Nina hatte große Mühe, sich gegen Toni zur Wehr zu setzten. Ihr kam allerdings ihre gute Nahkampfausbildung zugute und so schaffte sie es nach einer wilden Rangelei Toni zu überwältigen. Bewusstlos lag er nur vor ihr. Schnell nahm sie die Handschellen von Ben und kettete Toni an den Heizungsrohren an der Wand im Wohnzimmer fest. Sie hatte gerade den Halt noch einmal überprüft, als sie durch die geöffneten Türen Geräusche vom Dach vernahm. Ralf war Ben anscheinend gefolgt und sie schienen zu kämpfen. Bens angestrengtes Stöhnen, das gedämpft an ihr Ohr drang, konnte sie unter tausenden erkennen. Er schien in Schwierigkeiten zu sein. Da er noch lange nicht gesund war konnte er sich wahrscheinlich nicht lange wehren. Ohne zu zögern nahm Nina ihre bereit gelegte Waffe vom Küchentresen und rannte die Stufen hinauf, dem Dach entgegen.
Schnell hatte sie die letzten Stufen genommen und ihr Ziel erreicht. Doch das Bild, das sich ihr bot, ließ sie erstarren. Ralf stand in einiger Entfernung und hatte seine Waffe genau auf Ben gerichtet. Ben stand zitternd im Regen, nass bis auf die Haut. Seine Augen waren geschlossen und seine Arme ein wenig ausgebreitet, so als ob er das Unausweichliche erwarten würde. Ben sah wohl, dass er keine Chance mehr hatte und Schröder völlig wehrlos gegenüberstand. Er hatte sich seiner Situation ergeben. Doch das durfte nicht sein. Nina musste schnell handeln. Sie wollte gerade ansetzten, als Ralf, der sie anscheinend noch nicht bemerkt hatte, den Hahn spannte. “Bye Bye, Bulle”, waren Ralfs letzte Worte, bevor er den Abzug drückte.
Ben stand noch immer da, hatte die Augen geschlossen. `So sollte es also enden`. Er dachte noch einmal kurz an alle seine Freunde, an seine Familie und alle die ihm nahe standen. An Semir, mit dem er so viele schöne Dinge erlebt hatte und der sein bester Freund geworden war. Und an Nina. Sekundenbruchteile später hallte der Knall in seinen Ohren wieder. Doch er spürt keine Schmerzen. `Ging es wirklich so schnell?`, dachte sich Ben. Ein weiterer Knall war zu hören, dann ein dumpfer Aufschlag. Die Kälte durch den Regen war immer noch so real und seine Kleidung klebte nass an seiner Haut. Der Regen tropfte aus seinen Haaren. Zögerlich begann er zu blinzeln. Als Ben die Augen halb öffnete, sah er verschwommen seine Chefin mit gestreckter Waffe stehen. Schröder lag am Boden. Ben fasste sich mit beiden Händen an die Brust um zu tasten, ob ihm wirklich nichts passiert war. Doch alles war heil. Er hatte in der Anspannung gar nicht gemerkt, wie er den Atem angehalten hatte und ließ nun wieder Luft in seine Lungen strömen. Ein Gefühl der Erleichterung ging durch seinen Körper und alles fiel von seinen Schultern ab. Nur knapp war er dem Tod entkommen. Schon wieder einmal. Ben konnte sein Glück kaum fassen.
Doch irgend etwas an dem Bild passte nicht. Seine Sicht wurde langsam klarer. Kim stand immer noch in derselben Position, doch ihre Augen waren vor Schreck geweitet. Erst jetzt nahm Ben die Gestalt wahr, die vor ihm stand. Es war Nina. Sie war mit dem Rücken zu ihm gewandt. Ihre Haare und Kleidung waren bereits ebenfalls nass durch den Regen und ein leichtes zittern ging durch ihren Körper. Ben begriff immer noch nicht, wollte ihre Schulter berühren um ihr Gesicht zu sehen, als sie plötzlich vor ihm zusammenbrach.