20.
Semir verbrachte die Nacht zuhause. Er konnte sich an Andrea lehnen und sich aussprechen, seine Frau hörte ihn aufmerksam zu. Aida und Lisa schliefen zusammen im grossen Gästebett. Das kleine Mädchen hatte immer wieder Alpträume und Aida hatte sie getröstet.
"Wie sah Ben aus?", fragte Andrea und strich ihrem Mann über den Kopf. Semir hatte seinen Kopf auf ihe Beine gebettet gehabt. "Schrecklich...die Ärztin hat zwar gesagt...es geht ihm bald wieder gut aber..." Andrea lächelte. Das war typisch Semir. Übersorgend. "Wenn die Ärztin gesagt hat, dass es ihm bald wieder besser geht. Also, wieso sollte sie dann nicht recht haben!" Semir schoss hoch. "Aber was wenn es Komplikationen gibt oder...etwas unge..." Semir spürte Andreas Zeigefinger auf seinen Lippen. Dann küsste sie ihn. "Es kommt alles gut mein Schatz. Glaub' mir. Geh' doch morgen nochmals ins Krankenhaus. Und wenn es schlechter um ihn steht, kannst du mir einen Vortrag halten, dass Frauen nie recht haben!" Semir lächelte. Das war Andreas Stärke und deshalb liebte er sie so sehr. Sie war die absolute Optimistin. Manchmal nervte ihn dies ungeheuer, doch er war froh, dass sie so war.
Am nächsten Morgen ging er tatsächlich nochmals ins Krankenhaus. Die Krankenschwester lächelte Semir nur kurz zu. Sie wusste anscheinend, wer er war. Wenn ein Polizist im Krankenhaus war, sprach sich dies im Personal schnell um. Dieses Mal klopfte er. "Herein?" Konnte Semir schwach vernehmen. Ein riesiger Stein fiel ihm vom Herzen. Er trat herein und sah Ben. Der Oberkörper war leicht aufgerichtet. Zwar sah Ben noch genauso aus wie am Abend vorher, doch er lächelte, als er seinen Partner erblickte. Die Augen waren geöffnet und in den Händen befand sich eine Zeitschrift. "Der Retter in der Not", flüsterte Ben und wies auf den Stuhl, der sich neben dem Bett befand. Semir setzte sich. "Übertreib' nicht", sagte er verlegen. "Wie geht es..." "...der Kleinen?" Ben nickte. "Sie steht zwar unter Schock, doch der Schlag auf den Kopf hat keine bleibende Schäden hinterlassen." Ben atmete erleichtert aus und strich sich über das Gesicht. "Wie fühlst du dich?", fragte Semir. Ben hob seinen Arm und wies auf die Schläuche in der Armbeuge. "Ich weiss nun, wie sich eine Zapfsäule fühlt!" Semir grinste. In diesem Moment klopfte es.
Die zarte Statur Kim Krügers erschien. "Herr Jäger", begrüsste sie mit ungewohnt freundlicher Stimme, "schön dass Sie wach sind." "Schön dass Sie mich besuchen...", erwiderte Ben und sah Semir verwirrt an, der ebenfalls die Schultern zuckte. "Ich komme gerade aus dem Büro, die Ärztin hatte mich angerufen..." Ben nickte. "Was hat die Mutter der Kleinen gesagt?" "Sie meinen Daria Gerber?" Semir nickte. "Zwei Worte: Leck' mich!" "Sehr nett", kommentierte Semir mit einer hochgezogenen Braue. Ben rollte mit den Augen. "Sie wird nichts sagen, der Wahnsinn hat sie ereilt!" Semir fiel auf, wie schwer dies Ben fiel. "Hatte sie Sie gezwungen, die Medikamente zu nehmen?" Auf Kim Krügers Frage hin liess sich Ben ins Kissen fallen und seufzte. "Nicht direkt...sie hätte es an ihrer eigenen Tochter ausprobiert gehabt...was hätte ich denn tun sollen? Die Kleine sterben lassen?" Sofort erfüllte sich der Raum mit Stimme.