Kapitel 20 - Ein Opfer für den guten Glauben
Hannes erstarrte und begann zu zittern. Vor sich hatte sich Adriano gestellt, der Blut zu spucken begann und zu Boden glitt. "NEIN! ADRIANO!" Bens Stimme überschlug sich und durch den entstandenen Adrenalinstoss, konnte er auf seinen besten Freund zugehen und sich über ihn beugen. Er sah sofort, dass sein Freund schwer getroffen wurde. Mitten in der Brust, klaffte ein Loch von der Grösse eines Flaschenbodens und daraus floss eine Menge Blut, die Bens Hände benetzten. "Oh Gott", schluchzte der Autobahnpolizist und spürte sogleich die kalte, metallene Waffe Hannes' in seinem Nacken. "Eine falsche Bewegung...", drohte dieser und Ben hörte, wie Hannes die Waffe entsicherte. "Lass den Quatsch!", mischte sich nun Semir ein, der sich einigermassen vom Schock erholt hatte und lief auf Hannes zu. "Das bringt doch nichts!" Hannes Hand zitterte sichtlich. "Du hast die Bullen gerufen! Jemand muss es getan haben!" "Wie hätte ich?", knirschte Ben hervor und verzog kurz das Gesicht. Als er die Augen zusammenkniff, verliessen einige Tränen diese und rollten über die Wange. "Lass' mich nur meinem Freund helfen..." Hannes schüttelte auf Bens Satz hin den Kopf. "Nein...du bestimmt nicht! Hey, Atatürk!" Semir sagte nichts. Auf diese Beleidigungen durfte er auf keinen Fall eingehen. "Kümmere du dich um den Psychologen." Hannes stiess Ben an der verletzten Schulter und dieser wich zurück. Und innerlich stellte er sich die Frage, woher dieser Schuss gekommen war. Hannes hatte nicht abgefeuert und Scheiben waren zerbrochen. Waren inzwischen Scharfschützen vor Ort? Und hatte diese ernsthaft vor...? Nein, das konnte er nicht glauben, so kaltherzig konnte doch niemand sein! Nein, nein das konnte einfach nicht sein!
Schlachter lud seine Waffe nach. "Irgendein Idiot hat sich vor mein Schussfeld gestellt!", zischte er und Emanuel hörte dies über Funk mit. Schlachter meinte es also ernst. Das Kind sollte erschossen werden, zum Wohle von Anderen. Aber wer hatte sich vor den Jugendlichen gestellt gehabt? Ben? Semir? Oder gar eine der Geiseln? Er wusste es nicht, er wusste nur eins. Er musste handeln. Er entsicherte sein Gewehr, legte es an und sah durch das Zielrohr zu den Jungen. Der Kopf war perfekt in seinem Blickfeld. "Nur ruhig Emanuel, du schaffst das!", murmelte er und krümmte den Finger über den Abzug. "Dieser Wahnsinn muss beendet werden! Und du kannst es! Annelie hin oder her, du bist der Ältere und somit der Ranghöhere! Ignoriere sie dieses eine Mal!", machte er sich selbst Mut und atmete nochmals tief durch. Es musste einfach sein. Auch wenn er dadurch, gegen alle Ethik verstoss, die er vorher verkörpert hatte.
Annelie klopfte an der Türe. Ihr Herz schlug kräftig gegen den Brustkorb. Das war er also. Ihr erster Einsatz bei einem Amoklauf. Nie im Leben hatte sie es sich so schwer vorgestellt gehabt. Dumpf hörte sie einen Befehl. Die Stimme war hoch, ein Junge, der sich gerade noch im Stimmbruch befand. Sie hörte ein paar Schritte, ein Ächzen. "Ja?" Ben! Ihr Atem stockte und ein Kloss bildete sich in ihrem Hals. Er lebte! Ihr Schatz lebte! "Hier ist Annelie Zaugg von der Autobahnpolizei Köln...", sagte sie sachlich da sie wusste, dass Gefühle nun nicht im Spiel sein durften. "Ich bin hier, um zu verhandeln!" Wieder ein dumpfer Befehl. "Was wollen Sie wissen?", fragte Ben und Annelie atmete tief durch. Komm Mädel, dachte sie, du schaffst das. "Ich will gar nichts wissen, ich will helfen! Man will Sie", sie sprach den Amokläufer an, "zum Abschuss freigeben!" Sie hörte wie die Tür aufging. Annelie hielt die Waffe in beidhändigen Anschlag und betrat den Raum. "Waffe runter!", schrie ein Junge ihr zu und hielt dabei selbst eine Handfeuerpistole in der Hand. Annelie hob die Hände, zeigte die Waffe und legte sie auf den Boden. "Ganz ruhig", flüsterte sie und ging auf den Jungen zu. "Man will mich töten?", fragte dieser stockend und Annelie nickte. "Aber wir können es beenden. Gib' mir die Waffe, und dir wird nichts geschehen." Tränen, sammelten sich in den Augen des Jungen. Erst jetzt, schien er den Ernst der Lage zu begreifen. "Gib' sie mir", versuchte es Annelie nochmals und stand direkt vor ihm. Der Junge sank den Arm, wollte die Pistole Annelie geben, doch in dem Moment knickte sein Kopf nach hinten, ein Schwall Blut schoss aus seiner Stirn und benetzte Annelies Gesicht. Die Aula wurde mit grellenden Schreien erfüllt.