlimmer war die Vorstellung dass Margot eine ganze Woche bleiben würde, so stimmte er schweren Herzens zu. Andrea und Aida täte es sicher gut, etwas ländliche Luft zu atmen. Vor allem Aida, die schwer Luft bekam. So blieb ihm nichts anderes übrig, als den Dreien hinterher zu winken und den Rest des zweiten Tages allein zu verbringen. Er schwor sich morgen in die PAST zu fahren und seinen Urlaub zu beenden. Seine Versuche Chris zu erreichen, scheiterten allesamt. „Tja... dann hast du vermutlich richtig Spaß...“ murmelte er zu sich selbst.
Semir betrat am nächsten Morgen gegen zehn die PAST. Für seinen Geschmack war es eigentlich doch zu früh, aber er war froh wieder hier zu sein, denn so musste er nicht mit Margot auskommen oder darüber nachdenken, warum seine Schwiegermutter ihn schon wieder von seiner Familie trennte. Chris war nicht zu erreichen und seine Mailbox war vermutlich schon so voll, dass keine Nachricht mehr draufpasste. Zumindest kam nicht einmal diese Ansage mehr, als Semir ihn anrief. Aber er konnte ihn sehr gut verstehen. Die Differenzen zwischen ihm und Katrin mussten einfach geklärt werden. Semir hatte es da schon leichter. Andrea hatte schließlich jahrelang als Sekretärin der Kripo Autobahn gedient und sie wusste was dort alles los war. Tagtäglich gab es anstrengende Einsätze und oft ging es recht gefährlich zu. Sie verstand es, dass Semir nicht immer Zeit für seine kleine Familie hatte und akzeptierte es, dass er zum großen Teil eben auch für seinen Job lebte, ja geradezu mit ihm verheiratet war. Genau das war auch der Grund, warum Semir nun wieder hier war. Zwei Tage... das reichte an Urlaub. Außerdem war ja auch niemand zuhause mit dem er sich beschäftigen konnte. Wieder kamen die Erinnerungen an die letzten Tage.... die Entführung von den Kindern und Andrea. Seine Schusswunden am Oberarm noch recht frisch war. Die Erleichterung der Befreiung... alles war auch in Semirs Kopf vorhanden. Aber er wusste damit umzugehen. Er war schon so lange Polizist und hatte soviel Schlechtes erlebt. Er hatte gelernt solche Einflüsse möglichst schnell abzuwehren bzw. gar nicht an sich heran zu lassen. Schlimmer noch war es, wenn man persönlich so wie hier davon betroffen war. Doch nun konzentrierte Semir sich auf das, was vor ihm lag. Polizeiberichte, Akten... vielleicht neue Fälle... alles würde sich zeigen, doch zunächst wurde er von seinen Kollegen begrüßt, die ihn sofort nach der Familie fragten. Lächelnd bahnte er sich den Weg durch die Kollegen, von denen einer sich nicht verkneifen konnte ihm auf die Schulter zu klopfen. Ausgerechnet auf der Seite wo der Oberarm verletzt war. Semir verzog etwas das Gesicht. Die Wunde war ja auch noch frisch. „Ja...Ja... danke..“ kam leise von ihm und er ging zu Susanne an den Schreibtisch. Er sah sie freundlich an. „Hallo Susanne... schön dich zu sehen. Hast du was für mich?“ fragte er und sah sich um. „Hallo Semir... was machst du denn hier? Du hast doch Urlaub.“ kam von der Sekretärin erstaunt.
Semir lächelte. „Ich weiß.... aber du kennst mich doch. Ich kann nicht ohne Arbeit sein. Also was ist... hast du was?“ wiederholte er seine Frage. „Nein... es ist alles ruhig.“ gab sie zurück und ging ans Telefon. „Ja... ?“ fragte Susanne. Semir sah, dass die Chefin am anderen Ende war. Susanne legte auf. „Du sollst zu ihr kommen.“ sagte sie und Semir rollte die Augen. Semir ging zur Tür zum Büro von Anna und atmete tief ein. Er ahnte schon was nun kommt. Also gut, sagte er sich, da musst du jetzt durch. Nur richtig argumentieren und der Drops ist gelutscht, gingen seine Gedanken weiter. Er klopfte an und betrat das Büro von Anna Engelhardt. „Hallo Chefin...“ begrüßte er seine Vorgesetzte, die ihn ernst ansah. „Was zum Teufel tun Sie hier, Semir?“ fragte sie direkt. „Nun ja... ich wollte... also ich dachte... ich meine...“ fing Semir an zu stottern. Er verfluchte sich selbst dafür, aber als er den Blick von Anna bemerkte ahnte er schon, dass nun ein Donnerwetter folgte. „Sie haben Urlaub! Ich sagte eine Woche und die ist noch nicht vorbei!“ gab sie etwas freundlicher zurück. „Ich weiß, aber... ich dachte...“ fing Semir erneut an und suchte nach den richtigen Worten. „Nein... Sie werden direkt wieder heimfahren und sich um Andrea und Aida kümmern.“ befahl Anna. „Chefin... die beiden sind nicht zuhause... ich bin allein und... Sie wissen doch wie ich bin... ich will arbeiten...“ erklärte Semir seinen Standpunkt. Anna atmete tief ein und schloss für einen Augenblick die Augen. Sie ließ die letzten zwei Tage Revue passieren. Was war das für ein Stress....