So, hier ist endlich die Fortsetzung meiner ersten Geschichte. Es hat etwas gedauert, dafür ist sie auch länger geworden. Ich werde versuchen, möglichst regelmäßig neue Teile einzustellen; es werden allerdings immer ein paar Tage dazwischen liegen, da ich per Hand vorgeschrieben habe und noch fleißig abtippen muss. "Die Zeugin" ist inzwischen auf Seite 3 im Archiv gelandet, es wäre ganz gut, den Inhalt dieser Geschichte zu kennen, bevor man hier anfängt. Noch eine kleine Warnung vorweg: Ich war wieder gmein zu Ben...
„Ach, so ein verdammter Mist!“ Mit einem krachenden Geräusch flog die Gitarre in die Ecke. In den Tagen zuvor war Ben wenigstens noch so bedacht gewesen, sie nur auf die Couch oder auf den Boden zu werfen, aber inzwischen war er so frustriert, dass ihm das auch schon egal war. Aber dieses Mal hatte es seiner Gitarre den Hals gebrochen. Er erstarrte. Soweit war es also schon mit ihm gekommen. Er ließ sich auf das Sofa sinken und vergrub sein Gesicht in seinen Händen. Den Schmerz, der dabei seine rechte Hand durchfuhr nahm er gar nicht wahr.Was war nur aus ihm geworden?Aufopferungsvoll war er nach dem schweren Angriff und der Folter vor 4 Monaten wieder ins Leben zurückgeholt worden. Alle seine Freunde und sogar seine Chefin hatten sich alle Mühe gegeben ihn nicht merken zu lassen wie knapp es gewesen war und ihn unterstützt, wo sie nur konnten und ihn mit Arbeit überhäuft, als er aus dem Krankenhaus entlassen wurde. Eigentlich hätte er noch gar nicht arbeiten dürfen, aber zu Hause hielt er es nicht aus – er musste nach den traumatischen Erlebnissen unter Menschen sein. Zwar konnte er nur Innendienst schieben und Schreibtischkram war nicht gerade seine Stärke aber er war froh überhaupt etwas tun zu können.Seine Genesung schritt besser voran als erwartet, nur seine Hand ließ ihn noch zu oft im Stich. Sicher, er war es, der die Physiotherapie hatte schleifen lassen und wozu hatte es geführt? Am Anfang war alles so schnell besser geworden, dass er es gar nicht so ernst genommen hatte. Er hatte nicht damit gerechnet, dass sich die Genesung so lange hinziehen würde.Er blickte auf seine demolierte Gitarre, die am wenigsten für seine motorische Unzulänglichkeit etwas konnte. Er hatte die Misstöne zustande gebracht und nicht nur auf seiner Gitarre.
Seufzend stand er auf. Das war’s dann erst einmal, mit seinen Versuchen, seine Finger wieder in den Griff zu kriegen. „So eine Scheiße“, fluchte er leise vor sich hin, als er das Instrument, nun wieder vorsichtiger, in den Koffer zurücklegte. Sein Nervenkostüm hatte in den letzten Wochen ganz schon gelitten. Es war frustrierend, dass irgendwie nichts richtig zu funktionieren schien. Es war jetzt immerhin schon fast drei Monate her, dass er aus dem Krankenhaus entlassen worden war. Sogar einen Wagen mit Automatikgetriebe hatte die Chefin ihm zwischenzeitlich besorgt, damit er etwas mobiler wurde. Ben grummelte vor sich hin, als er an Semirs Grinsen dachte, als dieser den Wagen gesehen hatte. Aber Ben war froh gewesen, endlich mal aus dem Büro heraus Das mit der Physiotherapie hatte er auch nicht so ernst genommen und das hatte er jetzt davon. Aber am Anfang war alles so schnell besser geworden, dass er die Therapie hatte schleifen lassen kommen zu können. Die Chefin und Susanne hatten ihn bei seinem Innendienst anfangs sehr unterstützt, doch so langsam waren sie auch ganz froh gewesen, ihn zwischendurch auch mal loszuwerden. Kein Wunder, dass sie ihn nicht mehr ertragen hatten, so launisch, wie inzwischen geworden war. Ben seufzte erneut. Sie hatten ja Recht, es war wirklich nicht einfach mit ihm gewesen, vor allem seitdem er bemerkt hatte, dass er auf der Gitarre wie ein blutiger Anfänger klang und manche Akkorde noch gar nicht greifen konnte. Wenn das wenigstens besser klappen würde, könnte er sich hier ein wenig den Frust von der Seele spielen. Semir hatte ihn auch schon angefahren: „Mensch Ben, lass’ dich doch nicht so hängen!“ hatte er ihn angemeckert. „Du müsstest dich selbst mal sehen! Du bist im Moment echt nicht zu ertragen! Reiß’ dich mal zusammen!“ Leider musste Ben sich eingestehen, dass es stimmte, was Semir gesagt hatte. Sollten ihm doch Zweifel kommen, brauchte er bloß einen Blick auf seine Gitarre werfen, dann wusste er, wie es um seinen Gemütszustand bestellt war. Er hatte sich wirklich ziemlich gehen lassen. Susanne hatte ihn immer wieder ermuntert und motiviert, nicht aufzugeben. Ben fragte sich, woher sie nur die Geduld genommen hatte, zumal es gerade nicht so gut zwischen ihnen lief. Nachdem er sich einen Ruck gegeben hatte und auf sie zugegangen war, hatte es erst ganz gut geklappt. Sie waren öfter zusammen weg gewesen und Susanne hatte auch schon ein paar Mal bei ihm übernachtet, als es recht spät geworden war. Aber das war jetzt auch schon eine Weile her. Ben seufzte wieder. Kein Wunder, so mies, wie er drauf war. Nein, so konnte es nicht weiter gehen. Er hatte so viel Glück gehabt, mit dem Leben davon gekommen zu sein und was machte er jetzt daraus? Ohne seine Freunde hätte er es nicht geschafft. Er war ihnen und sich selbst etwas schuldig. Er atmete tief durch, setzte sich aufrecht hin, straffte die Schultern und griff zum Telefon. „Frau Stendal? Jäger hier. Ich würde gerne bei Herrn Dr. Gerber einen Termin für die Physiotherapie vereinbaren. – Ja, ich weiß, tut mir leid, ich weiß auch nicht, was los war. –Morgen schon? – Nein, das passt prima, vielen Dank!“ Erleichtert beendete Ben das Gespräch. Das war doch gar nicht so schwer gewesen. Morgen würde er wieder mit den Übungen beginnen und diesmal würde er es durchziehen. Er wollte endlich Gitarre spielen und seinen normalen Wagen fahren können. Und das mit Susanne würde er auch wider hinkriegen. Ben war voller Tatendrang. Er war froh, dass er sich aufgerappelt hatte.
Zur gleichen Zeit saß Holger Weber am Bett seines Stiefbruders Jens Nieder.„Also Jens, die Sache mit den Belgiern geht klar. Sie haben einen Weg gefunden, die Ware so unterzubringen, dass die Polizei sie nicht findet.“ Er wusste nicht, ob Jens ihn hören konnte, dennoch besuchte er ihn einmal pro Woche, um ihm von den laufenden Geschäften zu berichten. Immerhin fühlte er sich verantwortlich für das, was geschehen war. Er hatte Jens nach dem Tod ihres Vaters mit ins Geschäft geholt und ihm dann die Angelegenheiten in Deutschland überlassen. Er selbst hatte seinen Wohnsitz nach Holland verlegt, um mit ihren dortigen Partnern zu expandieren und Kontakte nach Belgien zu knüpfen. Er hatte schon immer befürchtet, dass Jens’ Schwäche für hübsche Frauen ihn irgendwann in Schwierigkeiten bringen würde, doch dass es so enden würde, damit hatte er nicht gerechnet. Nachdem er von der Polizei informiert worden war, hatte er schnell dafür gesorgt, dass sein Bruder in eine Privatklinik verlegt wurde, die sich auf Komapatienten spezialisiert hatte. Es war angesichts des Zustandes seines Bruders nicht schwer gewesen, die Staatsanwältin davon zu überzeugen, dass Jens nie wieder eine Bedrohung für die Gesellschaft darstellen würde. Wut stieg in ihm auf, wenn er daran dachte, dass diese verdammte Lea Jens fast ins Jenseits befördert hätte, doch letztendlich war nur dieser verdammte Bulle Ben Jäger daran schuld, wie er herausgefunden hatte. Holger ballte die Fäuste, als er spürte, wie ihn eine Woge des Hasses überrollte. Eigentlich hätte er im Moment genügend Zeit sich dieser Sache anzunehmen, denn die Geschäfte liefen gut und es standen keine Aktionen an, die seine unmittelbare Anwesenheit erfordert hätten. Um die nächste größere Übergabe auf dem Rastplatz würden sich seine Leute kümmern. Holger sah Jens an. Irgendwie wirkte er heute anders. Er konnte nicht genau sagen, woran es lag, aber irgendetwas kam. ihm seltsam vor. Er glaubte gesehen zu haben, dass die Augenlider von Jens kurz geflattert hatten. Er beugte sich zu ihm, legte seine Hand auf den Arm und sprach ihn vorsichtig an. „Jens, kannst du mich hören? Ich bin’s, Holger.“ Angestrengt schaute er in das Gesicht seines Bruders. Doch nichts war anders als sonst. Gerade als sich wieder zurücklehnen wollte, öffnete Jens die Augenlider und blickte Holger direkt an. Es schien, dass er etwas sagen wollte, doch außer einem letzten verzweifelten Aufstöhnen kam kein Wort mehr über seine Lippen. Sein Blick wurde starr und die Geräte an denen er angeschlossen war, begannen Alarm zu schlagen. Im nächsten Moment füllte sich das Krankenzimmer mit Ärzten und Krankenschwestern und Holger wurde mit sanfter Gewalt aus dem Raum geschoben. Man hatte Jens nicht mehr helfen können. Holger saß auf dem Krankenhausflur und starrte die Wand an. Er nahm nichts von dem wahr, was um ihn herum passierte. Der Blick mit dem ihn Jens zum letzten Mal angesehen hatte sich in ihn eingebrannt und es war dieser Moment der ihm alle Skrupel nahm seinen Bruder zu rächen – koste es, was es wolle.