Semir stand auf. „Ich weiß, dass ihr alle glaubt ich bin verrückt…aber ich weiß, was ich gesehen habe und er hat ihr den Kopf abgeschlagen!! Da draußen reitet ein Mörder frei herum!! Wir müssen was tun!!“, erklärte er in einem ruhigen aber dennoch vernehmlichen Ton. „Semir…kommen Sie…wir werden uns vor das Haus setzen und Sie werden es mir erzählen.“, lächelte Martin. Semir tat es. Vor dem Haus stand eine Holzbank. „Setzten Sie sich.“, bat Martin. Semir ließ sich auf die Bank sinken. „Doc..ich weiß genau, dass es verrückt klingt, aber ich…ich habe es gesehen...ich hab es wirklich gesehen.“, erklärte er flehend. „Was haben Sie gesehen?“, wollte Martin wissen. Semir erzählte ihm von dem Vorhaben die nächtliche Jagd durchzuführen. „Sie sind mitgegangen? Warum?“, harkte Martin nach. Semir zog die Schultern hoch. „Ich wollte es...ich meine, ich habe die letzten Tage so gut entspannt….ich konnte nachts durchschlafen und…ich hab wieder Freude am Leben gehabt….doch als wir dort auf der Lichtung standen…da…ist Sina weggelaufen und ich bin hinterher…. Und plötzlich erschien diese Frau...sie hatte Angst…ich hab sie gerufen, aber sie hat überhaupt nicht reagiert…die Angst hatte sie völlig im Griff. Und dann tauchte er auf…der Reiter ohne Kopf…er hob sein Schwert und schlug zu...er schlug ihr den Kopf ab…“, erzählte Semir. Martin hörte zu. „Haben Sie das Pferd gehört?“, kam die nächste Frage. Semir schüttelte den Kopf. „Nein..nichts….gar nichts… es war absolut geräuschlos...“, gab er zu verstehen. Martin lächelte. „Semir…ich weiß von der Legende, die hier herum spuken soll. Aber es ist nur eine Legende…es war eine Halluzination. Sie müssen zu Ruhe kommen und das ist scheinbar hier nicht möglich. Ich kenne eine sehr gute Klinik. Sie wären dort sehr gut aufgehoben.“, schlug Martin vor. Semir sah ihn an. „Sie glauben mir nicht?“, fragte er. Martin lächelte nur. „Ich kenne Ihren Gesundheitszustand….und… ich sehe es als sehr bedenklich an…“, versuchte er zu erklären. Semir sprang auf. „NIEMAND sperrt mich ein!!! NIEMAND!!“, schrie er und rannte los. „SEMIR!! Bleiben Sie hier!!“, rief Martin hinterher.
Ben hörte seinen Partner schreien und ging raus. Er sah gerade noch, wie Semir im Wald verschwand. „Nicht schon wieder.“, stöhnte er und rannte hinterher. Auch Gregor und Martin wollten sich beteiligen, doch Ben bat beide, darauf zu verzichten. Er rannte hinter Semir her. „Semir!!! Wo bist du?“, rief er nach einer Weile. Es kam keine Antwort. „SEMIR!! Komm schon… wir wollen dir doch nur helfen….lass es zu!!“, bat er laut. Semir antwortete nicht. „Semir!! Sprich mit mir!!“, rief Ben weiter. Er sah sich suchend um. Hier schien er nicht zu sein. Vielleicht wieder an der Stelle, wo er diesen fraglichen Reiter gesehen hatte? Ben wandte sich um und lief durch den Wald zu der Lichtung. Doch auch hier gab es keine Spur. „SEMIR!!!“, rief er. „Hör zu, du verdammte Sturkopf…ich habe absolut keine Lust ständig hinter dir her zu rennen!! Komm endlich raus!!“, fauchte Ben wütend. Er hörte ein Knacken im Gebüsch. „Semir?“, fragte er. Doch Martin trat hervor. Er hatte eine kleine Tasche bei sich. „Da hab ich Beruhigungsmittel drin. Ich befürchte, dass er sie brauchen wird, wenn wir ihn gefunden haben…“, erklärte der Psychologe. Ben nickte nur. „Gehen wir da mal lang.“, schlug er vor und wies in die Richtung vor ihm. Er lief mit schnellen Schritten durch das Geäst und stürzte plötzlich… „Au verdammt!“, stieß er aus, drehte sich auf den Rücken und setzte sich. Um seinen Knöchel hatte sich ein Kabel verfangen. Oder besser, er hatte sich im Kabel verfangen. Ein dünnes fast unsichtbares Kabel. Ben sah zu Martin auf. „Was ist das denn?“, fragte er verwundert. „Sieht aus wie ein Kabel.“, meinte Martin. „Ja das sehe ich auch…aber was hat es hier zu suchen?“, wollte Ben wissen. „Keine Ahnung…es scheint aber irgendwo hinzuführen….vielleicht sollten wir das erst einmal in Erfahrung bringen. Doch wir müssen Semir finden…in seinem Zustand kann er vieles anrichten…er kann sich selbst Schaden zuführen…“, ermahnte Martin ihn. Doch Ben schien zu ahnen, das Semir nicht so weit gesunken war.
Semir rannte immer weiter und war sich nicht mehr sicher, wo er denn jetzt eigentlich war. Er musste verschnaufen. Nur eine kurze Pause einlegen. Das war alles, was er brauchte. Langsam lehnte er sich an einen Baum und holte tief Luft. Seine Lungen brannten heftig und die Seite schmerzte. Plötzlich hörte er Hufe schlagen. Erschrocken versteifte er sich und drehte sich langsam um. „Wer ist da? Zeig dich, du Feigling...“, schrie er und verkroch sich immer mehr in den Baum. Mit der Hand tastete er nach etwas, um sich zu verteidigen. Um alles in der Welt wollte er seinen Kopf nicht so leicht preisgeben. War es überhaupt der Reiter ohne Kopf? Was wollte er von ihm? Wollte er ihn holen kommen? „Herr Gerkhan...“, hörte er dann eine Stimme seinen Namen rufen und plötzlich trat ein Schimmel hinter einem Gebüsch hervor. Auf dem Rücken des Tieres erblickte er Alex, den Stalljungen, der Semir und Andrea vor einigen Tagen so nett geholfen hatte. „A...Alex...?“, stammelte Semir und merkte, wie fast sein Herz ausgesetzt hätte. „Ja, ich bin es...kann ich ihnen helfen? Haben sie sich verlaufen?“, wollte der Junge wissen. Semir fand kaum die Worte wieder. „Ha...hab ich dich...“, schrie dann einer und in der nächsten Minute wurde der Deutschtürke zu Boden geworfen und dort festgenagelt. „BEN...lass mich los...Verdammt...“, schrie Semir nur und versuchte, sich aus dem Griff seines Kollegen zu befreien. „Doc schnell...lange kann ich ihn nicht mehr halten...“, rief Ben nur und schon kam Martin Friedlich mit einer aufgezogenen Spritze angerannt. „Nein...Alex...hilf mir...Nein, weg mit der Spritze...ihr kriegt mich nicht...“, schrie Semir weiter und versuchte, auszutreten, doch Friedlich setzte ihm die Spritze und wenige Minuten später begann sie zu wirken.