Kaum war er halb eingeschlafen, da verfolgte ihn wieder Jan in seine Wachträume. Diesmal waren sie beide in dem Bankhaus, in dem die Aktionärsversammlung stattgefunden hatte. Ben hatte Jan gesucht und ihn mit einem Gewehr auf der Balustrade liegen sehen und auf Mc Connor zielen. Als seine Ansprache den nicht davon abgehalten hatte, durchzuladen und auf sein Opfer zu zielen, hatte er selber schweren Herzens auf Jan angelegt und abgedrückt. Er hatte gebetet, dass es funktionieren würde, Jan nur kampfunfähig zu schießen, wie sie es hundertfach im Schiesstraining übten. Seinen früheren besten Freund umzubringen, das wäre für ihn genauso schrecklich gewesen, wie wenn er Semir etwas antun würde. Er hatte erleichtert aufgeatmet, als der zwar die Waffe hatte fallen lassen, aber tatsächlich nur durch einen Schuss in die Schulter nicht mehr in der Lage gewesen war, Mc Connor etwas anzutun. Für den war die Situation sowieso ab diesem Augenblick gefahrlos, denn nach seinem Schuss hatten dessen Securitys ihn zu Boden gedrückt und in Deckung gebracht. Jans Überraschungsmoment war vorbei und gerade hatte Ben zu ihm laufen und nach seiner Verletzung sehen wollen, da war der zum Rand der Balustrade gerobbt und hatte sich vor seinen Augen in die Tiefe gestürzt. Er hatte fassungslos zugesehen. Er war zu weit weggewesen, um ihn rechtzeitig aufzuhalten, aber trotzdem war es so schrecklich gewesen, als er bemerkt hatte, was der vorhatte und ihn nicht hatte aufhalten können.
Was war wohl im Kopf seines vormals besten Freundes vorgegangen, in den letzten Minuten, bevor er sich das Leben genommen hatte? Welche inneren Kämpfe hatte er ausgefochten? Trotz seiner Lähmung, die ihn an den Rollstuhl gefesselt hatte, hatte er auf seine Weise glücklich gewirkt, als sie den gemeinsamen Abend verbracht hatten. Sie hatten Blödsinn gemacht, getrunken und gefeiert, miteinander gesungen, wie in alten Zeiten und es war sofort wieder die Vertrautheit dagewesen, die sie so viele Jahre aneinander gekettet hatte. Er konnte sich bis heute nicht vorstellen, dass Jan diese Gefühle nur gespielt hatte, um ihn auszuhorchen. Sicher war der verbohrt gewesen und hatte die fixe Idee verfolgt, mit dem Attentat auf Mc Connor die Welt besser zu machen, aber im Grunde seines Herzens war er doch ein netter Kerl gewesen.
Oder doch nicht? So sehr Ben hin-und her überlegte, er kam zu keiner Lösung. Als Semir ihn aus dem Hotel befreit hatte, wo Jan und Eva ihn zu zweit überwältigt und mit einem Knebel im Mund an den Waschtisch im Hotel gefesselt hatten, hatte der ihm das Ergebnis seiner Ermittlungen mitgeteilt, wie er das verlassene Elternhaus Jans aufgesucht und die finanzielle Situation abgeklopft hatte. Den Tod von Jans Eltern und die terroristischen Aktivitäten seines Jugendfreundes in den letzten Jahren hatte er durch Recherchen im Internet und dem Polizeicomputer herausfinden können-das wäre ihm auch möglich gewesen, wenn er nur bereit gewesen wäre, Semir zu glauben, der ihn von Anfang an vor Jan gewarnt hatte. Er dagegen hatte nur gedacht, Semir wäre beleidigt wegen des Fußballspiels und würde ihm ein paar schöne Abende mit einem alten Freund nicht gönnen. Er war immer der Meinung gewesen, so eine Freundschaft würde fürs Leben halten, aber das war anscheinend nur von seiner Seite her so gewesen. Jan hatte ihn hintergangen und ausgenutzt. Auch damals schon waren sie immer Nebenbuhler im Kampf um Eva gewesen und so wie es aussah hatte Jan letztendlich gewonnen.
Seine Eva! Schon wieder traf ihn im Halbschlaf der Blick ihrer einzigartigen, faszinierenden Augen, als sie in Jans Armen tot zusammengebrochen war. Er hatte dem Tod seiner beiden Jugendfreunde beigewohnt und damit war auch ein Teil seiner selbst gestorben. Vielleicht war es ihm vorbestimmt, ihnen zu folgen?
Gerade als er sich einfach fallenlassen und dem Schicksal seinen Lauf lassen wollte, weil er einfach nicht mehr konnte, fasste ihn eine warme Hand an und Semirs vertraute Stimme sagte zu ihm. „Keine Angst Ben, ich bin da!“