Am Ende des Tages verabschiedete sich der Reporter. „Vielen Dank für ihre Geduld und Ihre Erklärungen. Nach den Berichten meiner Kollegen hatte ich ehrlich gesagt Schlimmeres befürchtet“, grinste er. „Ach, so schlimm sind wir wirklich nicht“, lachte Semir zurück, der insgeheim allerdings sehr froh war, endlich wieder seine Ruhe zu haben. „Dann machen Sie’s mal gut, ich schicke Ihnen den Artikel vorab. Mal sehen, vielleicht komme ich auch noch mal kurz vorbei. Ich denke, ich bin einigen Tagen damit fertig.“ Mit diesen Worten machte Wagner sich auf den Weg. Doch dann wendete er sich noch einmal kurz zu Ben und klopfte ihm augenscheinlich freundschaftlich auf die Schulter. „Man sieht sich“, sagte er nur, um dann endgültig in Richtung seines Wagens zu verschwinden. „Autsch“, sagte Semir nur, als er sah, wie Ben das Gesicht verzog und ziemlich blass wurde. Natürlich schob Semir dies auf seine kaputte Schulter, was Ben nur ganz Recht war. Ihm hingegen hatte Wagner noch einmal sehr deutlich gemacht, dass der eigentliche Zweck seines Besuches keineswegs die Dokumentation ihrer Arbeit gewesen war. Als wenn Ben es nicht längst verstanden hätte! Er würde es nicht wagen, sich Semir jetzt anzuvertrauen. Er hatte viel zu große Angst um dessen Leben. Denn er wusste genau, was passieren würde, wenn er mit ihm redete. Semir würde sich fürchterlich aufregen, wahrscheinlich wäre er sogar wütend, dass Ben ihn nicht eher ins Vertrauen gezogen hatte. Dann würde er versuchen, entweder mit der Chefin oder auf eigene Faust versuchen zu ermitteln. Doch das war es, was Ben um jeden Preis verhindern wollte. Er war sich sicher, dass Semir kaum nachvollziehen könnte, wozu diese Typen fähig waren und welche Macht sie hatten. Ben hatte dies zu Genüge erfahren. Sie hatten sich in ihm den richtigen ausgesucht, irgendwoher schienen sie gewusst zu haben, dass sie ihn überzeugen konnten, für sie zu arbeiten.
Einige Wochen vorher in der JVA Ossendorf:
Der Besucher nahm auf einem der schlichten Stühle im Besucherraum Platz. Sein Gegenüber war schon vor ihm hergebracht worden, so war es hier üblich. Der Häftling sah ihn an und sagte ohne Gruß direkt: „Ich habe über Ihr Anliegen nachgedacht. Ich denke, ich kann Ihnen da jemand empfehlen.“ Der Besucher lehnte sich interessiert vor, gerade so weit, dass die anwesenden Beamten nicht eingreifen würden. Er musste aufpassen, denn auf diesen speziellen Insassen wurde ein besonderes Augenmerk geworfen. „Und an wen hatten sie gedacht?“ fragte er neugierig. „Es gibt da jemanden, der mal beim LKA war. Er hat die nötige Sicherheitseinstufung und jetzt auch freien Zugang zum Computer der Kripo. Sein Name ist Jäger. Ben Jäger“, war die Antwort. „Und wie können wir ihn überzeugen?“ kam die Gegenfrage. „Oh, das dürfte Ihnen nicht schwer fallen! Sie müssen ihm nur unmissverständlich klar machen, dass eine Weigerung dazu führen würde, dass es seinem Partner Gerkan an den Kragen geht. Für den würde er alles tun, glauben Sie mir.“