Ben hob beide Hände in die Luft, und beobachtete schwer atmend den Spalt, der immer größer wurde. Seine Augen waren vor Angst geweitet; seine Brust hob und senkte sich in Rekordgeschwindigkeit. Dann erschien der Lauf einer Waffe in der Tür und plötzlich ging alles ganz schnell. Eine Hand packte Ben genau da, wo die Kugel ihn gestern getroffen hatte und er wurde grob durch die Tür in den Raum gezerrte. Ben schrie auf vor Schmerz und hörte nur im Hintergrund, wie die Tür wieder zugeschlagen und abgeschlossen wurde. Doch er erholte sich schnell von dem brutalen Griff und rappelte sich vom Boden auf, wo er hingefallen war. Es schien weitere Opfer gegeben zu haben; allerdings saßen immer noch knapp zwanzig verängstigte Schüler, die Ben mit großen Augen anstarrten, in derselben Ecke wie zuvor auch. „Was willst du?“, knurrte einer der Männer und presste Ben die Waffe an die Schläfe. „Lasst die Schüler gehen.“, bat Ben mit fester Stimme. „Ihr reitet euch doch immer nur noch tiefer in die Scheiße! Ihr kommt hier nicht mehr raus! Was bringt euch das? Guckt sie euch an! Seht sie euch einmal an! Wollt ihr sie wirklich alle umbringen?“ Seine Stimme klang fast verzweifelt. Alle starrten ihn an; keiner sagte ein Wort. Der Druck an Bens Schläfe hatte nachgelassen; er hätte die Waffe ohne weiteres wegschlagen können, aber er wusste, dass das jetzt der größte Fehler war, den er machen konnte. So hielt er still. „Es bringt nichts mehr. Ihr habt es in der Hand.“ Ben schluckte; die Sekunden der Stille fühlten sich an, wie eine Ewigkeit. „Diese Kinder haben Eltern; haben Leute, die sich Sorgen machen. Sie haben nichts getan. Sie haben euch nichts getan! Ich weiß, ihr habt kein Mitleid; ihr habt verflucht nochmal nicht das kleinste Scheiß-Gefühl und egal was ich sage geht auch verdammt noch mal am Arsch vorbei, aber wenn ihr uns hier gleich alle erschießt, dann will ich euch vorher noch eins sagen.“ Ben setzte nun alles auf eine Karte – seine letzte. „Das hier ist ‘ne Nummer zu groß für euch und ganz egal wie das ausgeht: Euer Leben wird sich danach verändern! Ich will nicht um mein Leben betteln, das ist euer Ding. Ihr habt’s in der Hand, aber ihr habt schon Menschen erschossen. Und wenn ihr irgendwo doch noch irgendein klitzekleines Gefühl in euch habt, dann lasst ihr jetzt wenigstens die Kinder gehen. Behaltet mich; aber lasst sie gehen.“ Er deutete auf die Schüler. „Zeigt denen einfach, dass ihr nicht irgendwelche Monster seid. Es ist eure letzte Chance.“
Wieder war es still. So unendlich still. Diesmal blieb auch Ben still. Es gab nichts mehr, was er zu sagen hatte. Entweder es ging den Typen wirklich komplett am Arsch vorbei, was er gesagt hatte – dann waren sie eh verloren – oder sie dachten über Bens Worte nach. So schien es, doch zu welchem Schluss sie kommen würden, war noch lange nicht gesagt. Ben beobachtete sie ganz genau; gegenseitig warfen sie sich Blicke zu; schienen so miteinander stumm zu kommunizieren. Dann entschieden sie sich. Ben lag immer noch auf dem Boden; es tat weh und war unbequem, aber er wagte nicht, sich auch nur einen Millimeter zu bewegen. Er spürte, wie der Druck an seiner Schläfe ganz verschwand; wie die Waffe weggezogen wurde. Dann setzten sich die Vier in Bewegung; gingen auf die Tür zu und drehten den Schlüssel. Immer noch blieb Ben wie versteinert liegen; paralysiert; unfähig zu verstehen, was wirklich passierte. Dann öffneten sie die Tür und einer nach dem anderen verließ den Raum. Wortlos. Einfach so. Dann fiel die Tür ins Schloss. Das leise Klicken klang in Bens Ohren wie ein Schuss. Er hörte, wie der Schlüssel auf der anderen Seite erneut umgedreht wurde und dann wie sich Schritte entfernten. Sie waren alleine. Und sie waren außer Gefahr. Ben blieb liegen; noch immer unfähig sich zu bewegen. Es war zu einfach gewesen; viel zu einfach. Was hatten die vier vor? Wo gingen sie hin? Es waren Fragen, die sich jeder in diesem Moment gestellt hätte. Aber wieder nur in der Theorie. In der Praxis war Ben viel zu geschockt; viel zu angespannt um überhaupt daran zu denken. In diesem Moment zählte für ihn nur eins: Dass sie weg waren. Warum? Wo? Wie? Das alles spielte für ihn keine Rolle. Er lebte; die Schüler lebten und mehr war nicht wichtig; nicht wichtig, weil er gedacht hatte, er würde sterben. Und die Tatsache, dass er einfach so lebte; dass einfach nichts passiert war; einfach so; die verschaffte ihm eine derartige Erleichterung, dass sein Gehirn nicht zu mehr in der Lage war. Für Ben war es in dem Moment einfach egal. Und vielleicht war das ein noch größerer Fehler, als wenn Ben eben die Waffe weggeschlagen hätte. Ein Fehler, der noch gefährlicher war, als sein Plan alleine hier rein zu gehen. Ein Fehler, der alles verändern konnte. Ein tödlicher Fehler.