Am nächsten Tag wollte Semir zunächst zu Ben gehen, machte aber noch einen Abstecher in dessen Wohnung. Da Ben ihm einen Zweitschlüssel anvertraut hatte, konnte Semir problemlos hinein und seinem Partner bequeme Kleidung holen. T-Shirts, Trainingshosen, frische Unterwäsche und den IPod. Doch bei dieser Unordnung hatte Semir die grösste Mühe, Dinge zu finden. „Mein Gott, wie kann ein Mensch so unordentlich sein“, stöhnte er und zog den Reisverschluss der Sporttasche zu, in der er alles eingepackt hatte.
In solchen Momenten merkte er noch mehr, was für ein Goldschatz seine Andrea war. Sie hatte ihm die ganze Nacht zugehört gehabt. Seine Ängste, seine Sorgen – für alles hatte sie ein offenes Ohr und nahm ein paar schlaflose Stunden in Kauf. Sie war es auch die ihm geraten hatte, persönliche Dinge zu holen, damit Ben sich besser fühle.
Er ging wieder hinaus und schloss die Türe ab. Dabei stiess er mit der alten Hausmeisterin Schröder zusammen, die er schon des Öfteren kennenlernen durfte. „Herr Gerkan, so stürmisch heute?“, fragte sie freundlich und Semir nickte. „Leider, bitte entschuldigen Sie Frau Schröder, ich wollte Sie nicht umrennen!“ Sie winkte ab. „Sie holen Sachen ab?“, fragte sie verwundert.
„Ja, gut dass ich Sie gerade treffe, Ben ist leider im Krankenhaus, ein Arbeitsunfall in dem ich involviert war, wie Sie sehen“, er zeigte auf seine verbundene Hand und auf das Pflaster, „deshalb wird er eine Weile nicht da sein. Könnten Sie die Post bei sich aufbewahren, ich komme Sie selbstverständlich abholen!“ Schröder nickte. „Aber natürlich Herr Gerkan. Richten Sie bitte Herrn Jäger liebe Grüsse und gute Besserung aus. Und sagen Sie ihm, er könne sich glücklich schätzen, einen Freund wie Sie zu haben! Obwohl, er weiss es ja selbst, so wie er von Ihnen schwärmt!“ Sie winkte zum Abschied und verschwand in ihre Wohnung.
Semir seufzte. Wenigstens das war erledigt. Er ging die Treppen hinunter zu seinem Wagen und legte die Tasche auf die Rückbank. Als er vorne eingestiegen war, atmete er noch kurz durch und schnallte sich an. Nachdem er den Schlüssel gesteckt und umgedreht hatte, startete er den Motor und fuhr Richtung Krankenhaus.
In der Klinik selbst, herrschte noch die gleiche Ruhe wie am Abend. Zumindest hatte es äusserlich diesen Anschein. Semir nahm die Sporttasche aus dem Auto und hing sie sich über die Schulter. Er schloss seinen Wagen ab und betrat das Hospital.
Die Schwester am Empfang begrüsste ihn freundlich. Semir lief mit einem Nicken an ihr vorbei.
Als er an Bens Zimmer ankam, klopfte er kurz und hörte ein lautes „Herein!“. Bens Stimme – sie klang viel besser und erholter.
Semir betrat das Zimmer und sah, dass sein Partner schon wieder mit aufrechtem Oberkörper im Bett lag. Der kleine Fernseher lief und zeigte gerade die Nachrichten. „Hey Partner“, begrüsste Semir ihn und ging ans Bett. Bens Hand hob sich und Semir nahm sie. „Müsstest du nicht arbeiten?“, fragte Ben verwundert. Der Kopf war zu Semir geneigt, aber dieser sah an den Bewegungen an, wie hilflos sich sein Partner noch fühlte.