Kim und Andrea blieben vor der Scheibe stehen und sahen, wie Semir mit grüner, steriler Kleidung die Intensivstation betrat und sich zu Ben ans Bett setzte. Die Geräte piepsten monoton vor sich hin und immer wieder hörte er das Pumpen und Zischen der Atemmaschine. Zur großen Vorsicht wurde Ben künstlich beatmet, um die Körperzellen von Ben ganz auf den Heilungsprozess einzuschießen. „Ben?“, stieß Semir aus und sah den leblosen, fahlen und bleichen Körper, der zwischen all den Geräten auf dem Bett in dem weiß-schwarz gepunkteten Krankenhausgewand lag und sich nicht rührte. „Verdammt, Ben, bitte... lass mich nicht alleine. Ich brauch dich doch. Wir sind doch so ein gutes Team. Hey, wer soll denn für meinen Sohn den Patenonkel machen, wenn nicht du?“, stieß Semir voller innerer Schmerzen und Trauer aus, wie er seinen Freund so vor sich liegen sah. Ihm stiegen die Tränen in die Augen und er spürte, wie sie ihm die Wange hinunterliefen und auf seine Hand tropften. „Bitte, Ben... lass uns nicht hängen. Vor allem, denk an deinen Vater. Der brauch dich doch jetzt.“, kam es von Semir und vorsichtig fuhr er mit seiner Hand auf der Matratze lang und ergriff Bens. Sie war kühl und regungslos. Dennoch ergriff Semir sie und hielt sie fest. „Junge, komm schon... lass mich nicht alleine.“, schluchzte er.
Ilja hatte sich endlich Zugriff zum Haus verschafft und sah sich im Haus ganz genau um. Für so einen kleinen Bullen war das Haus ziemlich protzig eingerichtet, dachte er und machte sich daran, die ganzen Zimmer zu durchsuchen und zu verwüsten. Kein Stein blieb auf dem anderen, alles fiel Iljas Rachedurst zum Opfer. Selbst vor dem Kinderzimmer machte er nicht halt. Er musste einfach diesen Gerkhan in die Finger bekommen, doch wie lange würde es dauern, bis er hier wieder auftauchte. Nein, lange konnte er sich hier nicht aufhalten. Das, was er getan hatte, sollte reichen. Er lief wieder in den Flur hinunter und sah dann, dass der Autoschlüssel direkt vor ihm im Korb lag und der BMW in der Garage parkte. Schnell schnappte er sich den Schlüssel und startete den Wagen. Wohin?, fragte er sich nun. Noch immer waren ihm die zehn Millionen zu wenig, aber wie sollte er mehr bekommen? Egal, ihm würde schon etwas einfallen. Erstmal fuhr er los und war in wenigen Minuten auf der Autobahn, doch sofort fluchte er wieder verhalten. Vor ihm war eine Straßensperre der Polizei aufgebaut. „Shit.“, stieß er aus und dachte nach, was er nun zu tun hatte.
„Frau Krüger….wenn Ben dort stirbt, dann werden Sie zwei Männer verlieren. Mein Mann wird dann nicht mehr weiter machen…“, erklärte Andrea. Kim nickte nur schweigend. „Wissen Sie…als Tom…starb, da stand unsere Ehe auf der Kippe. Semir war am Ende…er war völlig fertig und…“, ging es bei Andrea weiter. „Ich weiß, was Sie sagen wollen, aber ich kann nichts tun. Jäger ist robust…er wird es schaffen. Daran müssen wir glauben.“, erklärte Kim kalt. Andrea sah ihn an. „Sie zeigen wohl nie Ihre Gefühle was? Ist das Schicksal von Ben Jäger nicht ausschlaggebend?“, harkte Andrea nach, die selbst Tränen in den Augen hatte. „Mir ist es nicht egal…aber…ich ändere nichts daran, wenn ich in Mitleid vergehe…“, kam von Kim wütend zurück. „Okay… ich verstehe…aber ich finde, Sie sollten es wenigstens ab und zu zeigen, was Sie fühlen. Ansonsten zerbrechen Sie dran.“, riet Andrea leise. Kim sah sie nur an. „Sie sollten Ihren Mann mit nach Hause nehmen, aber bitte denken Sie daran, dass er kein Auto fährt. Er …“, lenkte sie vom Thema ab. Andrea nickte nur. „Schon klar….“
Semir sah auf Ben. Die Geräte piepten eintönig und sie machten müde. Er erhob sich. „Ich komme morgen wieder. Bis dahin solltest du bitte wieder wach sein...klar? Sonst bekommst du nie wieder von mir Kekse…“, drohte Semir und musste über seinen kleinen Scherz leise lachen. „Ben…ich brauche dich…lass mich nicht allein…bitte.“, flehte er. Eine einsame Träne lief die Wange herunter. Semir dreht sich um und verließ den Raum. An der Tür drehte er sich noch einmal zu seinem jungen Kollegen um. „Komm Schatz… wir fahren nach Hause…“, riss Andrea ihn aus den Gedanken. „Ja…sicher…“, murmelte Semir und ging mit schweren Schritten neben Andrea her. Sie fuhren in die Tiefgarage, wo Susanne schon auf sie wartete. „Da seid ihr ja endlich…. Aida hat schon zu weinen angefangen… Aber jetzt schläft sie wieder…“, begrüßte Susanne sie. Semir setzte sich wortlos in den Wagen. Susanne sah Andrea fragend an. „Fährst du bitte.“, wollte Andrea wissen. „Was ist los?“, harkte Susanne nach. „Ben….wurde angeschossen…es sieht nicht gut aus.“, erklärte Andrea leise. „Oh nein…“, stieß Susanne aus. „Bitte fahr uns nach Hause…und …dann….“, bat Andrea. Susanne nickte und ließ sich hinter das Steuer sinken. Sie warf einen Blick auf Semir, der einfach nur durch die Frontscheibe sah. Er sagte nichts, er saß einfach nur da und tat nichts. Susanne ließ den Wagen durch den nächtlichen Verkehr gleiten. Es dauerte eine knappe halbe Stunde bis sie zuhause waren. Vor der Tür stiegen sie aus. „Semir! Die Tür… wir hatten sie abgeschlossen…aber…jetzt…ist sie offen…“, erklärte Andrea leise. Semir wurde nun wieder aktiv. „Ihr wartet hier!“, befahl er und ging ins Haus. Drinnen bot sich ein Chaos. Alle Schränke waren geöffnet und die Sachen lagen am Boden. Doch es schien niemand mehr hier zu sein. Dennoch ließ er die Frauen draußen im Wagen warten. Er ging Raum für Raum durch. Überall sah es aus, als hätte eine Bombe eingeschlagen. „Wer zum Teufel….“, fragte er sich. Mit einem Tuch nahm er den Hörer auf und rief die Kollegen an.