So, Ihr Lieben, es ist Samstag und wie versprochen geht es heute mit meiner kurzen Story los. Wie bereits erwähnt spielt sie zeitlich nach meiner Story "Angst und Vertrauen" und nach der Serienfolge "Nemesis".
Ich wünsche Euch nun viel Spaß damit!
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Winter(alb)traum
Chris wusste, das seine unerbittlichen Verfolger dicht hinter ihm waren und er versuchte, getrieben von dem beunruhigenden Wissen, was mit ihm geschehen würde, wenn sie ihn erwischen würden, sein Tempo zu beschleunigen. Doch der knöcheltiefe Schnee, der seit einigen Tagen in dicken Flocken vom Himmel fiel und die Landschaft mit einer strahlend weißen Decke überzog, bereitete ihm massive Schwierigkeiten und erschwerte seine Flucht. Er kam einfach nicht so schnell vorwärts, wie er es gern wollte. Seine Kleidung, und ganz besonders seine Hose und Jacke, waren inzwischen vom Schnee ganz nass, klamm und schwer. Er spürte mit jedem Schritt, wie seine Kondition langsam nachließ und seine Beine von Minute zu Minute bleierner wurden. Doch er rannte so schnell es ging weiter. Während er immer schneller atmen musste, schnitt die klare, eisigkalte Luft mit jedem keuchenden Atemzug in seinen pumpenden Lungen und er hatte das Gefühl, dass sie jeden Augenblick bersten könnten…, doch er hielt im Laufen nicht inne. Er musste entkommen!
Gehetzt bog er um eine Hausecke, hastete ein paar Meter weiter und wagte einen schnellen Blick über seine Schulter. Es war niemand zu sehen. Schwer atmend verlangsamte er seinen Lauf und blieb schließlich stehen. Er legte seine Hände an die Hüfte, beugte sich mit einem erschöpften Stöhnen nach vorn und versuchte seine rasselnde Atmung unter Kontrolle zu bekommen. Nach dem vierten, fünften hastigen Atemzug schaute er zurück in die Richtung, aus der er gekommen war. Für einen erleichterten Augenblick schloss er seine Lider und stieß mit einem befreienden Seufzen die Luft aus, als er erkannte, dass er seine Verfolger wohl abgehängt hatte… jedenfalls für den Moment.
Doch er wusste, dass sie nicht so leicht aufgeben würden und ihm weiter auf den Fersen sein würden. Sie waren für ihre unermüdliche Hartnäckigkeit bekannt und mehr als einmal hatte er am eigenen Leib erfahren müssen, wie sie mit Verrätern umgingen… sie waren gnadenlos! Schließlich wussten sie, das er derjenige gewesen war, der alles zerstört hatte, was sie sich in mühevoller Arbeit aufgebaut hatten. Mit zornigen Stimmen hatten sie ihm für das, was er ihnen angetan hatte, Vergeltung geschworen und in ihren rachefunkelnden Augen war deutlich zu sehen gewesen, das sie nicht eher Ruhe geben würden, bis sie ihr Ziel erreicht hatten!
‚Verdammt, was hast Du Dir da nur wieder eingebrockt?’, schimpfte Chris in Gedanken mit sich selber. ‚Warum konntest Du die Sache nicht auf sich beruhen lassen? Warum musstest Du deine Nase auch da hinein stecken? Du wusstest, das so etwas passieren würde! Jetzt hast Du den Schlamassel…’
Während Chris sich in Gedanken schalt, schweifte sein Blick verzweifelt suchend über die verschneite Umgebung. Was er dringend brauchte, war ein Versteck, damit er für ein paar Minuten verschnaufen und neue Kraft sammeln konnte. Und er brauchte etwas Zeit… wenigstens so viel Zeit, um überlegen zu können, was er tun konnte, um aus dieser prekären Situation wieder heraus zu kommen und um sich auf den nächsten Angriff vorbereiten zu können. Doch in der winterlichen Landschaft rings um ihn herum, mit seinen kahlen Büschen, Hecken und Bäumen, gab es kaum Möglichkeiten sich zu verstecken. Plötzlich fiel sein Blick auf einen mächtigen Baum, dessen dicker Stamm ihm zumindest für den Moment Deckung bieten würde.
Noch einmal alle Kraftreserven aktivierend, setzte sich Chris in Bewegung, lief auf das wuchtige Gewächs zu und begab sich schutzsuchend hinter den Stamm. Sofort durchströmte ihn das befreiende Gefühl von Sicherheit und er stieß erleichtert die Luft aus. Mit einem erschöpften Stöhnen lehnte er sich gegen die kalte Rinde und legte für einen kurzen Augenblick die erhitzte Stirn dagegen. Sein Puls raste wie wild, während sein pochendes Herz hart in seiner Brust schlug und ihm kaum die Möglichkeit gab, seinen rasselnden Atem unter Kontrolle zu bekommen. Dann drehte er sich um und lehnte sich mit dem Rücken so gegen den Baumstamm, dass sich seine vom anstrengenden Laufen zitternden Beine etwas erholen konnten. Er atmete ein paar Mal tief ein und versuchte seine Gedanken zu sammeln.
‚Wo ist Semir, wenn man ihn braucht?’, dachte Chris plötzlich sehnsuchtsvoll bei sich und vor seinem inneren Auge erschien das freundlich-lächelnde Gesicht Semirs. Was würde er jetzt darum geben, könnte er seinen Partner anrufen und ihn um Unterstützung bitten! Er würde ihm bestimmt sofort zur Hilfe eilen und mit allen Mitteln unterstützen. Doch Chris wusste, dass das unmöglich war. Zum einen hatte er sein Handy im Haus gelassen, weil er bei einem entspannten Spaziergang durch die winterliche Landschaft nicht gestört werden wollte. Wie hätte er auch ahnen können, das er dabei in eine so ausweglose Situation geraten würde! Und zum anderen war Semir über das verlängerte freie Wochenende mit Andrea und Aida in die Seehütte seiner Schwiegereltern gefahren. Er war also zu weit weg, um ihm in irgend einer Weise helfen zu können.
‚Wahrscheinlich sitzen die beiden gerade vor dem warmen Kamin und genießen die Nähe des anderen’, seufzte Chris gedanklich. ‚Und ich...? Ich renne hier durch den Schnee und werde von drei Wahnsinnigen gejagt!’
Ein Hauch von Bitterkeit mischte sich bei, als er grimmig weiterdachte: ‚Warum habe ich auch nicht auf Gaby gehört und ihr Angebot angenommen? Ich könnte jetzt bei ihr sein. Wir würden zusammen in ihrem schönen, gemütlichen Wintergarten sitzen, einen Kaffee trinken und den Kindern beim Spielen im Schnee zusehen.’ Für einen kurzen Moment trat ein wehmütiger Ausdruck auf sein Gesicht, als er sich die Szene vorstellte. ‚Ja, das wäre jetzt schön…’