Wenig später kam die Schwester mit dem Frühstück für Semir und Ben stellte sie die Frage: „Welche Geschmacksrichtung wollen sie denn bei der Astronautenkost? Ich habe Cappuchino, Schoko, Vanille, Waldbeere und Multivitamin im Angebot. Nach kurzer Überlegung entschied sich Ben für Cappuchino, das kam seinem sonst unabdingbaren morgendlichen Kaffee am nächsten. Aber zunächst zog die Schwester noch die Magensonde heraus. Dazu löste sie nur mit behandschuhten Händen das Pflaster auf seiner Nase und zog einfach an, bis sie draußen war, begleitet von Ben´s Würgen. Semir verging beinahe der Appetit an seinem Frühstück, aber als Ben´s Gesicht jetzt noch mit einem feuchten Waschlappen abgewischt war, sah der schon wieder recht munter aus der Wäsche.
Vorsichtig trank er erst einen Schluck Wasser und als das klappte, widmete er sich der Packung, die ein wenig wie ein Milchshake schmeckte. Sie war gekühlt und Ben genoss in langsamen Schlucken die 200ml hochkalorischer Flüssignahrung, während auch Semir sein Frühstück beendete.
Nach einer kurzen Pause kam die Schwester wieder zum Waschen und den ersten Drainagenentfernungen. Ben war ziemlich aufgeregt, als sie nach dem Lösen der Pflaster erst die Fäden abschnitt und dann erst den Sog abliess, um danach die Redons nacheinander herauszuziehen, aber es ziepte eigentlich nur kurz und dann war es vorbei. Ben hatte sich aber wohlweislich vorher noch einen Schmerzmittelbolus verpasst-sicher ist sicher!
Heute half er schon ein wenig beim Waschen mit, drehte sich alleine zur Seite und als man das Leintuch wechselte, stand er, gestützt von einer zweiten Schwester, schon kurz vor dem Bett. Mann, so wie ihm die Knie zitterten, hätte man meinen können, er habe schon einen Halbmarathon hinter sich, aber trotzdem war er ein wenig stolz auf sich, dass er es geschafft hatte, ohne dass ihm schwindlig wurde. Danach putzte er im Sitzen noch selber seine Zähne und als man ihm einen Spiegel reichte, war er mit der Bartlänge gar nicht so unzufrieden. Irgendwann musste ihn in den letzten Tagen mal jemand rasiert haben, aber es war ein merkwürdiges Gefühl, sich daran überhaupt nicht erinnern zu können. Man war da so ausgeliefert und musste darauf vertrauen, dass die Ärzte und Schwestern alles richtig machten, ohne selber eingreifen zu können, das war schon komisch, gerade wenn man sonst gewohnt war, alles selber zu machen.
Als die Körperpflege beendet war, alle Verbände erneuert und Ben mit einem frischen Flügelhemd bekleidet wieder auf dem Rücken lag, atmete er befreit auf und schloss ein kleines Vormittagsschläfchen an, liebevoll betrachtet von Semir, der die rasanten Fortschritte seines Freundes mit wohlwollendem Erstaunen beobachtete.
Zu Semir kam wenig später noch die Logopädin und obwohl man schon kaum mehr eine Sprachauffälligkeit feststellen konnte, zog sie ihr Übungsprogramm mit ihm durch und Semir kam sich vor, wie ein Opernsänger bei der Stimmbildung, denn heute sollte er sogar singen. Als er einen kleinen Seitenblick zu Ben warf, sah er, dass der in sich hinein grinste. Na warte! Das würde Konsequenzen haben! Kaum war die Therapeutin verschwunden, erkundigte er sich: „Was gibt’s da zu lachen?“ und als Ben unauffällig betonte: „Ach, gar nichts!“, flog eine Packung Tempotaschentücher auf dessen Bett, was er sofort zurückwarf. Sie alberten noch eine Weile herum, aber als Ben sich nun wieder ein Schmerzmittel verpasste, wurde er extrem müde und so kehrte wieder für eine kurze Zeit Ruhe ein. Semir war erleichtert, dass es war, wie es war-sie beide hatten harte Zeiten hinter sich, aber es würde weitergehen, da war er sich nun hundertprozentig sicher!