42. Neuer Versuch
Hartmut übergab in der KTU Semirs Waffe einem Kollegen, der sie gründlich reinigte, einölte und schließlich in den Korb für die PAST legte, damit sie Semir wieder ausgehändigt werden konnte. Das Handy legte er in einen Trockenschrank, mit etwas Glück hatte es das Bad reibungslos überstanden. All diese Tätigkeiten waren Nebensächlichkeiten und dienten nur dazu, sich etwas von der Sorge um Semir abzulenken.
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Bei Werner, Uwe und Jörg war die Stimmung auch am Boden. Zwei Geldübergaben waren gescheitert, Hauke Krause tot, sie hatten Augenzeugen und jetzt auch noch einen toten Polizisten. Dabei hatte es alles so einfach und plausibel gewirkt. Sie hätten von Oma Krause die zwei Millionen bekommen, Hauke Krause irgendwo aus dem Auto gelassen und wären mit dem Geld geflohen. Jetzt hatten sie einen Polizisten im Keller als letzte Möglichkeit, das Geld zu erpressen. Das Geld war bei der Polizei, aber ob die erpressbar war und ihren Kollegen freikaufen würden? Vielleicht sollten sie sich lieber an die Ehefrau wenden, die würde sicher alles in Bewegung setzen, um ihren Mann wieder zu bekommen?
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Am frühen Nachmittag rief Werner im Beisein von Semir, Jörg und Uwe bei Andrea an. Er ließ das Telefon klingeln, bis der Anrufbeantworter ansprang. Mit einem Schmunzeln hörte er den Familienspruch der Gerkans und wartete auf den Signalton. „Guten Tag Frau Gerkan, hier ist jemand, der Ihnen etwas zu sagen hat“, er hielt Semir den Hörer hin, „los, sag was!“ – „Andrea, hör zu, ich …“, begann Semir, wurde dann aber schon wieder weggerissen. „Das sollte reichen. Es geht Ihrem Mann noch gut. Wir wollen nur das Geld. Besorgen Sie es bis 18:00 Uhr. Dann melden wir uns bei Ihnen. Und seien Sie dann besser zuhause.“ Werner beendete das Gespräch. Er schaute Semir an. „Nanu? Ihre Frau ist nicht zuhause? Sie scheint Sie ja nicht gerade zu vermissen. Geben Sie uns eine andere Telefonnummer? Handy vielleicht?“ – „Wie sollte ich, die Handys sind verbrannt, das wissen Sie ganz genau“, fluchte Semir. „Tja, dann wollen wir doch mal hoffen, dass sie ihren Anrufbeantworter rechtzeitig abhört.“
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Andrea und Ben kamen mit Ayda gegen 15:00 Uhr nach Hause. Von Semir fehlte noch immer jede Spur. Mittlerweile hatte man Werners Wohnung durchsucht, aber keinen Hinweis auf einen möglichen Aufenthaltsort gefunden. Entsprechend niedergeschlagen hatten Ben und Andrea die PAST verlassen. Andrea fiel sofort das Blinken ihres Anrufbeantworters auf, und sie wollte schon den Wiedergabeknopf drücken, was Ben im letzten Augenblick verhindern konnte, indem er ihre Hand ergriff. „Warte!“ Dann wandte er sich Ayda zu, „Möchtest du nicht oben spielen gehen oder draußen? Deine Mutter und ich haben noch etwas zu besprechen. „Aber …“, begann Ayda, stockte dann aber, als sie Bens Blick und den Gesichtsausdruck ihrer Mutter sah und ging stumm in den Garten, wo sie sich auf die Schaukel setzte und vor sich hin schaukelte, ohne Elan, mit hängendem Kopf in Gedanken versunken. Sie hatte das ganze Drama mitbekommen, wusste, dass ihr Vater in Gefahr war und gerade niemand wusste, wo er war. Scheiß-Ferien. Eine Polizistin, die ihren Kollegen vom Morgen abgelöst hatte, gesellte sich jetzt zu ihr und begann ein Gespräch mit dem Mädchen. Sie schien den richtigen Zugang zu Ayda zu finden. Andrea drehte sich zu Ben um, deutete auf den Anrufbeantworter. Ben nickte und drückte jetzt auf den Knopf.
Als die Stimme des Entführers aus dem Lautsprecher klang, war sie froh, dass Ben sie eben zurückgehalten hatte. Sie sah auf ihre Uhr. „Schaffen wir das denn noch?“, fragte sie, jetzt wo sie Semirs Stimme gehört hatte, war ihr Tatendrang wieder geweckt. „Ja, ich fahre los und rede mit Frau Krüger, ich bin rechtzeitig zurück, Andrea“, versicherte er ihr. Andrea nickte nur und schaute noch längere Zeit aus dem Balkonfenster in ihren Garten, bevor sie die Tür öffnete, über die Terrasse schritt und sich auf die freie Schaukel neben ihre Tochter setzte.
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„Geben Sie die Semir und im Notfall – Sie wissen ja wohl noch, wie man damit umgeht.“ Kim Krüger legte Semirs Waffe, die gerade frisch gereinigt aus der KTU gebracht worden war, auf ihren Schreibtisch und schob sie zu Ben hinüber. Ben hatte ihr von dem Anruf erzählt. „Die lassen wirklich nicht locker. Wegen zwei Millionen?“ Sie sicherte ihrem ehemaligen Hauptkommissar jegliche Unterstützung zu. Bonrath war schon unterwegs, das Falschgeld, welches auf der PAST im Schließfach lag, zu holen, die Abhöranlage für das Telefon lag schon bereit, es würde auch ein Kollege mit zu Andrea kommen, der sich damit auskennt. Es wurde eine Verkabelung von Andrea und Ben vorbereitet, damit sie bei der Übergabe mit der Polizei in Verbindung bleiben würden. Die Polizei würde den Übergabeort, sobald dieser bekannt war, weiträumig mit Zivilfahrzeugen umstellen, damit die Entführer ihnen nach der Geldübergabe und der Freilassung Semirs ins Netz gingen. Als alles geklärt war, stand Ben auf und wandte sich zum Gehen. „Danke Chef-…ähm, Frau Krüger“, verabschiedete er sich. Erik Johannsen begleitete ihn mit dem technischen Equipment der Polizei zu Andrea, nervös warteten, dass es 18:00 Uhr wurde. Werner war pünktlich.
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Der Anruf war zu kurz, als dass man ihn hätte zurückverfolgen können. Werner forderte Ben und Andrea auf, mit dem Geld um 20:00 in Richtung des alten Industriegebiets in Düren zu fahren und auf weitere Anweisungen zu warten. Ben musste ihm seine Handy-Nummer nennen. Er teilte Kim Krüger das grobe Ziel mit, damit sie die weiteren Vorkehrungen treffen und ihre Einsatzkräfte vorbereiten konnte.